# taz.de -- Maßregelvollzug in Berlin: Neue Chefin, alte Probleme
       
       > Nach monatelanger Hängepartie hat der Maßregelvollzug in Berlin wieder
       > eine ärztliche Leitung. Doch die Herausforderungen sind weiterhin groß.
       
 (IMG) Bild: Überbelegung, Personalmangel und schlechte Versorgung: Im Berliner Maßregelvollzug liegt einiges im Argen
       
       Berlin taz | Es ist eine schwierige Aufgabe, die auf Julia Krebs wartet.
       Die Psychiaterin hat zum Jahreswechsel die ärztliche Leitung des Berliner
       Maßregelvollzugs übernommen. Zuvor war die Stelle monatelang nicht besetzt
       – nachdem der bisherige Chefarzt Sven Reiners im April aus Gewissensgründen
       gekündigt und [1][die Zustände in dem Krankenhaus scharf kritisiert] hatte.
       
       Der Maßregelvollzug in Berlin ist seit Jahren in einer schweren Krise. In
       die Einrichtung kommen verurteilte Straftäter*innen mit psychischen
       oder Suchterkrankungen, die nicht oder vermindert schuldfähig sind – und
       die das Gericht weiter für gefährlich hält. Doch das Krankenhaus [2][ist
       chronisch überlastet]: Eine zu hohe Zahl an Patient*innen wird von zu
       wenig Personal betreut und behandelt.
       
       Zu Jahresbeginn waren laut der zuständigen Senatsgesundheitsverwaltung 623
       Patient*innen stationär im Maßregelvollzug untergebracht – vorgesehen
       sind allerdings nur 549 Betten. Hinzu kommen 250 Patient*innen, die extern
       versorgt werden.
       
       Gleichzeitig ist ein Viertel der Stellen in der Krankenpflege nicht
       besetzt, es fehlen rund 120 Vollzeitkräfte. Bei den Ärzt*innen ist die
       Lage sogar noch dramatischer: Hier ist fast die Hälfte der Vollzeitstellen
       offen: 25 von 55. Zum Teil werden Psycholog*innen auf Arztstellen
       eingesetzt, um diese Lücke füllen.
       
       ## Neue Leitung, neuer Personalrat
       
       Mit der Einstellung von Julia Krebs ist es nun immerhin gelungen, die
       prominenteste vakante Stelle in dem Krankenhaus zu vergeben. Krebs bringt
       Erfahrung in der forensischen Psychiatrie mit, sie war bislang Oberärztin
       in der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des
       Justizvollzugskrankenhauses Berlin.
       
       Für die Gesundheitsexpertin der Berliner Grünen-Fraktion, Catherina
       Pieroth, ist das ein Lichtblick: „Genau solche motivierten und fachkundigen
       Leute brauchen wir, diesen Job kann man nur gut mit viel Engagement
       ausfüllen“, sagt sie zur taz. „Wenn Julia Krebs entsprechend unterstützt
       wird, kann sie mit Sicherheit die Personal- und Organisationsentwicklung im
       Krankenhaus des Maßregelvollzugs zum Besten vorantreiben.“
       
       Julia Krebs und die ebenfalls neue Chefin des Sicherheitspersonals
       vervollständigen die vierköpfige Krankenhausleitung. Zudem ist seit Anfang
       Dezember ein neuer Personalrat im Amt. Das Gremium vertritt die Belange der
       Beschäftigten und wurde turnusmäßig für vier Jahre neu gewählt.
       
       Es sind also einige – zumindest personelle – Neuanfänge im Maßregelvollzug
       zu Beginn dieses Jahres. Aus Rücksicht auf diese „Findungsphase“ möchte
       sich der Personalrat auch vorerst nicht zu der Situation im KMV äußern.
       
       ## Angehörige beklagen unhaltbare Zustände
       
       Katja Schneider, die in Wirklichkeit anders heißt, hat einen Angehörigen,
       der Patient im Maßregelvollzug war. Gemeinsam mit anderen Betroffenen setzt
       sie sich in einer Unterstützer*innengruppe für die Belange der dort
       Untergebrachten ein. Schneider hofft, dass sich unter der neuen Leitung
       etwas ändern wird. „Für die Patienten ist die Situation nach wie vor
       schlecht“, sagt sie der taz. „Die Zustände sind nur schwer auszuhalten.“
       
       Oft gehe es nur darum, [3][dass die Patient*innen ihre Medikamente
       nehmen]. „Andere Therapieformen scheitern am Personalmangel, zum Teil
       wartet man Wochen auf ein Arztgespräch“, berichtet Schneider. So rücke die
       Entlassung für viele Patient*innen in weite Ferne. „Und diese
       Ungewissheit mündet in Verzweiflung.“ Hinzu komme die räumliche Enge in dem
       Krankenhaus, die Konflikte und Gewalt begünstige. „Wenn man irgendwo lange
       eingesperrt ist, dann knallt es“, sagt sie.
       
       In solchen Situationen sei die Isolierung von Patient*innen „ein
       übliches Problemlösungsmittel“, erklärt Katja Schneider. „Da bleibt man
       dann Stunden, Tage oder gar Wochen.“ Tatsächlich ist die Zahl der
       isolierten Patient*innen stets hoch. Ende Dezember 2024 befanden sich
       28 Patient*innen in sogenannten besonderen Sicherungsmaßnahmen.
       
       Ex-Chefarzt Reiners hatte bereits im vergangenen Jahr eingeräumt, dass alle
       Isolationszellen im KMV durchgängig belegt seien. Für Schneider unhaltbare
       Zustände: „Das ist keine Behandlung, das ist Misshandlung“, sagt sie. „Es
       gibt [4][in diesen Isolierzellen] nichts, um sich zu beschäftigen. Sie sind
       außer Bett, Tisch, Toilette ohne Gegenstände. Isolierungen führen zu
       weiteren seelischen Verletzungen.“
       
       Ein Patient befindet sich seit über sechs Jahren in Isolation. Daran hat
       sich seit der [5][taz-Recherche von vergangenem Herbst] nichts geändert,
       erklärt die Senatsgesundheitsverwaltung auf Nachfrage. Die
       „Gemeinschaftsfähigkeit“ des Patienten werde aber „selbstverständlich
       regelmäßig überprüft“, so ein Sprecher. Nach den [6][Mindestgrundsätzen der
       Vereinten Nationen für die Behandlung von Gefangenen] gilt eine Einzelhaft
       an mehr als 15 aufeinander folgenden Tagen als Folter.
       
       ## Personaloffensiven laufen ins Leere
       
       Um die Zustände in dem Krankenhaus zu verbessern, muss ein Teufelskreis
       durchbrochen werden: „Überbelegung und Stigmatisierung gehen Hand in Hand
       mit dem Personalmangel“, analysiert Grünen-Politikerin Catherina Pieroth.
       Doch die [7][Arbeitsbedingungen sind weiterhin schwierig] – was der
       dauerhaft hohe Krankenstand untermauert, der die ohnehin prekäre
       Personalsituation noch weiter verschärft. Im vergangenen Jahr lag er
       durchschnittlich bei 14,7 Prozent.
       
       Hinzu kommt, dass das Personal immer wieder Opfer von Übergriffen wird.
       2024 gab es bis einschließlich September zehn Vorfälle, bei denen
       Beschäftigte von Patient*innen verletzt wurden. Im Vorjahr hatte es mit
       40 solcher Fälle einen Höchststand gegeben.
       
       Und so laufen „Personaloffensiven“ mit umfassenden Ausschreibungen und
       Auftritten auf Jobmessen oft ins Leere. Seit zwei Jahren soll eine
       Forensik-Zulage für Pflegekräfte den Job im Maßregelvollzug attraktiver
       machen – mit mäßigem Erfolg.
       
       Nun setzt die Gesundheitsverwaltung auf neue Methoden. Im November wurden
       Werbespots auf Spotify geschaltet, demnächst startet eine Kampagne zur
       Personalgewinnung auf Instagram mit Testimonials von Mitarbeiter*innen
       zu ihren Berufsbildern und ihrer Motivation.
       
       ## Neue Außenstelle ab Oktober
       
       Die Zeit drängt, denn im Oktober soll eine Außenstelle des Maßregelvollzugs
       in Lichtenrade in Betrieb genommen werden. Dort wird derzeit ein ehemaliges
       Abschiebegefängnis umgebaut; 49 zusätzliche Plätze sowie ein Isolierraum
       sollen entstehen. Aber damit die Kapazitäten auch genutzt werden können,
       braucht es Personal. Bis 2030 sollen zudem weitere 60 Betten durch die
       Renovierung eines Gebäudes auf dem Krankenhausgelände in Reinickendorf
       hergerichtet werden. Immerhin wurde das Budget für den Maßregelvollzug
       sowie für die Renovierungsarbeiten bei den jüngsten Einsparungen im
       Berliner Haushalt nicht gekürzt.
       
       Grünen-Politikerin Catherina Pieroth hat jedoch Zweifel, dass die
       zusätzlichen Plätze etwas an der Krise ändern: „Lediglich die
       Belegungskapazitäten zu erhöhen wird nicht funktionieren, es zementiert
       vielmehr das Krankenhaus des Maßregelvollzugs als Parallelsystem.“
       
       Neben räumlichen Erweiterungen müssten auch neue Betreuungskonzepte im
       Bereich der forensischen Psychiatrie zur Anwendung kommen, sagt Pieroth.
       Dazu gehöre „mehr Expertise in den allgemeinpsychiatrischen
       Versorgungskliniken“, aber auch die Versorgung außerhalb der
       Kliniklandschaft. Letztlich komme es darauf an, die Nachsorge von
       entlassenen Patient*innen besser zu organisieren.
       
       Katja Schneider findet, dass sich grundsätzlich etwas am System ändern
       muss. Zwar sei die Unterbringung im Maßregelvollzug laut Gesetz keine
       Strafe, da die Menschen als schuldunfähig gelten „Aber bei den Zuständen
       ist es in Wirklichkeit eine extrem harte Strafe, dort untergebracht zu
       werden – und dann auch noch unbefristet.“
       
       22 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [6] https://www.unodc.org/documents/justice-and-prison-reform/Nelson_Mandela_Rules-German.pdf#page=18
 (DIR) [7] /Aerzte-Protest-am-Massregelvollzug/!5996531
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hanno Fleckenstein
       
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