# taz.de -- Frühere Oberstaatsanwältin Brorhilker: „Cum-Ex läuft weiter“
       
       > Sie war die wichtigste Ermittlerin in dem Steuerskandal. Anne Brorhilker
       > glaubt, dass es die illegalen Deals noch gibt – zulasten der
       > Steuerzahler.
       
 (IMG) Bild: Unzufrieden mit den Möglichkeiten der Ermittlung und Strafverfolgung von Wirtschaftsverbrechen: Anne Brorhilker
       
       Frankfurt/Main dpa | Die ehemalige Cum-Ex-Chefermittlerin Anne Brorhilker
       ist fest davon überzeugt, dass [1][der Steuerbetrug mit illegalen
       Aktiengeschäften] noch immer verbreitet ist in der Finanzwelt. „Cum-Ex
       läuft weiter – auch lange nach der Gesetzesänderung von 2012“, sagte die
       [2][frühere Oberstaatsanwältin und heutige Geschäftsführerin der
       Bürgerbewegung Finanzwende] der Deutschen Presse-Agentur.
       
       Cum-Ex-Deals, die ihre Hochphase zwischen 2006 und 2011 hatten, gelten als
       größter Steuerraub in der Geschichte der Bundesrepublik. Dabei inszenierten
       Banken und andere Investoren ein Verwirrspiel mit Aktien und bekamen von
       Finanzämtern Steuern erstattet, die sie gar nicht gezahlt hatten. Der Staat
       büßte geschätzt mindestens zehn Milliarden Euro ein, die Politik reagierte
       mit einer 2012 greifenden Gesetzänderung.
       
       Doch nach Darstellung von Brorhilker ging der Steuerraub danach weiter. Als
       Beispiel nennt sie eine von mutmaßlichen Kriminellen aufgesetzte Stiftung,
       die 2016 für Cum-Ex-Deals genutzt worden sei. Die Wahrscheinlichkeit, dass
       Cum-Ex-Geschäfte und artverwandte Cum-Cum-Deals noch heute durchgeführt
       werden, ist nach ihrer Einschätzung hoch.
       
       ## Europaweite Deals
       
       „Es heißt immer, die Geschäfte seien technisch inzwischen unmöglich, weil
       die Regelungen geändert wurden“, sagte Brorhilker. Aber die Täter hätten
       Cum-Ex-Deals europaweit durchgeführt und damit auch in Ländern mit anderen
       Regelungen und Systemen als in Deutschland. „Die Täter müssen die Deals
       vielleicht etwas anders abwickeln, möglich sind sie aber definitiv immer
       noch.“
       
       Nach wie vor sei das Risiko für Banken, bei kriminellen Machenschaften
       entdeckt zu werden, sehr gering, [3][sagte Brorhilker, die von 2013 bis
       Frühjahr 2024 bei der Kölner Staatsanwaltschaft für Cum-Ex-Fälle zuständig
       war und die Strafverfolgung wesentlich vorantrieb]. „Die Banken wissen:
       Keiner kann es uns beweisen. Wir haben ein Kontrolldefizit, egal, welche
       Regeln wir aufstellen. Und die kriminelle Energie der Branche versiegt
       nicht.“
       
       Ein großes Problem bei der Cum-Ex-Aufklärung sei, dass Banken Daten im
       Ausland horteten, sagte Brorhilker. „Banken und Steuerberater verschieben
       große Datenmengen in nahezu rechtsfreie Räume in anderen europäischen
       Staaten, doch die Strafverfolgung endet faktisch an der deutschen Grenze.“
       Sie habe bei Cum-Ex-Ermittlungen erlebt, dass Banken falsche Angaben
       gegenüber Behörden machten, dies aber nur sehr schwer überprüft werden
       könne.
       
       ## Problem Datenlagerung
       
       Die 51-Jährige fordert, dass Banken ihre Daten in Deutschland lagern
       müssen. „Wenn eine Finanzbehörde bei einem Friseursalon oder einer
       Imbissbude das Gefühl hat, dass geschummelt wird, dann kann sie überprüfen,
       ob das Kassensystem manipuliert ist – bei Banken ist das hingegen nicht
       möglich, deren technische Systeme sind so gesichert, dass kein Staat ohne
       Mithilfe der Bank an die Daten kommt.“
       
       Brorhilker war die wichtigste Cum-Ex-Ermittlerin in Deutschland. Im April
       verkündete sie den Ausstieg aus dem Staatsdienst – verbunden mit Kritik am
       Umgang mit schwerer Wirtschaftskriminalität. Brorhilker fordert erneut eine
       schnellere Aufklärung von Cum-Ex-Geschäften [4][sowie Cum-Cum-Deals, die
       den Fiskus geschätzt weitere gut 28 Milliarden Euro gekostet] haben. „Wir
       lassen es in Deutschland zu, dass internationale Investmentbanken uns
       ausrauben.“
       
       Bei Cum-Ex-Deals wurden Aktien im großen Stil rund um den
       Dividendenstichtag mit („cum“) und ohne („ex“) Ausschüttungsanspruch
       zwischen Beteiligten hin- und hergeschoben. Viele Banken sind in den
       Skandal verwickelt. 2021 stellte der Bundesgerichtshof klar, dass
       Cum-Ex-Geschäfte als Steuerhinterziehung zu werten sind. Bei Cum-Cum
       wiederum generierten Banken illegale Steuervorteile für ausländische
       Inhaber deutscher Aktien.
       
       ## Neue Behörde gefordert
       
       [5][Der Skandal reicht mit] Vorwürfen gegen Kanzler Olaf Scholz bis in die
       höchsten Ebenen der Politik. Er schloss vor dem Untersuchungsausschuss zum
       Cum-Ex-Skandal in Hamburg eine politische Einflussnahme kategorisch aus.
       Nach und nach werden in dem Skandal immer mehr Beschuldigte verurteilt,
       allen voran Schlüsselfigur Hanno Berger. Allein die Staatsanwaltschaft Köln
       ermittelt gegen rund 1.700 Beschuldigte.
       
       Nach Meinung von Brorhilker braucht Deutschland eine zentrale Behörde gegen
       schwere Wirtschaftskriminalität nach österreichischem Vorbild. Hierzulande
       hake es in der Zusammenarbeit zwischen Behörden wie der Finanzaufsicht
       Bafin, dem Bundeszentralamt für Steuern, den beim Bundesfinanzministerium
       angesiedelten Betriebsprüfern und den ebenfalls zuständigen
       Landesfinanzbehörden.
       
       In Deutschland mangle es zudem an spezialisierten und erfahrenen
       Staatsanwälten. In der Justiz sei es üblich, dass Beamte häufig die
       Abteilung wechselten, um verschiedene Gebiete kennenzulernen. „Im Ergebnis
       haben die Ermittler nicht genug Zeit, sich in die komplexe Cum-Ex-Materie
       einzuarbeiten. Teils sind Ermittler damit befasst, die keinerlei
       Prozesserfahrung haben.“ Notgedrungen konzentriere sich die Justiz auf
       kleinere Fälle, die leichter abzuarbeiten sind, um Erfolge vorzuweisen.
       „Die großen Fälle bleiben liegen.“
       
       Nach wie vor verlaufe die Aufklärung illegaler Aktiendeals schleppend,
       kritisierte Brorhilker. Nach Zahlen des Bundesfinanzministeriums (BMF) von
       Ende 2023 hat sich der Staat erst 3,1 Milliarden Euro der entgangenen
       Cum-Ex-Gelder rechtssicher zurückgeholt. 380 Fälle mit einem Volumen von
       3,8 Milliarden Euro sind in Bearbeitung. Bei Cum-Cum ist die Bilanz noch
       dürftiger: Per Ende 2023 hat sich der Fiskus laut BMF erst 205 Millionen
       Euro gesichert.
       
       Von einer neuen Bundesregierung fordert Brorhilker mehr Engagement bei der
       Aufklärung vor allem von Cum-Cum-Deals. „Ich erwarte, dass sie den
       [6][Kampf gegen Wirtschaftskriminalität] zur Chefsache macht. Sonst werden
       viele Fälle verjähren und Milliarden an Steuergeld sind unwiderruflich
       weg.“
       
       2 Jan 2025
       
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