# taz.de -- Strategien der Klimabewegung: Populismus oder Preppen?
       
       > Der Kampf gegen die Klimakrise ist selbst in der Krise. Und jetzt? In der
       > Linken werden derzeit zwei gegensätzliche Lösungen diskutiert.
       
 (IMG) Bild: Erschöpfte Helfer im Ahrtal, Juli 2021
       
       Was tun, wenn’s brennt, aber alle weiter kokeln? Aktuell kann man dabei
       zusehen, wie mit Los Angeles auch ein medialer Sehnsuchtsort der Deutschen
       abbrennt, und trotzdem spielt die Klimakrise im Wahlkampf kaum eine Rolle.
       Selbst die Grünen haben ihre klimapolitischen Ziele im Wahlprogramm im
       Kapitel zur Wirtschaftspolitik versteckt. Die Parteien der sogenannten
       Mitte haben sich stillschweigend verständigt: Klimapolitik darf niemandem
       wehtun.
       
       Wie kann die gesellschaftliche Linke damit umgehen? Dazu erscheinen aktuell
       interessante Beiträge. Grob zusammengefasst bilden sich zwei Richtungen
       heraus. Die eine will den Klassenaspekt der Klimakrise hervorheben und sie
       so wieder politisieren. Die andere will die Unabwendbarkeit der Katastrophe
       akzeptieren und daraus neue Kraft ziehen.
       
       [1][In einem Beitrag für das Surplus-Magazin] schreiben [2][Linus
       Westheuser] und [3][Johanna Siebert] über den ersten Ansatz, den sie
       Klimapopulismus nennen. Die Parteien der Mitte, so die AutorInnen, würden
       annehmen, dass Klimapolitik erfolgreich sei, wenn sie möglichst wenig
       politisiert werde, sondern technische Lösungen in den Vordergrund gestellt
       würden.
       
       Dies sei aber ein Zeichen der eigenen Schwäche – und ein Trugschluss:
       Spätestens der europäische Emissionshandel werde die Preise für die
       Mehrheit so stark erhöhen, dass Klimapolitik wieder einmal als
       Elitenprojekt wahrgenommen werde. Wenn nun die demokratischen Parteien
       versuchten, den Klimaschutz als unpolitisches Projekt zu vertuschen,
       überlasse man es der Rechten, eine Sprache für Wut und Angst vor
       Veränderung zu finden.
       
       ## Profiteure der Krise
       
       Linker Klimapopulismus soll die Verteilungsfragen der Klimakrise offensiv
       formulieren: Der Hälfte der Gesellschaft, die notgedrungen schon heute
       innerhalb der Grenzen lebt, die der Planet noch verkraften kann, muss er
       ein besseres, günstigeres Leben ermöglichen, statt abstrakt die Zukunft der
       Menschheit anzurufen. Auf der anderen Seite sollen die Profiteure der Krise
       an den Pranger: fossile Unternehmen, die mit hohen Strom- und Gaspreisen
       Milliarden Gewinne machen.
       
       Die Autoren sehen hier großes Potenzial. Sie zitieren eine französische
       Studie, die zeigte, dass die Zustimmung zu einem Tempolimit von 110 km/h
       deutlich steigt, wenn sie mit einem Verbot von Privatjets verbunden wird.
       
       Der Ansatz, Klimapolitik und populistische Verteilungsfragen zu verbinden,
       findet sich auch bei Fridays for Future. Im Wahlkampf stellt die Bewegung
       einige Forderungen, darunter anders als in den vergangenen Jahren eine
       Steuer für „Superreiche“. Auch die Linkspartei versucht sich im Wahlkampf
       mit Klimapopulismus. Besonders überzeugend ist das bisher nicht. So steht
       auf dem Plakat, mit dem die Partei ihren Klimaschutz auf die Straße trägt:
       „Steht dein Dorf unter Wasser, steigen Reiche auf die Yacht“.
       
       Das Beispiel zeigt, dass auch Populismus ein ehrbares Handwerk ist, das
       gelernt sein will. Denn wer soll hier angesprochen werden? Den meisten
       WählerInnen in Deutschland lässt die Klimakrise nicht das Dorf absaufen. Es
       wird auch nicht deutlich, was die Mehrheit davon hätte, dem Reichen seine
       Yacht abzunehmen: Höhere Deiche?
       
       ## Unabwendbarkeit der Krise akzeptieren
       
       Konkret fordert die Linkspartei einen kostenlosen ÖPNV, ein günstiges
       Grundkontingent für Strom und Gas und ein Verbot von Yachten ab 60 Metern
       (kleinere sind offenbar okay) und Privatjets. Ansonsten finden sich
       abstrakte Forderungen, die von den Grünen kommen könnten: ein Klimageld,
       ein Strukturwandel, der „angepackt“, und eine Agrarwende, die „eingeleitet“
       werden solle.
       
       Nun liegt die Krise der Linkspartei sicherlich nicht in ihrer Klimapolitik
       begründet. Andersrum kann man nicht behaupten, dass dieser zaghafte Ansatz
       von Klimapopulismus bisher erfolgreich ist. Doch wenn Populismus nicht
       fruchtet, wenn die Klimakrise eben längst da ist, was dann?
       
       Hier kommt der zweite Ansatz ins Spiel. Dem zufolge ist das Scheitern der
       Klimapolitik kein handwerkliches Problem, sondern strukturell. Die
       „[4][Arschlochgesellschaft“, so bezeichnet es der Aktivist Tadzio Müller],
       ist demnach so gut im Verdrängen, weil in Deutschland selbst Arbeiter und
       eben nicht nur die Reichen Profiteure des fossilen Lebensstils sind. Diese
       Komplizenschaft überdecke den Klassencharakter der Krise.
       
       In der Linken sprechen sich einige Stimmen deshalb dafür aus, die
       Unabwendbarkeit der Krise zu akzeptieren und die begrenzte Kraft darauf zu
       verwenden, sich solidarisch auf die kommenden Katastrophen vorzubereiten.
       Dieser Erkenntnis folgt auch die [5][Letzte Generation]. Ihr Ansatz, die
       Klimakrise durch Eingriffe in den Alltag unverdrängbar zu machen, ist
       gescheitert.
       
       ## Zurück in die Alternativbewegung?
       
       Die Bewegung hat zwar noch nicht verraten, welchen neuen Namen sie sich
       geben will. Sprecherin Carla Hinrichs sagte im Interview mit dem Spiegel:
       „Wir waren die letzte Generation vor den Kipppunkten. Heute können wir
       nicht mehr sicher sein, dass das stimmt.“ Hinrichs sagt, in der Krise werde
       es zu Brüchen kommen und das Wirtschaftssystem Risse bekommen. „Wir haben
       ein riesiges Kartenhaus gebaut, das jederzeit zusammenstürzen kann.“
       
       Darauf vorbereitet seien aber derzeit nur jene, die die Demokratie
       abschaffen wollten. Das will die Bewegung ändern. Wie genau das aussehen
       könnte, lässt Hinrichs im Interview offen. In ihrem einzigen konkreten
       Beispiel klingt wenig politische Sprengkraft an: Bei 40 Grad nach der Oma
       nebenan zu schauen, ob diese vielleicht Hilfe brauche. [6][Doch auch andere
       Gruppen] setzen auf die gegenseitige Unterstützung in der Nachbarschaft, ob
       gegen den Stromausfall nach einem Sturm oder bei Wohnungsnot nach einem
       Hausbrand.
       
       Steckt in diesem Fokus auf die lokale Gemeinschaft ein subversives
       Potenzial oder ist es ein Rückzug ins Halbprivate, bei dem AktivistInnen
       Aufgaben übernehmen, die ein kollabierender Sozialstaat nicht mehr stemmen
       kann?
       
       Dieser Widerspruch ist nicht neu. [7][Jan Ole Arps erinnert in der
       analyse+kritik kürzlich daran], dass sich die Linke nicht das erste Mal
       nach einem Scheitern „nach innen“ wendet. Gewerkschaften wird schon seit
       ihrer Gründung „Reformismus“ vorgeworfen. Und auch als nach 1968 der Traum
       von der Revolution ausgeträumt war, fingen Linke an, das bessere Leben für
       alle im Kleinen zu versuchen: in Hausprojekten, Kinderläden,
       Kollektivbetrieben.
       
       Oft waren sie damit erfolgreich, veränderten die Pädagogik und die Kultur
       am Arbeitsplatz. Doch ihre besten Ideen konnten umso leichter vom
       dynamischen Kapitalismus vereinnahmt werden, wie die Unternehmer des
       Silicon Valley zeigen, die einst ein Produkt der Gegenkultur waren und sich
       nun Donald Trump unterwerfen.
       
       Was hilft gegen die Klimakrise: Populismus oder Preppen? Es wird wohl beide
       Ansätze brauchen. Und es ist gut, dass die Linke nach einigen Jahren der
       Ratlosigkeit in dieser Frage in Bewegung ist. Denn auf die Grünen sollte
       man sich besser nicht verlassen.
       
       15 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.surplusmagazin.de/warum-wir-einen-klimapopulismus-brauchen/
 (DIR) [2] https://www.sowi.hu-berlin.de/de/lehrbereiche/makro/mitarbeiter/dr-linus-westheuser
 (DIR) [3] https://www.progressives-zentrum.org/person/johanna-siebert/
 (DIR) [4] https://www.woz.ch/2447/klimakollaps/die-arschloch-gesellschaft-feiert-gerade-ihr-coming-out/!76KM3GWGEVSM
 (DIR) [5] /Letzte-Generation-auf-Strategiesuche/!6054542
 (DIR) [6] https://www.akweb.de/bewegung/preppa-tillsammans-aus-schweden-die-idee-des-individualistischen-preppens-ist-eine-schimaere/
 (DIR) [7] https://www.akweb.de/ausgaben/710/no-future-aber-gut-geruestet-prepping-krise-katastrophe-revolution/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kersten Augustin
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Klima
 (DIR) Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
 (DIR) Letzte Generation
 (DIR) Social-Auswahl
 (DIR) Kolumne Materie
 (DIR) Klima
 (DIR) Klima
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Dokumentation
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Was für ein beschissenes Jahr: Am besten, Sie ertränken den Dry January in trockenem Sekt
       
       Jeder Fünfte will eine rechtsextreme Partei wählen, der mächtigste Mann der
       Welt macht Jagd auf Minderheiten. Wie soll man diesen Horror verkraften?
       
 (DIR) Strategien zur Klimarettung: Klimapopulismus, ja bitte!
       
       Ernst gemeinte Klimapolitik bringt tiefgreifende Veränderungen von
       Lebensweisen mit sich. Umso wichtiger ist es, die Lasten gerecht zu
       verteilen.
       
 (DIR) Sozialwissenschaftlerin Ilona Otto: „Klimaneutralität würde uns mehr Freiheiten geben“
       
       Mit Klima ließe sich Wahlkampf machen, sagt die österreichische Forscherin
       Ilona Otto. Dafür müsste die Politik die Chancen thematisieren.
       
 (DIR) Kampf gegen die Klimakrise: Eine Hoffnung, die nicht glitzert
       
       Nach 17 Jahren Klimaaktivismus sagt Tadzio Müller: Der Kampf ist
       gescheitert. Trotzdem findet er in der Akzeptanz des Klimakollaps auch neue
       Utopien.
       
 (DIR) Doku über Klimaaktivismus: Im Widerstand gegen die Verdrängung
       
       „System Change“ porträtiert kompromisslos junge Klimaaktivist:innen.
       Gezeigt wird ihr Versuch, trotz aller Anfeindung irgendwie weiterzumachen.