# taz.de -- Im Berliner Karstadt am Hermannplatz: Mit Herrn Lehmann auf dem Weg zur Kasse
       
       > Schon der von Sven Regener beschriebene Herr Lehmann hat seine Badehose
       > im Karstadt am Herrmannplatz gekauft. Lohnt sich das immer noch? Ein
       > Ortsbesuch.
       
 (IMG) Bild: Gut auch mit dem ÖPNV zu ereichen, das Kaufhaus am Hermannplatz
       
       „Entschuldigen Sie, dass ich Sie anspreche …“, höre ich eine Stimme und
       wende mich halb um, bin aber nicht gemeint. Hinter mir steht ein älterer
       Herr, graue Haare unter Schiffermütze, in suchender Haltung über den
       Verkaufstisch mit den Sprachlern-Abreißkalendern gebeugt. Neben ihm hat
       eine Dame vergleichbaren Alters, graue Locken über Pelzmantel, Position
       bezogen und deutet auf einen Aufsteller an der Seite: „.... aber ich
       glaube, Sie wären dort drüben auch passend bedient.“
       
       Ich wende meinen Blick, um zu sehen, was sie meint. Dort hängen „Der große
       Rentner-Kalender 2025“, „Der Rentner-Planer“ und andere Kalenderwerke für
       „Rentner“. Ich bin entgeistert ob der übergriffigen Zielgruppenansprache,
       kann aber nicht beurteilen, ob der Schiffermützenträger es auch ist, denn
       er sagt nur „Jaja“ und studiert so ungerührt weiter die Sprachkalender vor
       sich, dass die Dame schnell die Flucht ergreift.
       
       Auf jeden Fall ist es ihr gelungen, mich aus meiner Bummeltrance zu reißen.
       Die Kalendersuche gebe ich vorerst auf und setze meinen Weg durch Karstadt
       am Hermannplatz fort, das für die Menschen in Berlin immer noch so heißt,
       [1][obwohl es Karstadt nicht mehr gibt], und das wohl ewig so heißen wird,
       denn Karstadt Hermannplatz gehört mindestens ebenso zu Berlin wie der
       Fernsehturm.
       
       Aber nicht erst seit der Übernahme durch Galeria wird der Kaufhaus-Anteil
       im einstigen größten Karstadt der Stadt immer kleiner. Die Buchabteilung,
       samt Kalendern, wird von Hugendubel betrieben, daneben verkauft das
       Futterhaus Tiere samt Zubehör. Und jetzt hat, das ist ein großer Eingriff,
       im Erdgeschoss auch noch eine Lidl-Filiale eröffnet. Dafür mussten etwa
       die Parfüm- und die Taschenabteilung sich radikal verkleinern, und, sehr
       doof, Karstadt Hermannplatz hat nun keinen Eingang an der Hasenheide mehr.
       Wer von dort das Kaufhaus betreten will, muss erst beim Discounter
       einkaufen.
       
       ## Wedel und Besen zu Fantasiepreisen
       
       Ich brauche aber etwas, das es bei Lidl nicht gibt und von dem ich nicht
       sicher bin, dass ich mir das Wort, mit dem ich es bezeichne, nicht doch
       ausgedacht habe, so sehr wurde in der Familie gelacht, als ich es benutzte.
       Im Weihnachtstrubel ist mir nämlich der Ceranschaber, falls er so heißt,
       abhandengekommen. Im zweiten Stock des Kaufhauses beginne ich eine
       Wanderung durch die Welt der Haushaltswaren und bestaune auf dem Weg einen
       Besenstand, wo ein Staubwedel aus Straußenfedern und ein rätselhafter
       „Spinnbesen“ zu Fantasiepreisen feilgeboten werden. Einen Ceranschaber sehe
       ich nirgendwo.
       
       „Entschuldigung, ich habe eine Frage“, kann ich eine beschäftigt aussehende
       Dame abfangen. „Ich bin auf der Suche nach einem Ceranschaber.“ Ohne mit
       der Wimper zu zucken, führt sie mich zügig um zwei Ecken und drückt mir ein
       Gerät aus Edelstahl in die Hand, das 22 Euro kosten soll und mir umgehend
       einen elektrischen Schlag versetzt. „Aua“, sage ich. „Haben Sie vielleicht
       auch einen mit Plastikgriff?“ Ich ernte einen verächtlichen Blick, aber
       immerhin erklärt sie mir den Weg zur normalpreisigen Abteilung.
       
       Der Ceranschaber, den ich dort finde, ist auch aus Edelstahl, aber viel
       billiger und an einem nicht leitenden Pappschild befestigt, auf dem „Dein
       Kochfeldreiniger“ steht.
       
       Als Belohnung für den Vernunftkauf gönne ich mir einen Ausflug in die
       Sportabteilung, um einen jahrelang vage verfolgten Gedanken in die Tat
       umzusetzen und nach einer echten Sporthose zu gucken. Gleich die erste Hose
       gefällt mir so gut, dass ich ihren Kauf beschließe, obwohl ich ja weiß,
       dass in Umkleidekabinen diese betrügerischen Trickspiegel eingebaut werden,
       in denen man schlanker und jünger erscheint.
       
       Auf dem Weg zur Kasse muss ich an Herrn Lehmann im gleichnamigen
       Sven-Regener-Roman denken, der sich bei Karstadt am Hermannplatz eine
       Badehose kauft und gefühlt unendlich über die unguten Gefühle sinniert, die
       damit verbunden sind, für diesen Einkauf seinen Kreuzberger Kiez verlassen
       zu müssen. Im weiteren Romanverlauf fungiert das Kleidungsstück nur als
       „die Neuköllner Badehose“.
       
       5 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katharina Granzin
       
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