# taz.de -- Freie Wähler im Bundestag: Aiwangers große Mission
       
       > Hubert Aiwanger will unbedingt in den Bundestag. Um sein Ziel zu
       > erreichen, nimmt sich der Chef der Freien Wähler nun ein Beispiel an der
       > Linken.
       
 (IMG) Bild: Was zeigt Aiwanger da? Vielleicht: „So groß ist unsere Chance, in den Bundestag einzuziehen“
       
       München taz | Man konnte über den Inhalt der Rede natürlich
       unterschiedlicher Ansicht sein, aber in einem Urteil dürften sich hinterher
       die meisten Beobachter einig gewesen sein: Sein Thema hatte der Redner
       gründlich verfehlt. Es war dies nicht die Regierungserklärung des
       bayerischen Wirtschaftsministers, als die sie auf der Tagesordnung des
       Landtags stand, sondern es war eine Wahlkampfrede von Hubert Aiwanger,
       Kandidat für den 21. Deutschen Bundestag.
       
       Ende November im Bayerischen Landtag: Aiwanger steht am Pult, dunkelblauer
       Anzug, weißes Hemd, keine Krawatte. 50 Minuten lang spricht er – ohne
       Manuskript, ohne Spickzettel. [1][Der bayerische Wirtschaftsminister,
       stellvertretende Ministerpräsident und Chef der Freien Wähler rechnet mit
       der Politik der Ampel ab.] Die Energiepolitik in Deutschland habe sie „an
       die Wand gefahren“, die Wirtschaft mit ideologischen Debatten gelähmt.
       Aiwanger erzählt auch noch was von einem Gastronomen, der wegen eines
       fehlenden Haselmausgutachtens jahrelang keinen Parkplatz habe bauen können.
       Er schimpft über massive Fehlanreize durch das Bürgergeld, findet, klar,
       dass Leistung sich wieder lohnen müsse. Es ist ein wilder Ritt durch die
       angeblichen Fehler der scheidenden Bundesregierung.
       
       Dass es in der Regierungserklärung eigentlich weniger um die
       Bundesregierung als um seine Arbeit, um die Wirtschaftspolitik in Bayern
       gehen sollte, ficht den Minister nicht an. Der Mann denkt nur an Berlin.
       
       Und das nicht nur bei dieser Rede. Denn Hubert Aiwanger hat ein großes
       Ziel: Wenn es nach ihm geht, war dies seine letzte Regierungserklärung im
       Landtag. Er will seine Partei in den Bundestag bringen. Und auch wenn diese
       für das Ansinnen nicht denselben Enthusiasmus aufbringt wie ihr Chef, so
       folgt sie ihm brav. Beim Bundesparteitag wählte ihn die Versammlung per
       Akklamation zum Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl. Mit 93,15 Prozent
       bestätigte sie ihn zudem im Amt des Vorsitzenden.
       
       Sollten die Wähler mitspielen, so hat Aiwanger versprochen, werde er nach
       Berlin gehen – auch wenn das bedeuten sollte, dass er künftig wieder als
       einfacher Abgeordneter in den Oppositionsreihen Platz nehmen müsste. Ein
       Leben ohne Ministerium und Dienstwagen, so die Botschaft, wäre für [2][den
       Landwirt aus dem niederbayerischen Rahstorf] kein Problem. Der 53-Jährige
       gibt sich ja ohnehin gern als Anti-Establishment, als Vertreter der
       „einfachen Leute“ im Kampf gegen „die da oben“.
       
       Dass Aiwangers Wunsch in Erfüllung geht, scheint mit Blick auf die Umfragen
       eher unwahrscheinlich. Gerade mal bei 4 Prozent sahen diese die Freien
       Wähler zuletzt in Bayern – gegenüber 7,5 Prozent, auf die sie bei der
       Bundestagswahl 2021 immerhin schon mal gekommen waren. Das ist so ungefähr
       die Größenordnung, in der sich auch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW)
       bewegt. Nur: [3][Während sich der bayerische Landesverband des BSW gerade
       erst gegründet hat,] ist Bayern Stammland und Hochburg der Freien Wähler.
       Bundesweit dagegen stoßen sie auf wenig Resonanz; 2021 kamen sie nur auf
       2,4 Prozent.
       
       Natürlich: Die Argumente, die gegen einen Erfolg der Freien Wähler auf
       Bundesebene angeführt werden, kennt Aiwanger zur Genüge. Sie wurden einst
       auch formuliert, als es um den Sprung in den Landtag ging – Aiwangers
       großes Projekt in den nuller Jahren. Niemand in der Partei, die eher ein
       Zusammenschluss freier Wählergruppen war, wollte damals an den Erfolg des
       Unternehmens glauben, geschweige denn dafür kämpfen. Die Freien Wähler
       seien in den Kommunen verankert, und da sollten sie auch bleiben, hieß es.
       Schließlich war es Aiwanger, der die Partei quasi im Alleingang ins
       Parlament und dann in die Regierung hievte. Wer also, wenn nicht er, könnte
       sie auch in den Bundestag bringen? So dürfte zumindest einer denken, er
       selbst.
       
       Ganz im Alleingang wird es diesmal aber nicht gehen. Das weiß auch
       Aiwanger, der zwar offiziell an seinem Ziel „5 Prozent plus“ festhält,
       diesem aber nun ein zweites, vielleicht realistischer erscheinendes Ziel an
       die Seite stellt: „Drei Direktmandate plus.“ Der neue Plan ist es nämlich,
       mittels der im Juli vom Bundesverfassungsgericht geretteten
       Grundmandatsklausel in den Bundestag einzuziehen – nach dem Vorbild [4][der
       „Mission Silberlocke“ der Linken].
       
       Nach Aiwangers Rechnung könnten die Freien Wähler mit mindestens 20 Sitzen
       rechnen, sollten sie drei Direktmandate erzielen. Deshalb hat er nun ein
       Kandidatenquartett präsentiert, dem das scheinbar Unmögliche gelingen soll:
       der CSU aus dem Stand drei oder besser vier Direktmandate abzunehmen. Neben
       Aiwanger selbst gehören ihm Vertreter der bayerischen Kommunalpolitik an:
       die Landräte Peter Dreier und Indra Baier-Müller sowie der Bürgermeister
       Michael Wörle.
       
       Für Dreier verzichtet Aiwanger sogar auf eine Kandidatur im eigenen
       Wahlkreis. Dreier ist seit 2014 Landrat im Landkreis Landshut, im Jahr 2020
       wurde er mit satten 73 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang im Amt
       bestätigt. Ein Heimspiel, könnte man meinen. Zum Wahlkreis gehört
       allerdings auch der Landkreis Kelheim, in dem der CSU-Mann Martin Neumeyer
       regiert; wie Dreier hier ankommen wird, ist nicht gesagt. Dreier fiel als
       Gegner der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel auf. Das einzige Mal, dass
       er bundesweit für Aufsehen sorgte, war dann auch 2016, als er 31 syrische
       Asylbewerber in einen Bus setzte und nach Berlin karrte. Der 58-Jährige
       tritt gegen Florian Oßner von der CSU an, der seit 2013 im Bundestag sitzt.
       
       Im Wahlkreis Kempten tritt die Oberallgäuer Ländrätin Indra Baier-Müller
       an. Die 53-Jährige fordert die frühere Münchner Landtagsabgeordnete
       Mechthilde Wittmann heraus, die 2018 den Wiedereinzug in den Landtag
       verpasste und drei Jahre später in den Bundestag wechselte. Außerhalb ihres
       Landkreises fiel Baier-Müller bisher kaum auf. Ähnlich verhält es sich mit
       Michael Wörle, ebenfalls Schwabe. Er ist Bürgermeister von Gersthofen,
       gewissermaßen einem Vorort von Augsburg. Nach Aiwangers Willen soll er den
       Wahlkreis Augsburg-Stadt holen. Hier macht er nicht nur dem CSU-Abgordneten
       Volker Ullrich sein Mandat streitig, sondern trifft auch auf starke
       Mitwettbewerberinnen wie Claudia Roth von den Grünen.
       
       Dem Vernehmen nach hat es weitere Landräte gegeben, die Aiwanger als
       Kandidaten gewinnen wollte. Das Interesse bei den Kommunalpolitikern war
       wohl überschaubar. Auch Aiwangers Lebensgefährtin Tanja Schweiger,
       Landrätin in Regensburg, war zwischenzeitlich im Gespräch, winkte aber ab.
       
       Aiwanger selbst hat sich den Nachbarwahlkreis Rottal-Inn ausgesucht,
       niederbayerisches Heimatland. Die Süddeutsche Zeitung will herausgefunden
       haben, [5][dass es in diesem Wahlkreis so viele Bauern gibt wie nirgends
       sonst in Bayern]. Ein Wahlkreis also wie geschaffen für Aiwanger. Bei der
       Landtagswahl im vergangenen Jahr gaben hier mehr Wähler den Freien Wählern
       ihre Stimme als der CSU. Ein weiterer Vorteil für Aiwanger: CSU-Veteran Max
       Straubinger, der 30 Jahre lang das Direktmandat geholt hat, tritt nicht
       mehr an. Stattdessen haben die Christsozialen Günter Baumgartner, einen
       weitgehend unbekannten Bürgermeister einer 2.000-Einwohner-Gemeinde, als
       Kandidaten aufgestellt.
       
       Zwei Fragen allerdings bleiben bei Aiwangers Kampf um Berlin offen. Zum
       einen: Warum will er überhaupt in den Bundestag? Schließlich fremdelt der
       Niederbayer mit der Bundeshauptstadt noch mehr als CSU-Chef Markus Söder;
       zudem würde er gegenüber seiner jetzigen Rolle einen Bedeutungsverlust
       riskieren. Zum anderen: Warum sollten ihn die Wähler im Bundestag wollen?
       
       Ihnen will Aiwanger seine Partei als mögliche Regierungspartnerin der Union
       schmackhaft machen, möglicherweise in einem Dreierbündnis mit der FDP. Nur
       so könne eine Beteiligung von SPD oder Grünen an der nächsten
       Bundesregierung verhindert werden. Was der Freie-Wähler-Chef freilich außer
       Acht lässt: Die nötigen Stimmen wird seine Partei kaum im rot-grünen Lager
       finden. Stattdessen ginge ein Erfolg Aiwangers wohl auf Kosten der Union.
       Fast ein Nullsummenspiel also.
       
       Daher wird auch Söder nicht müde zu betonen, dass jede Stimme für die
       Freien Wähler eine verschenkte sei. Aiwanger möge bitte da bleiben, wo er
       hingehöre. Sein Platz sei in Bayern. Was Söder einst wenig glaubhaft von
       sich selbst behauptete, sagt er nun umso überzeugter von seinem
       Wirtschaftsminister.
       
       Die CSU versucht indes die Konkurrenz durch die Freien Wähler
       runterzuspielen, verweist auf deren mickrige Umfragewerte, aber so ganz
       geheuer sind ihr Aiwangers bundespolitischen Umtriebe nicht. Die Sorge ist
       nicht von der Hand zu weisen: Die Freien Wähler könnten Stimmen aus dem
       bürgerlichen Lager abgreifen, die am Ende zu wenig sein mögen, um ihnen den
       Einzug in den Bundestag zu sichern, aber genug, um der CSU zu schaden. Der
       könnten im schlimmsten Fall die entscheidenden Stimmen für ein Direktmandat
       fehlen oder zum Erreichen der Fünfprozentmarke. Die entscheidet zwar dank
       der vielen zu erwartenden Direktmandate der CSU nicht darüber, ob die
       Partei in den Bundestag kommt, hat aber einen starken symbolischen Wert.
       
       1 Jan 2025
       
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