# taz.de -- Ökonom über Sanktionen gegen Russland: „Russland wird immer probieren, die Sanktionen zu umgehen“
       
       > Mit gezielten Maßnahmen gegen Öltanker versucht die EU erneut, Russlands
       > Wirtschaft in die Knie zu zwingen. Doch das ist nicht einfach, sagt der
       > Handelsökonom Julian Hinz.
       
 (IMG) Bild: Greenpeache-Aktivist*innen demonstrieren im April 2024 in der Ostsee vor einem Schiff, das russisches Öl transportiert
       
       taz: Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union bereiten laut
       Medienberichten ein 15. Sanktionspaket gegen Russland vor. Inwieweit
       können Wirtschaftssanktionen Russland schwächen? 
       
       Julian Hinz: Es ist wichtig, dass man darüber nachdenkt, was man mit diesen
       Sanktionen bezwecken möchte. Und ich glaube, dass es in der deutschen und
       auch europäischen Öffentlichkeit falsche Erwartungen gab. Sanktionen können
       Russland wirklich empfindlich schwächen, aber sie werden niemals die
       russische Wirtschaft komplett zum Erliegen bringen. Wir sanktionieren seit
       60 Jahren Nordkorea, und das zappelt weiter. Was diese Sanktionen
       tatsächlich bewirken können, ist, dass sie es deutlich kostspieliger und
       schwieriger machen für Russland, weiter diesen Krieg zu führen. Ohne diese
       sähe die Ukraine ganz anders aus.
       
       taz: Die Vertreter*innen der EU-Staaten diskutieren ein schärferes
       Vorgehen gegen die sogenannte russische Schattenflotte, die Öl und
       Ölprodukte aus Russland exportiert. Wie wichtig sind die Rohölexporte für
       die russische Wirtschaft? 
       
       Hinz: Russland ist ein Rohstoffexporteur. Es ist das Businessmodell der
       russischen Wirtschaft, Öl und Gas zu verkaufen. Und das hat die EU mit den
       Sanktionen schon relativ empfindlich getroffen. Besonders, weil Westeuropa
       und vor allem Deutschland zu den größten Abnehmern gehörten. Gleichzeitig
       hat aber natürlich eine Verknappung des Angebots zur Folge, dass der Preis
       für ein Barrel Öl gestiegen ist. Das heißt, das, was Russland noch
       verkaufen konnte, besonders nach Indien oder China, wurde teilweise auch zu
       höheren Preisen verkauft, als es vorher der Fall war. Somit ist weiterhin
       relativ viel Geld in die russischen Staatskassen geflossen.
       
       taz: Können Sie das beziffern? Wie viel hat Russland in den letzten zwei
       Jahren durch Rohstoffexporte eingenommen? 
       
       Hinz: Nach Schätzungen eines finnischen Forschungsinstituts hat Russland
       seit Anfang 2022 immer noch fast 800 Milliarden Euro durch Rohstoffexporte
       einnehmen können – davon circa 200 Milliarden durch Verkäufe in die EU.
       
       taz: [1][Auch Greenpeace warnt vor der russischen Schattenflotte]. Es sind
       alte, oft marode Tanker, die täglich russisches Öl durch die Ostsee
       transportieren und weltweit verkaufen. Welche Risiken bergen diese
       Frachter? 
       
       Hinz: Normalerweise, wenn große Mengen Öl transportiert werden, müssen
       diese durch Versicherungen gedeckt sein, um Umweltschäden oder Unfälle
       abzusichern. Bei der sogenannten Schattenflotte handelt es sich um alte
       Frachter, die weder im Besitz westlicher Reedereien sind noch durch
       etablierte internationale Versicherungen gedeckt werden. Oftmals werden
       Versicherungen aus weniger regulierten Ländern genutzt, was die Transparenz
       erheblich reduziert. Dies macht es schwierig, den Ursprung des Öls
       nachzuverfolgen oder Verantwortlichkeiten zu klären. Diese Schiffe bergen
       erhebliche Risiken für die Umwelt, insbesondere weil sie oft schlecht
       gewartet sind. Sollte Öl aus diesen Tankern ins Meer gelangen, wären die
       Schäden enorm, und rechtlich wäre es schwierig festzustellen, wer haftbar
       gemacht werden kann.
       
       taz: Weiß man, wie viele Frachter Russland einsetzt? 
       
       Hinz: Inzwischen sind es knapp 300 Schiffe, die sie vermutlich unter
       eigener Regie haben. Das gesamte System der Schattenflotte, also auch mit
       Schiffen, die Iran oder Venezuela gehören, ist weitaus größer. Es gibt
       Experten, die von fast 900 Schiffen weltweit insgesamt ausgehen, die
       außerhalb der gesetzlichen Vereinbarungen Öl und Gas verschiffen.
       
       taz: Großbritannien hat schon Anfang der Woche 30 von diesen Schiffen auf
       die Sanktionsliste gesetzt, und die EU plant sehr wahrscheinlich bis zu 50
       Frachter zu sanktionieren. Wie sinnvoll ist diese Entscheidung bei dieser
       Anzahl von Frachtern? 
       
       Hinz: Es ist manchmal nicht so ganz einfach zu erkennen, welche Schiffe zu
       dieser Schattenflotte gehören. Daher kann man nicht alle auf einmal
       sanktionieren. Ich habe von 48 weiteren gehört, von denen man jetzt recht
       sicher ausgeht, dass sie eben genau dazu gehören.
       
       taz: [2][Im Einklang mit den EU-Staaten haben sich die G7-Staaten und
       Australien auf eine Preisdeckelung von 60 Dollar pro Barrel geeinigt.] Laut
       Kyiv School of Economics wurden etwa [3][im Oktober 2023 99 Prozent über
       der Preisdeckelung] verkauft. Wie kann das sein? 
       
       Hinz: Russland verkauft sein Öl einfach an andere Staaten, die weder zur EU
       noch zu den G7 gehören. Da finden die Händler dann andere Vertragsklauseln,
       die die Preisdeckelung umgehen. Man muss sagen, dass dieses Geschäft recht
       undurchsichtig ist. Wenn man sich die russischen Staatseinnahmen anschaut,
       dann gibt es anscheinend immer Käufer, etwa China und Indien, die den
       Preisdeckel umgehen.
       
       taz: Und wie funktioniert das dann? 
       
       Hinz: Russland umgeht den Preisdeckel, indem es Öl über diese
       Schattenflotte oder Drittstaaten wie China und Indien verkauft, die sich
       nicht an die Regelung gebunden fühlen. Oft werden Lieferungen
       verschleiert, etwa durch Schiff-zu-Schiff-Transfers auf hoher See, oder
       alternative Zahlungsmethoden genutzt. Teilweise werden anscheinend auch
       offizielle Abfertigungspapiere mit falschen Informationen – also Preisen
       unter dem Preisdeckel – versehen, obwohl höhere Preise gezahlt werden.
       Gleichzeitig ermöglicht die mangelnde Transparenz bei solchen Geschäften,
       dass Käufer und Transportwege kaum nachvollziehbar sind.
       
       taz: Ist es denn überhaupt sinnvoll, dass es diese Preisdeckelung gibt
       anstelle von weitreichenden internationalen Einfuhrverboten? 
       
       Hinz: Wie will man das Russland verbieten? Russland kann natürlich seine
       Schiffe voll haben mit Öl oder auch Gas und damit andere Länder, die nicht
       sanktionieren, beliefern. Das ist schon schwierig. Es sei denn, man möchte
       physisch eine Blockade errichten. Aber das ist auch kaum machbar. Russland
       hat Häfen sowohl im Schwarzen Meer als auch in der Ostsee, im Arktischen
       Ozean und im russischen Fernen Osten.
       
       taz: [4][Das letzte Sanktionspaket beschloss die EU im Juni]. Warum
       braucht es in diesem Jahr einen weiteren Beschluss? 
       
       Hinz: Das Problem ist, dass die EU-Staaten ihre Sanktionen gegen ein sich
       ständig anpassendes Russland beschließen. Russland wird immer probieren,
       diese Sanktionen zu umgehen – was aus russischer Sicht auch rational ist.
       Das bedeutet, dass solche Sanktionspakete zwar technisch gut durchdacht
       sind, aber dennoch immer wieder angepasst werden müssen. Die EU kann nicht
       von heute auf morgen ein umfassendes und finales Sanktionspaket umsetzen.
       Es gab zum Beispiel bis Ende 2022 Übergangsfristen für bestehende
       vertragliche Exporte, die dann ausliefen. Erst 2023 wurde der Import von
       russischem Rohöl vollständig untersagt. Abgesehen davon, gibt es noch ein
       paar andere Punkte, an denen man recht deutlich ansetzen könnte.
       
       taz: Welche wären das? 
       
       Hinz: Wir könnten versuchen, die Zahlungswege, über die der Gas- und
       Ölhandel läuft, zu stoppen. Das passiert auch immer häufiger. Vor zwei
       Wochen sanktionierten die Amerikaner die Gazprom Bank, den größten noch
       verbliebenen Zahlungsweg. Das macht es eben schwieriger, überhaupt noch
       Russland für das verkaufte Öl zu bezahlen. Auch Firmen aus dem EU-Ausland
       mit europäischer Beteiligung sollten nicht mehr mit Russland interagieren
       dürfen. Falls sie weiterhin mit Russland handeln, könnten die europäischen
       Anteilseigner belangt werden.
       
       Ein weiterer Punkt sind europäische Exporte in Drittländer. Es gibt immer
       wieder Berichte über technische Bauteile, die auf einmal nach Kasachstan
       oder Zentralasien geschickt werden. Und von dort finden sie dann zufällig
       ihren Weg weiter nach Russland. Da könnte die EU noch genauer hinschauen,
       beispielsweise indem ungewöhnliche Handelsströme automatisch identifiziert
       und dann hinterfragt werden. Gleichzeitig muss auch betont werden, dass so
       nur 15 bis 20 Prozent von dem vorherigen Handel mit Russland umgeleitet
       werden, und das zu erheblich höheren Preisen.
       
       3 Dec 2024
       
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