# taz.de -- Kritik am Deutschen Ethikrat: Bisschen viel Gott
       
       > Im Ethikrat sitzen auffällig viele Leute mit religiösem Hintergrund. Das
       > ist bei Themen wie Sterbehilfe bedenklich. Ist das Gremium noch
       > zeitgemäß?
       
 (IMG) Bild: Die ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrates Prof. Dr. Alena Buyx
       
       Monatelang war der [1][Deutsche Ethikrat] nicht arbeitsfähig, da es [2][die
       Bundesregierung] versäumt hatte, neue Mitglieder für das Gremium
       vorzuschlagen, obwohl dies mehrfach angemahnt wurde. Erst im Oktober 2024
       berief Bundestagspräsidentin Bärbel Bas die neuen Mitglieder für vier
       Jahre.
       
       Doch wer sind eigentlich die Personen, die, wie vom Gesetzgeber gefordert,
       über „ethische, gesellschaftliche, naturwissenschaftliche, medizinische und
       rechtliche Fragen sowie die voraussichtlichen Folgen für Individuum und
       Gesellschaft“ beraten, „die sich im Zusammenhang mit der Forschung und den
       Entwicklungen insbesondere auf dem Gebiet der Lebenswissenschaften und
       ihrer Anwendung auf den Menschen ergeben“?
       
       Ursprünglich als Nationaler Ethikrat gegründet, agiert der Deutsche
       Ethikrat auf Grundlage des 2007 verabschiedeten [3][Ethikratgesetzes].
       
       Die Mitglieder sind unabhängig und werden je zur Hälfte vom Bundestag sowie
       von der Bundesregierung für höchstens zwei Amtsperioden berufen.
       
       Da die Mitglieder von den im Bundestag vertretenen Parteien vorgeschlagen
       werden, fällt die Wahl meistens auf Personen, die die jeweiligen
       parteipolitischen Interessen vertreten und ähnliche Weltanschauungen
       teilen.
       
       Schließlich steht die ethische Deutungshoheit der Bundesrepublik auf dem
       Spiel. Egal ob Juristen, Naturwissenschaftler, Informatiker oder Mediziner
       – die Politik nutzt stets ihr Vorschlagsrecht, um Einfluss auf die
       Zusammensetzung und damit die Empfehlungen des Ethikrates sicherzustellen.
       
       ## Heftige Kontroversen in Covid-19-Pandemie
       
       Das Verfahren erinnert dabei an die Entscheidungen der
       Richterwahlausschüsse auf Landes- und Bundesebene. Da der von der AfD
       vorgeschlagene Gynäkologe Ronald Weikl vom Bundestag abgelehnt wurde,
       umfasst der Ethikrat gegenwärtig nur 25 statt der vorgesehenen 26
       Mitglieder.
       
       Der Ethikrat beschäftigte sich in den letzten Jahren immer wieder mit
       wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen wie Inzestverbot, Suizidalität,
       Klimagerechtigkeit, aber auch mit Themen wie künstliche Intelligenz und
       Impfpflicht – Letzteres führte während der Covid-19-Pandemie zu heftigen
       Kontroversen.
       
       Im Deutschen Ethikrat sollten laut Gesetzgeber unterschiedliche ethische
       Ansätze und ein plurales Meinungsspektrum vertreten sein. Ein Blick auf die
       25 Mitglieder zeigt jedoch, dass dieser Anspruch auch in der aktuellen
       Besetzung des Gremiums nur unzureichend erfüllt wird. Auffallend ist, dass
       weiterhin eine große Anzahl Theologen vertreten ist, während mit Mark
       Schweda nur ein einziger Philosoph im Gremium sitzt. Das wirft die Frage
       auf, ob der Ethikrat noch zeitgemäß und repräsentativ für die deutsche
       Gesellschaft ist.
       
       Zu den für eine erste oder zweite Amtszeit berufenen Mitgliedern gehören
       die Regionalbischöfin Petra Bahr, die Theologin Kerstin Schlögl-Flierl
       sowie Muna Tatari, eine islamische Theologin, die mit einer Arbeit zum
       Thema Gott und Mensch im Spannungsverhältnis von Gerechtigkeit und
       Barmherzigkeit promoviert hat.
       
       Die Amtszeit von Elisabeth Gräb-Schmidt, einer weiteren Theologin, ist noch
       nicht abgelaufen. Zudem soll der katholische Moraltheologe Jochen
       Sautermeister im Februar kommenden Jahres dem dann ausscheidenden Armin
       Grunwald nachfolgen.
       
       Abgesehen von diesen fünf Theologen gibt es noch mehrere Mitglieder, die
       explizit dem religiösen Spektrum zuzuordnen sind. So studierte der von der
       FDP vorgeschlagene Nils Goldschmidt Theologie und
       Wirtschaftswissenschaften, war Gastprofessor für christliche Sozialethik an
       der Theologischen Fakultät der Katholischen Universität
       Eichstätt-Ingolstadt und ist Vorstandsmitglied der Görres-Gesellschaft.
       
       Diese Gesellschaft hat es sich zum Ziel gesetzt, wissenschaftliches Leben
       in verschiedenen Fachgebieten zu fördern, „im Bewusstsein ihres im
       katholischen Glauben wurzelnden Gründungsauftrages“.
       
       Annette Riedel hat an der Evangelischen Fachhochschule für Sozialwesen in
       Freiburg im Breisgau studiert, leitete später eine evangelische
       Berufsschule und ist seit 2018 Mitglied in der Ethikkommission des
       Johanniterordens. Der Mediziner Josef Schuster, Präsident des Zentralrats
       der Juden, betrachtet ethische Fragen ebenfalls aus einer religiösen
       Perspektive.
       
       Das religiöse Spektrum geht noch weiter: Der von der CDU vorgeschlagene
       Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing hat die Besonderheiten des
       Arbeitsrechts, wie es für kirchliche Arbeitgeber, die Diakonie und die
       Caritas gilt, wiederholt erklärend verteidigt. Er hat an der Ausarbeitung
       der liberalisierten „Grundordnung des kirchlichen Dienstes“ mitgewirkt.
       
       Der Palliativmediziner Winfried Hardinghaus, der vor allem an katholischen
       Krankenhäusern tätig war, lehnt Suizidbeihilfe entschieden ab. Der
       Soziologe Armin Nassehi, ein bekennender Christ, ist überzeugt: „Es war
       aber eben auch Gottes Wille, dass der Mensch frei ist. Gott hat so der Zeit
       und der Geschichte einen unvorhersagbaren Verlauf gegeben. So ist eine von
       dem Allmächtigen gewollte Unbestimmtheit in seine Schöpfung gekommen.“
       
       Die Kölner Strafrechtlerin Frauke Rostalski hat zwar keinen explizit
       religiösen Hintergrund, vertritt jedoch eine strikte Position gegen die
       Streichung des § 218 (Abtreibungsparagraf) aus dem Strafgesetzbuch. Zudem
       hat sie wiederholt Einwände gegen das geplante Verbot der sogenannten
       Gehsteigbelästigung formuliert, das Aktivisten gesetzlich verbieten soll,
       Frauen auf dem Weg zu einer Abtreibung auf der Straße anzusprechen, um sie
       von ihrem Vorhaben abzubringen. By the way: Frauke Rostalski zog auf dem
       FDP-Ticket in den Ethikrat ein.
       
       ## Teile der Bevölkerung unberücksichtigt
       
       Nahezu die Hälfte der Bundesbürger ist gegenwärtig konfessionslos. Dieser
       Umstand wird bei der Besetzung des Deutschen Ethikrats jedoch völlig
       ignoriert. Gerade bei kontroversen Themen wie der Sterbehilfe oder Fragen
       zu reproduktiven Rechten sollte auch die Perspektive konfessionsloser und
       säkularer Menschen vertreten sein.
       
       Ulla Wessels, die Praktische Philosophie an der Universität des Saarlandes
       lehrt und Vorstandsmitglied der Giordano-Bruno-Stiftung ist, wäre
       beispielsweise eine gute Wahl gewesen. Ohne die Berücksichtigung dieser
       Stimmen entsteht das Risiko ethischer Empfehlungen, die die Interessen und
       Überzeugungen eines großen Teils der Bevölkerung unberücksichtigt lässt.
       
       Es ist zweifellos wichtig, ethische Fragen aus naturwissenschaftlicher und
       medizinischer Perspektive zu beurteilen, doch ebenso bedeutsam sind
       philosophische Diskurse, die frei von religiösem Einfluss sind und sich auf
       eine rationale, überkonfessionelle Basis stützen.
       
       Die Ethik ist ein Teilbereich der Philosophie. Sie setzt sich rational mit
       den Grundlagen und Bewertungen menschlichen Handelns auseinander. Gerade
       angesichts der komplexen und oft polarisierten Debatten unserer Zeit – von
       Sterbehilfe und Embryonenforschung bis hin zu digitalen Rechten und
       künstlicher Intelligenz – bedarf es eines Ethikrats, der unterschiedliche
       weltanschaulichen Ansätze ausgewogen berücksichtigt.
       
       Nur so kann das Gremium wirklich als Stimme der Gesellschaft agieren und
       fundierte Empfehlungen bieten, die sowohl Mitglieder religiöser
       Gemeinschaften als auch säkulare Teile der Bevölkerung ansprechen.
       
       Wenn die Parteien bei der Kandidatenkür zum Ethikrat jedoch weiterhin
       ausschließlich eigene Interessen verfolgen und konfessionelle Positionen
       übergewichten, läuft dieses bedeutende Gremium Gefahr, seine Legitimation
       und gesellschaftliche Akzeptanz zu verlieren.
       
       Um in einer pluralistischen Gesellschaft wirklich repräsentativ und
       glaubwürdig zu sein, sollte der Ethikrat die Vielfalt ethischer Standpunkte
       umfassender widerspiegeln.
       
       15 Nov 2024
       
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