# taz.de -- Neuköllner Nazi-Prozess: Das Opfer auf der Anklagebank
       
       > Im Berufungsprozess zum Neukölln-Komplex sagt Ferat Koçak als Zeuge aus.
       > Die Anwälte der Neonazis versuchen, seine Glaubwürdigkeit infrage zu
       > stellen.
       
 (IMG) Bild: Ferat Koçak beim Auftakt des Berufungsprozesses
       
       Er könne bei dem Prozess nur verlieren, so der Linken-Abgeordnete Ferat
       Koçak vor dem Landgericht im [1][Berufungsverfahren zum Neukölln-Komplex].
       Sollten die beiden angeklagten Neonazis schuldig gesprochen werden,
       befürchte er „Racheaktionen“, bei einem Freispruch könnten sich die Täter
       zu neuen Anschlägen „motiviert fühlen“. Eine „Lose-lose-Situation“. Deshalb
       wolle er nur, „dass das alles endlich aufhört“ – seiner angeschlagenen
       psychischen Gesundheit zuliebe.
       
       Doch Koçak, Opfer eines [2][Brandanschlages im Februar 2019] auf sein an
       seinem Einfamilienwohnhaus in Rudow abgestelltes Auto, musste sich am
       Montag zum wiederholten Male detailliert mit dieser Nacht und ihren Folgen
       auseinandersetzen. Fast fünf Stunden lang stand er dem Gericht, seiner
       Anwältin, die den Prozess als Nebenklägerin begleitet, und den Anwälten der
       angeklagten Neonazis Sebastian T. und Tilo P. Rede und Antwort.
       
       Zuweilen musste er sich dabei vorkommen, als sei er selbst auf der
       Anklagebank. Mirko Röder, Verteidiger von P., wollte schon zu Beginn eine
       Belehrung Koçak s durch die Richterin erreichen, weil dieser öffentlich von
       einem „rechtsextremen Netzwerk in Justiz und Polizei“ spreche. Das Gericht
       folgte dem Ansinnen nicht, doch in ihren Befragungen setzten Röder sowie
       seine Kollegen Carsten Schrank und Gregor Samimi weiter darauf, die
       Glaubwürdigkeit Koçak s infrage zu stellen, etwa hinsichtlich
       unterschiedlicher Angaben zur Uhrzeit, wann Koçak am Tattag nach Hause
       gekommen war.
       
       Röder provozierte Koçak etwa mit Fragen, ob dieser als Mitglied der Linken
       in der richtigen Partei sei, wenn er sich doch gegen Antisemitismus
       einsetze, ob er sich verstrickt habe in eine Doppelrolle als Geschädigter
       und ehemaliges stellvertretendes Mitglied des
       Neukölln-Untersuchungsausschusses oder ob er den Freispruch hinsichtlich
       der Brandanschläge in der ersten Instanz als „Farce“ bezeichnet hatte.
       
       ## Viele offene Fragen
       
       Koçak selbst verwies wiederholt auf die offenen Fragen in den Ermittlungen,
       etwa nach einem [3][vermeintlichen Treffen eines Kriminalbeamten mit einem
       der Hauptangeklagten], nach einem [4][ehemaligen Oberstaatsanwalt, der
       gegenüber Tilo P. durchblicken lassen haben soll, selbst AfD-nah zu sein],
       oder aber auch der ausgebliebenen Warnung durch die Sicherheitsbehörden,
       die wussten, dass sein Wohnort ausspioniert worden war.
       
       Als Letzteres Ende 2019 bekannt wurde, sei er, so Koçak, „zum zweiten Mal
       Opfer des Anschlags geworden“. Er berichtete, wie er nach dem Anschlag „das
       Vertrauen in die Welt verloren habe“, seinen Job an einer Hochschule verlor
       und nur aus persönlichem Schutzinteresse den Weg in die Öffentlichkeit ging
       und zum Abgeordneten wurde. Wirklich neue Erkenntnisse brachte die
       Befragung derweil nicht.
       
       Vor einer Woche hatte die Generalstaatsanwaltschaft die [5][Wohnungen von
       Sebastian T. und Tilo P. aufgrund zweier weiterer noch nicht gerichtlich
       verhandelter Brandanschläge durchsuchen lassen]. Betroffen von den Razzien
       war mit Julian B. auch ein dritter polizeibekannter Neonazi. Carsten
       Schrank, Verteidiger von Sebastian T., hatte daraufhin erfolglos die
       Aussetzung des Prozesses gefordert, schließlich könnte der Verdacht gegen
       B. seinen Mandanten im laufenden Prozess auch entlasten.
       
       Auch das zweite Opfer der untersuchten Anschläge, der Buchhändler Heinz
       Ostermann, begann am Montagnachmittag mit seiner Zeugenaussage. Auf einer
       Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude sagte er, die Chancen auf eine
       Verurteilung der Neonazis stünden schlecht. Dies führe dazu, dass diese
       „sich in Sicherheit fühlen und die Anschläge weitergehen“. Erst Ende
       Oktober waren an seinem Auto zwei Reifen zerstochen worden.
       
       11 Nov 2024
       
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