# taz.de -- Die Leere nach der US-Wahlnacht: Liebeskummer über die Zukunft, die hätte kommen sollen
       
       > Unsere Kolumnistin hat den Wahlkampf in den USA begleitet. Ihre letzte
       > Kolumne über die Stille in der Wahlnacht und wie es jetzt weitergehen
       > muss.
       
 (IMG) Bild: Luisa Neubauer reiste durch die USA auf der Suche nach dem Aktivismus von morgen – und schrieb hier jede Woche darüber
       
       Es war leise in Washington, D. C., als die amerikanische Demokratie sich in
       die Hände eines [1][rechtsextremen Sexualstraftäters] übergab. Es war so
       leise, auf den Straßen hörte man den Wind in den Bäumen, CNN durch die
       Wohnzimmerfenster, Hundegebell in der Ferne. Was man nicht hörte: Wörter,
       die diesem Moment gewachsen waren.
       
       Eine Stunde bin ich in der Nacht durch die Hauptstadt gelaufen, auf dem Weg
       zur Wahlfeier von [2][Kamala Harris]. Auch dort: Sprachlosigkeit.
       Stundenlanges Warten auf die Rede der Beinahe-Präsidentin, die dann doch
       nicht kam.
       
       Liebeskummer ist das Gefühl, das dieser Nacht vielleicht am nächsten kam.
       [3][Liebeskummer], weil man eine Zukunft vermisst, die hätte kommen sollen.
       Weil man sich nach einer Vergangenheit sehnt, die rückblickend ein Abschied
       war. Und überall diese bodenlose Ungewissheit über alles, was kommt.
       
       Es dauerte keinen halben Tag, bis das ganze Internet nach dem Schuldigen
       suchte. Waren es die Frauen, die Latinos, die jungen Leute, waren es die
       Linken oder Rechten? Man kennt sie, die reflexhaften Beschuldigungen nach
       einer Zurückweisung.
       
       Am selben Abend, als die USA ihren Mann an der Spitze gegen einen
       Faschisten eintauschten, fand Deutschland heraus, dass es überhaupt einen
       Mann an der Spitze gibt. [4][Die Trennung, die Olaf Scholz ankündigte],
       verursachte zwar alles andere als Liebeskummer, aber auch hier: die
       [5][Suche nach Schuldigen] und die Befürchtung, dass wir die Ampel in einem
       Deutschland unter Friedrich Merz noch mal vermissen werden.
       
       Es werden hektische Monate, in den USA, aber auch in Deutschland. Zyniker
       werden aus der Lage eine Vergeblichkeit ableiten, entscheiden, dass ein
       Teil der Welt verloren ist. All das ist ein Versuch, nicht wieder
       enttäuscht zu werden.
       
       ## Der Autoritarismus setzt auf Ermüdung
       
       Als ich in der Nacht Saul Levin, einen amerikanischen Aktivisten fragte,
       wie er auf das Ergebnis reagiert, sagt er: „I don’t know, I need to think.“
       Er weiß es nicht, er muss nachdenken. In der kurzen Nachricht steckt eine
       große Weisheit. Wir wissen so vieles nicht, auch in Deutschland. Wir wissen
       nicht, wie Klimaschutz durch eine Neuwahl gerettet oder soziale
       Gerechtigkeit inmitten des Rechtsrucks erkämpft werden kann. Wir wissen
       nicht, wie die AfD gestoppt oder ein progressives Lager vereint werden
       kann. Wir wissen nicht, was kommt.
       
       Umso wichtiger, sich einen Augenblick zu nehmen. Um zu denken und zu
       fühlen. Um Vorsätze zu fassen, die nicht aus Reflex, sondern aus Reflexion
       erwachsen. Um womöglich festzustellen: Wer in der Demokratie ohne Schmerz
       bleiben will, der darf nicht hoffen, der darf nicht kämpfen, denn das geht
       einher mit Enttäuschung, mit Rückschlägen. Zynismus erwartet das
       Schlechteste von der Welt und wird exakt das in ihr finden.
       
       Und genau das macht Zynismus so wahnsinnig unrealistisch. Denn wer genau
       hinguckt, der findet eine Welt, in der Menschen auch in der Dunkelheit über
       sich hinauswachsen. In den nächsten Monaten, so vermute ich, wird es viel
       darum gehen, die Bedingungen zu schaffen, in denen Menschen wieder mutig
       sein wollen, sich begeistern für etwas, das vielleicht sein könnte.
       
       ## „I am so tired“
       
       In den USA wird das heißen, die Wahrheit, die Zivilgesellschaft, die
       Lebensgrundlagen und die Minderheiten zu verteidigen und Strukturen zu
       schaffen, die die rechtsextremen Einschnitte abwehren können – ob bei der
       [6][Pressefreiheit], der Versammlungsfreiheit oder den rechtlichen
       Absicherungen von Bewegungen und Organisationen.
       
       Unter Trump werden wir erkennen, warum große Krisen längst nicht mehr
       automatisch zu großer Gegenwehr und vereinten Massen führen. „I am so
       tired“ war der Satz, den ich in der Wahlnacht am häufigsten gehört habe.
       Der Autoritarismus setzt auf diese Ermüdung. Immer wieder entfacht er neue
       Feuer, die ablenken und auszehren.
       
       Wir werden live erleben, wie unwahrscheinlicher Wandel täglich noch
       unwahrscheinlicher wird. Schlicht, weil Hoffnung immer teurer wird und Mut
       Schritt für Schritt unbezahlbar. In Deutschland gibt es eine gewisse
       Tendenz, auf all das zu starren – angeekelt, fasziniert – und nebenbei zu
       vergessen, etwas daraus zu lernen. Aktivismus und der Kampf für gerechten
       Wandel ist das Spiel mit Wahrscheinlichkeiten und auch für uns steht die
       große Frage im Raum, wie die Wahrscheinlichkeit gesteigert werden kann,
       dass Protest wieder wirkt, dass Bewegungen gesellschaftliche Realitäten
       verändern.
       
       Auch in Deutschland sind unter der Ampel Räume des Protestes geschrumpft,
       durch verschärfte Versammlungsgesetze, durch rhetorische und gesetzliche
       Kriminalisierung von friedlichem Protest. Und auch die Wahrheit ist unter
       Beschuss, die Klimaleugnung hat ein Comeback, ein ehemaliger Finanzminister
       schien sich zuletzt nicht einmal zu schämen, als er vorschlug, die
       deutschen Klimaziele zu streichen. Die USA zeigen gerade unübersehbar, wie
       viel es in Deutschland zu schützen und bewahren gibt.
       
       Also legen wir los, mit dem Denken, dem Fühlen, dem Machen, als hätten wir
       eine Demokratie und mit ihr eine Chance auf echten Klimaschutz zu
       verlieren. Am 7. November schrieb Saul auf X, ehemals Twitter: „Wir
       überlegen einen Klimaprotest zu organisieren, meldet euch, wenn ihr mit uns
       etwas auf die Beine stellen wollt.“ Innerhalb von einem Tag meldeten sich
       erst ein paar, dann immer mehr Menschen. Wir wissen so vieles nicht, und
       das ist eine gute Nachricht.
       
       8 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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