# taz.de -- Friedenspreis für Anne Applebaum: Globalisierung, Krieg und Propaganda
       
       > Am Sonntag wird Historikerin Applebaum in Frankfurt geehrt. Ihr Buch „Die
       > Achse der Autokraten“ zeigt, wie China und Russland den Westen
       > unterwandern.
       
 (IMG) Bild: Angriff als Verteidigung: Wladimir Putin und Chinas Xi Jinping fürchten die Demokratie. Hier nach dem Treffen, Shanghai 2014
       
       Eine der großen Illusionen nach Ende des Kalten Krieges lag darin, den
       Zusammenbruch der Sowjetunion gleichbedeutend mit einem globalen Siegeszug
       von liberaler Demokratie und Menschenrechten zu deuten. Die
       amerikanisch-polnische Historikerin Anne Applebaum beschreibt in ihrem
       Buch „Die Achse der Autokraten“ den Optimismus in den 1990ern.
       
       Der Politologe Francis Fukuyama hatte die griffige Formel vom „Ende der
       Geschichte“ geprägt. Marktwirtschaft, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie
       seien künftig konkurrenzlos und quasi durchgesetzt. Was für ein
       Trugschluss.
       
       Von solch Annahmen sind wir drei Jahrzehnte später weit entfernt.
       Demokratiebewegungen in Venezuela, Nicaragua, Kuba, Belarus, Simbabwe,
       Nordafrika, Syrien, Iran oder Hongkong wurden niedergeschlagen.
       Polizeilich-militärisch und verleumdet. In Syrien hat ein Massenmörder wie
       Assad ein ganzes Land zerstört. Mithilfe von Russland, Iran und
       libanesischer Hisbollah, dabei sogar Giftgas eingesetzt, ohne dass die
       Weltgemeinschaft eingegriffen hätte.
       
       Im Gegenteil. Immer mehr Staaten schlossen sich seither dem Bündnis ruch-
       und gesetzloser Autokratien an. China ist neben Russland der aggressive
       Leader. Und seit Russlands Invasion in die Ukraine scheint alles wieder
       möglich. Staaten wie Indien, Türkei, Brasilien oder Südafrika taumeln,
       können sich nicht entscheiden, wo sie ihre Zukunft sehen.
       
       ## Verstörende Rhetorik
       
       Die brachial nationalistische Rhetorik klingt allenthalben verstörend.
       Millionen Menschen befinden sich auf der Flucht vor den von Autokraten
       angezettelten Kriegen und Bürgerkriegen. Wollen häufig in den so viel
       gescholtenen Westen, bei dem sich ebenfalls die Extremen regen.
       
       Mit all diesen wenig erfreulichen Phänomen beschäftigt sich die Publizistin
       Anne Applebaum. In ihrem neuen Werk beschreibt sie anschaulich, wie drei
       Jahrzehnte nach dem Ende der Sowjetunion „der“ Westen in die Defensive
       geraten ist. Autokratische Regime betreiben mit Schlagworten wie
       „Multipolarität“ und „nationaler Souveränität“ Propaganda, um daraus ein
       Recht auf Unterdrückung abzuleiten und international Verwirrung zu stiften.
       
       Im Ton eines gefälschten Antikolonialismus weisen sie, wie etwa Nicaragua,
       Venezuela, Simbabwe, Iran oder Belarus, menschenrechtliche Kritiken an
       ihren Praktiken als westlich-imperialistisch zurück. Und da sich
       ultranationalistische Kleptokraten dabei gerne eines linken Jargons
       bedienen, fallen viele auch im Westen darauf herein.
       
       Und sie können sich, wie Applebaum an vielen Beispielen belegt, dabei auch
       konsequent der Schwächen der von ihnen verachteten liberalen Demokratien
       bedienen. Sie wissen um die schlecht regulierten Zonen von
       Marktwirtschaften. Sie gründen Scheinfirmen, Pseudobanken, betreiben unter
       tätiger Mithilfe westlicher Geschäftsleute Anlage- und Kursbetrügereien und
       Geldwäsche im großen Stil.
       
       ## Hetzen und einkaufen
       
       Gegen London, Paris, Berlin und New York hetzen und gleichzeitig dort
       einkaufen? Es ist tatsächlich ein „Wandel durch Handel“, nur leider in die
       falsche Richtung. Profitgier macht auch im demokratischen Westen viele
       blind, wie Applebaum am Drama um Nord Stream 2 ausführt. Für sie beginnt es
       mit einer sozialdemokratischen Vorgeschichte der Kanzler Brandt und
       Schmidt.
       
       Den autokratischen Staat vergleicht Applebaum in seiner Funktionsweise mit
       der international agierender Mafiabanden. Nur ist er ungleich stärker. Die
       klassische Mafia war noch privates Gangstertum, der Autokrat hingegen steht
       als der Pate gleich an der Staatsspitze. „Korruption, Kontrolle,
       Propaganda: Wie Diktatoren sich gegenseitig an der Macht halten“,
       entsprechend lautet der Untertitel von Applebaums jetzt zur Frankfurter
       Buchmesse erscheinendem Buch.
       
       Applebaum, 1964 in Washington geboren, arbeitete für den Economist Ende der
       1980er Jahre als Korrespondentin in Warschau. Später sollte sie dem
       Redaktionsausschuss der Washington Post angehören. 2003 veröffentlichte sie
       mit dem Buch „Der Gulag“ einen internationalen Bestseller über das
       stalinistische Gewaltregime der Sowjetunion.
       
       2012 folgte ihr Buch „Der Eiserne Vorhang: die Unterdrückung Osteuropas
       1944–1956“ und 2017 „Roter Hunger – Stalins Krieg gegen die Ukraine“.
       Applebaum wird zum Ausklang der Frankfurter Buchmesse mit dem Friedenspreis
       des Deutschen Buchhandels 2024 am 20. Oktober in der Frankfurter
       Paulskirche geehrt. Die Laudatio auf sie wird [1][Irina Scherbakowa halten,
       Mitbegründerin der Menschenrechtsorganisation Memorial],
       Friedensnobelpreisträgerin. Scherbakowa musste Moskau 2022 verlassen, sie
       lebt im deutschen Exil.
       
       Neue Konstellationen 
       
       Applebaum beschreibt in „Die Achse der Autokraten“ eine global vernetzte
       Welt, in der die Kämpfe zwischen Demokratie und Autokratie nicht mehr von
       zwei territorial klar voneinander abgrenzbare Seiten der Mauer geführt
       werden. Und sich dadurch auch neue Konstellationen ergeben.
       
       „Der Hass auf die Demokratie ist nicht mehr Teil eines geopolitischen
       Konkurrenzkampfs“, formuliert sie, „wie so viele ‚Realisten‘ und Experten
       für internationale Beziehungen noch immer glauben. Er hat seine Wurzeln
       vielmehr in der Natur des demokratischen Systems, in Vorstellungen wie
       ‚Rechenschaft‘, ‚Transparenz‘ und ‚Volksherrschaft‘. Die Autokraten hören,
       wie diese Sprache in der demokratischen Welt gesprochen wird, sie hören
       ihre eigenen Dissidenten dieselbe Sprache sprechen und versuchen, beide zu
       vernichten.“
       
       Das klingt plausibel, auch wenn Historiker wie Dan Diner bereits die
       historischen Kämpfe zwischen Kommunismus, Faschismus und Demokratie, die
       zum Zweiten Weltkrieg führten, als einen ineinander verschränkten
       „Weltbürgerkrieg“ bezeichnen. Die neue Dimension liegt nach Applebaum aber
       nun in der extremen Globalisierung durch digitale Kommunikation und
       Netzwerkökonomien.
       
       Diese verstärken die Möglichkeiten totalitärer Einflussnahmen mittels Fake
       News, Alternativen Medien oder Hackerangriffen. Zu beobachten ist eine
       globale Zunahme digitaler Überwachung und Steuerung von Diskurse mittels
       unsichtbarer Filter- und Zensursysteme. Der neue totalitäre Block um
       Russland und China treibt sie weltweit voran.
       
       ## Islamisten und Trolle
       
       Die offenen Gesellschaften müssen hingegen weiter vor allem auf den
       Verstand ihrer Bürger:innen hoffen. Dass diese zum Beispiel merken, wenn
       [2][angeblich unabhängige Medienportale wie „Red“] professionell
       Islamisten- und Antiisraelpropaganda betreiben, um damit auch universitäre
       und linke Diskurse in Deutschland zu kapern.
       
       Neben den Kapitalströmen hat sich auch „die antidemokratische Rhetorik
       globalisiert“, sagt Applebaum. Beispielhaft erwähnt sie obskure Webseiten
       wie „Pressenza“ oder „Yala News“ mit Nähe zu Russland.
       
       Anonyme Blogger behaupteten, die CIA würden in der Ukraine geheime
       Biowaffenlabore unterhalten. Die Posts verbreiteten sich bei Beginn des
       Krieges millionenfach in den USA. Und „Yala News“, laut BBC ein
       „Kreml-Lautsprecher auf Arabisch“, ließ verlauten, die Ukraine habe
       geplant, „Zugvögel als Biowaffen einzusetzen“, um in Russland Krankheiten
       zu verbreiten.
       
       Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kommentierte, es erinnere ihn
       an einen düsteren Scherz von Monty Python.
       
       ## Robert Habeck mahnt
       
       Zum Jahrestag des Hamas-Überfalls auf Israel sprach Vizekanzler Robert
       Habeck am 7. Oktober mit Michel Friedman im Berliner Ensemble.
       
       Der Grünen-Politiker warnte vor der Hybris, einem fortgesetzten
       Überlegenheitsgefühl, das dazu verleite, die Autokratien als dem Westen
       unterlegene Gegner zu betrachten.
       
       Und er mahnte, sich nicht spalten zu lassen.
       
       Er machte eine vor der Lektüre von Applebaums Buch und in Anbetracht der
       Weltlage besonders evident wirkende Bemerkung: Die Distanz zwischen Grünen
       und der CSU dürfe nie größer werden als die zu Parteien wie der AfD.
       
       19 Oct 2024
       
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