# taz.de -- Abtreibungen in der Uckermark: Verfolgt wegen Menschlichkeit
       
       > Ärzte in Brandenburg unterstützen polnische Frauen bei Abtreibungen, die
       > in Polen verboten sind. Die Stettiner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen
       > sie.
       
 (IMG) Bild: Behandlungsraum im Krankenhaus Prenzlau: Hier leitet die polnische Ärztin Maria Kubisa die Gynäkologie
       
       Berlin taz | So hoch kann der Preis für Menschlichkeit sein: Bis zu drei
       Jahre Haft drohen der polnischen Ärztin Maria Kubisa. Ihr „Verbrechen“: Sie
       hat Frauen unterstützt, die sich aufgrund ungewollter Schwangerschaften in
       lebensgefährlichen Situationen befanden. Am Donnerstag beginnt das
       Verfahren gegen die Leiterin der Gynäkologie im Krankenhaus Prenzlau vor
       dem Amtsgericht Stettin in Polen.
       
       „Das ist absurd, einfach verrückt“, sagt Janusz Rudzinski. Auch der
       deutsch-polnische Frauenarzt mit Sitz in Schwedt – wie Prenzlau im
       Brandenburger Landkreis Uckermark – steht wegen Beihilfe zur Abtreibung im
       Visier der Stettiner Staatsanwaltschaft. „Die Gesetze sind
       mittelalterlich“, kritisiert der 85-jährige Arzt im Ruhestand.
       
       [1][Polen hat eines der restriktivsten Abtreibungsgesetze Europas]. Seit
       Mitte der 1990er Jahre ist der Schwangerschaftsabbruch dort verboten, unter
       Führung der nationalkonservativen PiS-Partei wurde das Gesetz im Oktober
       2020 weiter verschärft. Seitdem sind Schwangerschaftsabbrüche nur noch in
       Ausnahmefällen erlaubt: bei Inzest, Vergewaltigung oder wenn die Frau in
       Lebensgefahr ist.
       
       Die Rechtslage in Polen ist für viele Frauen lebensbedrohlich. Seit 2020
       sind mindestens sechs [2][Schwangere gestorben], weil ihnen eine Abtreibung
       verweigert worden war. Laut einem Bericht von Health Policy Watch vom
       August 2024 werden in Polen jährlich zwischen 80.000 und 93.000
       Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen, davon lediglich einige Hundert legal.
       
       ## Auch die Beratung ist strafbar
       
       Bereits die Beratung zu einem Abbruch kann nach Paragraf 152 des
       Strafgesetzbuches mit bis zu drei Jahren Haft wegen Beihilfe bestraft
       werden. Im März 2023 war erstmals eine Geburtshelferin deshalb verurteilt
       worden. Auch sie hätte bis zu drei Jahre Haft erhalten können, wurde jedoch
       zu acht Monaten gemeinnütziger Arbeit verurteilt.
       
       Aus diesem Grund wenden sich viele Frauen an NGOs und Initiativen, wie
       Ciocia Basia („Tante Barbara“), die ihnen Informationen über
       Behandlungsoptionen bereitstellen und Frauen nach Berlin bringen, um ihnen
       hier eine legale und sichere Abtreibungen zu ermöglichen. Andere polnische
       Frauen suchen in grenznahen Städten in Brandenburg Hilfe und werden bei
       Ärzt*innen wie Janusz Rudzinski oder Maria Kubisa fündig. Auch in
       Deutschland ist die [3][Abtreibung zwar grundsätzlich rechtswidrig], bleibt
       aber bis zur 12. Schwangerschaftswoche straffrei, sofern die Frau zuvor ein
       Beratungsgespräch bei einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle
       absolviert hat.
       
       Rudzinski sieht daher in seiner Tätigkeit keinen Rechtsbruch: „Ich helfe
       den Frauen in Deutschland und nicht in Polen. Hier ist das legal“, betont
       er. Rudzinski ist als freiberuflicher Frauenarzt in Schwedt an der Oder
       tätig, wo er am Telefon polnische Patientinnen berät und ihnen Termine im
       Krankenhaus Prenzlau vermittelt. Nach polnischem Recht gilt das bereits als
       Beihilfe zum Schwangerschaftsabbruch. Nach deutschem Recht ist das legal.
       Er sei „neugierig“, wie die Staatsanwaltschaft den Vorwurf des Rechtsbruchs
       begründen möchte, sagt der Deutschpole.
       
       Anders verhält es sich bei der Ärztin Maria Kubisa, die neben ihrer
       Tätigkeit in Prenzlau auch eine Praxis in Stettin betreibt, in der sie
       einmal die Woche Frauen behandelt. Die Stettiner Staatsanwaltschaft wirft
       ihr sechs Fälle vor, in denen sie angeblich Schwangerschaftsabbrüche in
       Polen durchgeführt haben soll.
       
       ## Fälle ereigneten sich während der Coronapandemie
       
       Kubisa selbst äußerte sich am Dienstag nicht zu dem Vorwurf. Janusz
       Rudzinski ist ebenfalls mit den Fällen vertraut und berichtet gegenüber der
       taz: „Es handelt sich um Frauen, die während der Coronapandemie aufgrund
       der Grenzschließungen nicht zu mir nach Deutschland kommen konnten.“ Die
       Frauen seien durch ihre Situation psychisch sehr belastet gewesen, eine
       habe Suizid begehen wollen. Normalerweise verweise er solche Patientinnen
       nach Prenzlau. Während der Pandemie habe er jedoch Maria Kubisa gebeten,
       die Frauen in ihrer Praxis in Stettin zu untersuchen und beraten.
       
       „Die Frauen waren nur zum Gespräch bei Maria Kubisa. Sie hat sicherlich
       keine Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt“, ist er überzeugt. Dafür
       benötige man entsprechende Instrumente, die in der Stettiner Praxis nicht
       vorhanden gewesen seien, da sie dort zu diesem Zeitpunkt gar keine Abbrüche
       durchgeführt habe.
       
       Die Namen der sechs Patient*innen, bei denen sie Abbrüche durchgeführt
       haben soll, seien während Hausdurchsuchungen bei der Ärztin gefunden
       worden, vermutet Janusz Rudzinski. Insgesamt fünf Razzien seien in den
       vergangenen Jahren bei Kubisa durchgeführt worden, zuletzt im Januar 2024:
       Sechs Beamte der Sonderbehörde zur Korruptionsbekämpfung stürmten ihre
       Praxis in Stettin, während sie dort Patient*innen behandelte. Sie
       durchsuchten die Räumlichkeiten, beschlagnahmten ein Handy, zwei Laptops,
       Notizhefte sowie 6.000 Patient*innenakten.
       
       „Die PiS, die auch die Kontrolle über die Justiz erlangt hat, wollte ein
       Exempel statuieren, um Menschen wie Maria Kubisa zu stigmatisieren und
       davon abzuhalten, in Brandenburg Abtreibungen anzubieten“, sagt eine
       Aktivistin von Dziewuchy Berlin, einer polnischen Gruppe, die sich gegen
       das restriktive Abtreibungsgesetz stellt, der taz.
       
       ## Einschüchterungsversuche PiS-naher Staatsanwälte
       
       Auch Rudzinski wertet das Verhalten der Staatsanwaltschaft als
       Einschüchterungsversuch durch Ermittler, die der PiS-Partei nahestehen und
       ihn und Kubisa vor einer [4][möglichen Änderung des Abtreibungsrechts]
       verstärkt ins Visier nehmen. „Der Stettiner Staatsanwalt begeht
       Rechtsbrüche und arbeitet nach stalinistischen Methoden“, kritisiert er.
       
       Hintergrund ist das Versprechen des polnischen Ministerpräsidenten Donald
       Tusk, seit Oktober 2023 im Amt, das Abtreibungsrecht zu lockern. [5][Bisher
       ist das Vorhaben an der ablehnenden Haltung seines Koalitionspartners, der
       christlich-konservativen Bauernpartei PSL, gescheitert].
       
       Janusz Rudzinski zeigt sich vom Vorgehen der Stettiner Staatsanwaltschaft
       wenig beeindruckt: „Ich nehme das nicht ernst. Ich habe keine Angst.“ Er
       werde weiterhin alles tun, was mit deutschem Recht vereinbar ist, um zu
       helfen, betont er. Und was Maria Kubisa betreffe? „Ich bin mir sicher, dass
       sie nicht ins Gefängnis muss.“
       
       16 Oct 2024
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lilly Schröder
       
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