# taz.de -- Lehrerin über Umgang mit Nahost-Konflikt: „Belehrendes geht nach hinten los“
       
       > Das Gedenken zum 7. Oktober an Hamburger Schulen sorgte für Kontroversen.
       > Eine Lehrerin schildert ihre Erfahrung dazu.
       
 (IMG) Bild: Wie umgehen mit dem Nahost-Konflikt in der Schule: Um den richtigen Weg muss gerungen werden
       
       taz: Wie haben Sie den Jahrestag des 7. Oktober an Ihrer Schule begangen,
       Frau Mölter? 
       
       Anne Mölter*: Wir haben nichts Offizielles gemacht. Wir gehen immer davon
       aus, dass aktuelle Themen in den Oberstufenkursen oder auch in den Kursen,
       wo es inhaltlich relevant ist, etwa in Geschichte oder Politik, besprochen
       werden und dass natürlich auch der Jahrestag besprochen wurde. Vor einem
       Jahr haben wir ausführlich diskutiert, was wir machen, vor allem nachdem es
       in Berlin so schwierig wurde.
       
       Und was haben Sie gemacht? 
       
       Mölter: Wir haben eine Schweigeminute gemacht. Und danach das, was das
       Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung jetzt vorgeschlagen
       hat: einen Ort angeboten, wo man hinkommen konnte, wenn man sprechen
       wollte. Viele sehr junge Schüler:innen fragten dort Dinge wie: „Gibt es
       jetzt Krieg auf der ganzen Welt“ oder Kinder, die darüber sprechen wollten,
       was mit ihren Verwandten ist.
       
       Dass das Hamburger Schulinstitut von einer Schweigeminute abgeraten hat,
       hat bei der Hamburger CDU sowie der Bild-Zeitung für Empörung gesorgt.
       
       Mölter: Schweigeminuten, erinnere ich mich aus meiner Schulzeit, waren
       immer ein bisschen Überforderung. Ich bin auch zunächst ein wenig über die
       Formulierung des Instituts gestolpert: „Verzichtet auf große Gesten wie
       Schweigeminuten“. Ich glaube, sie wollten damit sagen, dass es schwierig
       ist, eine Gedenkminute so zu halten, dass jeder sich angesprochen fühlt und
       nicht sofort eine Anti-Haltung kommt: „Da wollen unsere deutschen Lehrer
       eine Gedenkminute für Israel, und wir wollen eigentlich gar nicht
       mitmachen“.
       
       Ist es sozusagen sicherer, einen Gesprächsraum anzubieten, als eine
       Schweigeminute, die leicht zu stören ist? 
       
       Mölter: Es fällt vielen schwer, nicht zu reden und dann wird es so ein
       Angstmoment: Oh, Gott, ich muss jetzt lachen, aber ich will gar nicht, oder
       ich kann da gar nichts mit anfangen. Im Brief des Landesinstituts stand,
       dass man nichts Belehrendes machen solle und das fand ich ziemlich gut,
       weil das meist ein bisschen nach hinten losgeht.
       
       Inwiefern? 
       
       Mölter: Wenn wir etwa damit ankommen zu sagen: Wir zeigen euch jetzt mal
       die Tagesschau, weil das für uns ein unabhängiges Medium ist, nehmen das
       die Schüler und Schülerinnen, die den Konflikt durch ihre Eltern anders
       sehen, nicht immer ernst. Wir haben damals gefragt, und das finde ich nach
       wie vor richtig: Was ist eigentlich das Hauptziel, was hat die Schule für
       eine Verantwortung in so einer Situation?
       
       Und was für eine hat sie? 
       
       Mölter: Wir haben gesagt: eine deutsche Schule hat die Verantwortung, all
       ihren Schülern das Wissen mitzugeben, um zu verstehen, warum die
       Bundesregierung sagt: Wir stehen an der Seite Israels und warum Herr Scholz
       bei dem Gedenktag der jüdischen Gemeinde war und nicht auf der Demo der
       palästinensischen Gruppe. Wir belehren nicht darüber, wer Terrorist ist
       und wer nicht.
       
       Korrigieren Sie Behauptungen, die falsch sind? 
       
       Mölter: Wir rücken Fake-News zurecht, wenn wir sie hören. Bei vielen von
       unseren Schülern, Schülerinnen begann der Konflikt erst mit dem Einmarsch
       der Israelis im Gazastreifen und teilweise wussten sie nichts vom 7.
       Oktober, weil es in ihren Familien ausgeblendet wird.
       
       Die Hamburger CDU fürchtet dennoch, dass an den Schulen das Thema klein
       gehalten wird, um einem Konflikt aus dem Weg zu gehen. 
       
       Mölter: Man muss schauen, was man für Schüler und Schülerinnen vor sich hat
       und dass das ein Riesenunterschied ist, ob man in Wilhelmsburg oder in
       Blankenese unterrichtet. Die Anne-Frank-Stiftung hat geschrieben, dass es
       erschreckend sei, wie viele Kolleginnen und Kollegen Angst haben, das Thema
       anzugehen. Deswegen finde ich es hilfreich, was das Landesinstitut in
       Hamburg macht. Da gibt es nicht nur irgendwelche Linklisten, sondern
       Expert:innen.
       
       Ist es für Sie als Lehrerin übergriffig, wenn ungefragt eine Empfehlung
       kommt, was man an einem politisch aufgeladenen Tag tun soll? 
       
       Mölter: Ich habe das Gefühl, dass man Unterstützung bekommt, wenn man sie
       erfragt, aber sie wird nicht übergestülpt. Ein solcher Brief vom
       [1][Landesinstitut] ist eher ungewöhnlich und daraus jetzt einen solchen
       Konflikt, auch zwischen der Behörde und dem Landesinstitut, zu machen,
       finde ich unwürdig.
       
       Haben Sie das Gefühl, die Schüler:innen inhaltlich zu erreichen? 
       
       Wir waren erschrocken darüber, was für Informationen und Bildern die
       Schüler ausgesetzt sind, wenn wir gesehen haben, was Eltern in ihrem Status
       gepostet haben. Da kann man gucken: Was ist eine gesicherte Nachricht und
       was sind Fake-News? Aber das an einem so hochsensiblen Thema aufzuziehen,
       ist schwierig. Es ist so heikel, weil du immer in der Schule in Frage
       stellst, was sie zu Hause von ihren Eltern hören und an Nachrichten sehen.
       Ich glaube, dass [2][viele der älteren Schüler lernen, in der Schule nicht
       mehr das zu sagen, was sie politisch wirklich denken], weil sie wissen,
       dass das nicht gut ankommt. In den unteren Klassen sagen sie noch frei, was
       sie denken.
       
       Und dann? 
       
       Mölter: Im Moment sagen die Kinder „du Hitler“ statt „du Opfer“ als
       Beleidigung und da fragen wir nach: „Was weißt du denn darüber?“. Jede
       Bemerkung, die wir [3][antisemitisch] empfinden, bewerten wir als solche,
       ohne den Schülern und Schülerinnen zu verbieten, was sie sagen, und ohne
       jedes Mal ein großes Thema daraus zu machen. Das mag für Außenstehende so
       wirken, als würde man sich drücken.
       
       Werden Sie zornig darüber? 
       
       Mölter: Für mich war es berührend, wie viele Kollegen Sorge hatten um die
       Schüler und Schülerinnen – wir hatten auch schon beim Beginn des
       Ukraine-Kriegs große Sorgen um russische Schüler. Im Endeffekt ist es
       friedlich unter den Schülern und sie können meistens abstrahieren zwischen
       dem, was in ihren Ländern passiert und was zwischen den Schülern passiert.
       
       Gibt es an Ihrer Schule denn jüdische Schüler:innen? 
       
       Mölter: Es gibt jüdische Schüler:innen, aber [4][niemand weiß, dass sie
       jüdischen Glaubens sind]. Ich habe mit Familien gesprochen, die ihren
       Kindern sagen: Erzählt ja nicht davon. Was kann Schule da tun? Schule soll
       ein Ort sein, wo man keine Angst hat, aber das sagt sich so einfach. Ich
       stecke nicht in der Haut von Eltern, die sagen: Sprich nicht davon, dann
       hast du deine Ruhe. Wir können in der Schule nur versuchen, einen Ort zu
       bieten, in dem man über seinen Glauben angstfrei sprechen kann.
       
       10 Oct 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://li.hamburg.de/
 (DIR) [2] /Antisemitismus-in-Berlin/!6037039
 (DIR) [3] /Antisemitismus-in-Deutschland/!6038155
 (DIR) [4] /Gymnasium-in-Berlin/!6014762
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Friederike Gräff
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Nahost-Konflikt
 (DIR) Unterricht
 (DIR) Lehrkräfte
 (DIR) Israel
 (DIR) Palästina
 (DIR) Juden
 (DIR) Schule
 (DIR) Rechtsextremismus
 (DIR) Schwerpunkt Nahost-Konflikt
 (DIR) Antisemitismus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Rechtsextremismus und Nahost: Schüler fordern Runden Tisch
       
       Landesschülerausschuss drängt den Senat zu einem umfassenden Konzept gegen
       Extremismus
       
 (DIR) Bundestag debattiert zum 7. Oktober: Kanzlerduell statt Gedenken
       
       Statt zu gedenken, nutzt der Bundestag die Debatte zum 7. Oktober für
       Parteipolitik. Kanzler Scholz kündigt dabei Waffenlieferungen an Israel an.
       
 (DIR) Antisemitismus in Deutschland: Scham und Erschütterung
       
       Deutsche Politiker*innen gedenken ein Jahr nach dem 7. Oktober der
       Opfer des Hamas-Terrors. Auch hierzulande nimmt Antisemitismus zu.