# taz.de -- Protest von Erzieher*innen 1990: Kita-Streik? Da war mal was
       
       > Vor 35 Jahren erlebte Berlin schon mal einen unbefristeten Kita-Streik.
       > Nach 10 Wochen wurde er zwar ergebnislos beendet. Trotzdem war er ein
       > Erfolg.
       
 (IMG) Bild: Januar 1990: Protestkundgebung der Berliner Kita-Beschäftigten
       
       Berlin taz | Der Kita-Streik vor 35 Jahren gilt als der längste Streik in
       Berlins langer Geschichte von Streiks und Arbeitskämpfen. Es begann im
       Dezember 1989 mit Warnstreiks.
       
       Wenige Monate später traten die Erzieher*innen dann im Januar 1990 in
       einen unbefristeten Erzwingungsstreik, [1][der zehn Wochen, bis Ende März
       1990, andauern sollte]. Die Gewerkschaften forderten damals kleine
       Gruppengrößen, bessere Betreuungsschlüssel und dass die Vor- und
       Nachbearbeitungszeiten für Erzieher*innen in den Kitas auch tariflich
       entlohnt werden sollten.
       
       Die Parolen lauteten damals: „Pädagogische Arbeit statt Aufbewahrung“,
       „Kein Kindergartentag ohne den Tarifvertrag“ oder „In der Kita steppt der
       Bär, Tarifverträge müssen her“. Manchmal wurden die Losungen auch als
       Lieder gesungen.
       
       Besonders ist dieser Streik auch aus einem weiteren Grund: Es ist [2][einer
       der wenigen Streiks, der fast ausnahmslos von Frauen getragen wurde]. Rund
       2.500 Erzieher*innen waren damals in der Westberliner ÖTV (Gewerkschaft
       Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr), der Vorgängerorganisation der
       Dienstleistungsgewerkschaft Verdi organisiert. Rund 800 waren Mitglieder in
       der Berliner Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW).
       
       ## „Gequengel, Gebrabbel und Windelgeruch“
       
       An den Streiks beteiligten sich rund 5.000 Erzieher*innen aus rund 400
       Kitas. Schon am ersten Tag ruhte in 354 der 395 städtischen Kitas in
       Westberlin die Arbeit, betroffen waren demnach rund 46.000 Kinder. Die taz
       schrieb über „ungewohntes Gequengel, Gebrabbel und Windelgeruch in
       U-Bahnen, Betrieben und Behörden“.
       
       Die streikenden Erzieher*innen betraten auch aus Sicht der
       Gewerkschaften Neuland: „Es ging nicht um die ‚traditionellen‘
       gewerkschaftliche Forderungen nach mehr Geld oder kürzeren Arbeitszeiten“,
       schreibt Bärbel Jung von der GEW in einer Würdigung des Streiks in einer
       Sonderausgabe der Berliner Bildungszeitschrift 30 Jahre später.
       
       Den Erzieher*innen sei es stattdessen um Personalschlüssel,
       Gruppengrößen, Vor- und Nachbereitungszeiten gegangen und um Fort- und
       Weiterbildungen, die sie in einem Tarifvertrag festschreiben wollten. Der
       Senat, schreibt Jung, sei nicht müde geworden zu betonen, „dass diese
       Forderungen nicht tarifierbar seien“. Der [3][damalige Innensenator Erich
       Pätzold (SPD)] lehnte die Forderungen kategorisch ab.
       
       Jeden Donnerstag, zum „Tag der Solidarität“, zogen die Streikenden mit
       einer Kundgebung vor das Rathaus Schöneberg, den damaligen Sitz des Senats.
       Dorthin seien teils auch Erzieher*innen von Kitas der Freien Träger
       gekommen, um den Streik zu unterstützen, genauso wie Eltern oder manchmal
       auch Lehrer*innen mit ihren Schüler*innen, die so ihren
       „Sozialkundeunterricht vor das Rathaus verlegten“, wie Jung schreibt. Auch
       bei der Berlinale hatten die Erzieher*innen einen Auftritt – damals
       noch vor dem Zoo-Palast.
       
       ## Solidarität der Eltern
       
       Ab 6 Uhr hätten Erzieher*innen vor jeder Kita Streikposten gestanden,
       in den bezirklichen Streiklokalen diskutierten sie und tauschten sich aus.
       Eltern seien mit Kaffee und Kuchen vorbeigekommen, berichtet eine
       Streikbeteiligte, die heute bei Verdi ist. Die Solidarität der Eltern sei
       immens wertvoll gewesen.
       
       Es gab eine Streikzeitung, Versammlungen in den Bezirken und wöchentliche
       Streikversammlungen im Audimax der Technischen Universität Berlin. Der
       Streik damals habe gezeigt, welche ungeheure Kraft die Erzieher*innen
       entfalten konnten, schreibt die ehemalige GEW-Referentin Bärbel Jung 2020.
       
       Andere damals am Streik Beteiligte erinnern sich, dass die
       Erzieher*innen auch Straßen blockiert und Busse aufgehalten haben. Sie
       erinnern sich an große Solidarität zwischen Streikenden, Kitaleitungen und
       Eltern.
       
       Von den Eltern hätten viele Verständnis gehabt, blickt eine beteiligte
       Erzieherin zurück. Sie hätten sich teils zusammengetan, um die Kinder
       gemeinsam zu betreuen, etwa in einer Not-Kita im Urban-Krankenhaus.
       Nachbar*innen und Freunde seien eingesprungen, Großeltern nach Berlin
       geholt worden.
       
       ## Streikende scheiterten an starrer SPD
       
       Doch die Stimmung sei irgendwann auch gekippt, vor allem nach negativer
       Berichterstattung in der Presse über die „heulende Mutter mit zwei Kindern,
       die ihren Job verliert“.
       
       Für die Gewerkschaft ÖTV war der Streik besonders, weil es etwas ganz
       anderes war, Hunderte kleine Betriebe zu bestreiken als Großbetriebe wie
       etwa die BVG. Ihre Ziele konnten die streikenden Erzieher*innen damals
       nicht direkt erreichen, sie scheiterten letztlich an der starren Haltung
       der SPD. Die sagte zwar mehr Stellen und Kitaplätze zu, wollte aber nichts
       in Gesetzen festhalten.
       
       In einer Streikversammlung im März dann verkündete die ÖTV, dass die
       Tarifkommission beschlossen habe, den Streik auszusetzen, ohne
       Urabstimmung, die sie vermutlich verloren hätten. Der Streik endete,
       worüber viele Erzieher*innen auch sehr wütend oder enttäuscht waren.
       
       Doch Spuren hat der Streik trotzdem hinterlassen: Aus Sicht der GEW haben
       die Erzieher*innen damals ein Zeichen gesetzt und gezeigt, dass sie
       ernstzunehmen sind als Gruppe. Die Gewerkschaften selbst hätten Erfahrungen
       damit gesammelt, kleine Betriebe zu bestreiken.
       
       Es ermutigte die Erzieher*innen wohl auch zu den bundesweiten Streiks
       von Erzieher*innen 2009 und 2015. Viele der Forderungen damals hätten
       sich am Ende in dem 2019 in Kraft getretenen bundesweiten
       „Gute-Kita-Gesetz“ wiedergefunden.
       
       ## Linke erinnert an Streik vor 35 Jahren
       
       Daran erinnerte am vergangenen Donnerstag [4][in der Aktuellen Stunde des
       Abgeordnetenhauses] auch Franziska Brychcy, die bildungspolitische
       Sprecherin der Linken-Fraktion. „Es ist nicht das erste Mal in Berlin, dass
       ein unbefristeter Kita-Streik im Raum steht“, sagte sie. Und dass
       Betreuungsschlüssel und Vor- und Nachbereitungszeiten inzwischen geregelt
       gesetzlich geregelt seien, was erstmal als Erfolg gelten könne. „Es gibt
       Wege“, sagte sie.
       
       Dass nun die Bildungssenatorin sich hinstelle und behaupte, es gebe
       höchstens Probleme in einzelnen Einrichtungen, und dass der Staatssekretär
       für Jugend und Familie, Falko Liecke (CDU), sage, dass der Kinderschutz
       gewährleistet sei, zeige, wie sehr die Koalition hinter ihren eigenen
       Anspruch zurückgefallen sei.
       
       „Der Anspruch war ein anderer“, sagte Brychcy. Die Regierung habe mal
       behauptet, dass es ihr wichtig sei, den Personalschlüssel zu überprüfen,
       den Kitas Zeit freizuschaufeln, um das Berliner Bildungsprogramm dort auch
       umzusetzen und gute Sprachförderung zu gewährleisten.
       
       29 Sep 2024
       
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