# taz.de -- Löhne von Reinigungskräften: Unsichtbar und mies bezahlt
       
       > Auch die zweite Runde der Tarifverhandlungen für
       > Gebäudereiniger*innen blieb ohne Einigung. Die meist weiblichen
       > und migrantischen Putzkräfte arbeiten prekär.
       
 (IMG) Bild: An Berliner Schulen ist die Arbeit für Putzkräfte besonders prekär
       
       Berlin taz | Sie arbeiten frühmorgens und spätabends – dann, wenn die
       meisten Berufstätigen in Berlin noch schlafen oder ihren Feierabend
       genießen. Sie putzen Büros, Schulen, Arztpraxen und Altersheime. Die Arbeit
       ist anstrengend und der Zeitdruck enorm. „Die Gebäudereinigung ist eine
       Branche, die die Beschäftigten sowohl körperlich als auch psychisch
       herausfordert“, sagt Markus Baumgartner zur taz.
       
       Baumgartner ist Gewerkschaftssekretär von Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) in
       Berlin-Brandenburg. Die Gewerkschaft verhandelte am Mittwoch in Frankfurt
       am Main in zweiter Runde den Tarifvertrag für Gebäudereiniger*innen
       – ohne Ergebnis. Laut IG BAU legten die Arbeitgeber erneut kein Angebot
       vor, weshalb die Tarifverhandlungsrunde am Nachmittag ergebnislos vertagt
       wurde. Der nächste Termin ist für den 24. Oktober geplant.
       
       „So kann man keine Verhandlungen führen“, sagte IG-BAU Vorständin Ulrike
       Laux nach den vierstündigen Gesprächen. „Ich zweifle ernsthaft daran, ob
       die Verhandlungskommission des Bundesinnungsverbandes wirklich an einem
       Abschluss interessiert ist.“ Der Verband des Gebäudereiniger-Handwerks
       (BIV) sah angesichts des Beharrens der Gewerkschaft auf ihren Forderungen
       „keinerlei Basis für sinnhafte Gespräche“.
       
       Die IG BAU fordert drei Euro mehr pro Stunde. Der Branchenmindestlohn liegt
       aktuell bei 13,50 Euro – nur unwesentlich mehr als der gesetzliche
       Mindestlohn von 12,41 Euro. Die IG BAU fordert außerdem eine Anhebung der
       Ausbildungsvergütungen sowie ein 13. Gehalt für die Putzkräfte.
       
       ## Größtes Handwerk Deutschlands
       
       Das Gebäudereinigungs-Handwerk ist mit über 26 Milliarden Euro Jahresumsatz
       und bundesweit rund 700.000 Beschäftigten das größte Handwerk in
       Deutschland. Etwa 500.000, davon ein Großteil Frauen, bekommen lediglich
       den Branchenmindestlohn.
       
       In keiner anderen Berufsgruppe verdienen Angestellte so wenig wie im
       Reinigungssektor, gab das Statistische Bundesamt jüngst bekannt. Der
       durchschnittliche Bruttoverdienst liegt demnach bei 2.493 Euro im Monat.
       Würde sich die Gewerkschaft durchsetzen, wären es knapp 2.790 Euro brutto –
       bei Vollzeitbeschäftigung. Die meisten Gebäudereiniger*innen haben
       laut Gewerkschaft allerdings nur einen Teilzeitjob und kommen damit kaum
       über die Runden.
       
       Bei den Beschäftigten herrscht entsprechend große Wut. „Kaum einer hat eine
       Coronaprämie bekommen, kaum eine einen Inflationsausgleich“, sagt
       Baumgartner. Dabei belasten die gestiegenen Preise für Lebensmittel,
       Energie und Wohnen vor allem Menschen mit niedrigen Löhnen.
       
       Während die Umsätze und Gewinne innerhalb der Reinigungsbranche in den
       vergangenen Jahren weiter gestiegen sind, könnten seine Kolleg*innen
       immer weniger am gesellschaftlichen Leben teilhaben, so der
       Gewerkschaftssekretär. „Hinzu kommt ein großer Personalmangel, der von den
       Beschäftigten durch Mehrarbeit aufgefangen wird. Sie machen unbezahlte
       Überstunden.“ Viele würden die Branche verlassen, weil sie woanders mit
       weniger Stress mehr Geld verdienen können – ein Teufelskreis.
       
       ## Branchenverband findet Forderung „unverschämt“
       
       Der Bundesinnungsverband des Gebäudereiniger-Handwerks (BIV) versuche mit
       verschiedenen Kampagnen für den Beruf zu werben, um dem Personalmangel
       entgegenzuwirken, sagt Hauptgeschäftsführer Wolfgang Molitor zur taz. Die
       Forderung der Putzkräfte nach einem Stundenlohn von 16,50 Euro bezeichnet
       er als „unverschämt“ und „völlig aus der Zeit gefallen“.
       
       Immerhin blicke die Branche angesichts der prognostizierten Stagnation des
       Bruttoinlandsprodukts ernüchtert auf die wirtschaftliche Lage. Um eine
       Lohnerhöhung wird die Gebäudereiniger-Innung jedoch so oder so wohl nicht
       herumkommen: Anfang der Woche setzte sich Bundesarbeitsminister Hubertus
       Heil (SPD) in einem Schreiben an die Mindestlohnkommission für eine
       Erhöhung der Lohnuntergrenze ab 2026 auf rund 15 Euro ein – 1,50 Euro mehr,
       als die Putzkräfte derzeit verdienen.
       
       Das Gremium aus Gewerkschaften und Arbeitgebern ist zwar unabhängig, Heil
       pochte jedoch auf die Einhaltung der Vorgaben der Europäischen
       Mindestlohnrichtlinie. Demnach müsste der Mindestlohn bei 60 Prozent des
       mittleren Lohns liegen – nach Berechnungen des Deutschen
       Gewerkschaftsbundes wären das 15,27 Euro pro Stunde.
       
       Der BIV sieht darin eine Einmischung der Politik in die Höhe des
       Mindestlohns, die er entschieden ablehnt. „Solch eine Diskussion greift
       massiv in die Tarifautonomie ein“, sagt Molitor. Bis Mitte 2025 muss die
       Mindestlohnkommission über die Anhebung entscheiden.
       
       ## Verhärtete Fronten
       
       Die Fronten zwischen der IG BAU und dem BIV scheinen indes verhärtet. Der
       BIV hofft, dass die Arbeitnehmerseite „noch einmal in sich geht“, um
       eine „wirtschaftlich verträgliche Vereinbarung zu erzielen“, so Molitor.
       „Dabei dürfen bei den Beschäftigten aber keine Erwartungen geweckt werden,
       die völlig unerfüllbar sind.“ „Letztlich geht es auch um eine Frage von
       Anerkennung und Wertschätzung“, hält Baumgärtner dagegen.
       
       Die käme vor allem migrantischen Frauen zugute. Laut einer Hochrechnung der
       BIV haben 40 Prozent der Gebäudereiniger*innen keine deutsche
       Staatsbürgerschaft. Baumgartner glaubt, dass der Anteil sogar noch höher
       ist. „Die Gebäudereinigung bietet aufgrund ihrer geringen Zutrittsbarrieren
       Geflüchteten einen leichteren Start ins Berufsleben.“ Rund zwei Drittel der
       Putzkräfte sind Frauen. Dazu kommt, dass ein Drittel der Beschäftigten im
       fortgeschrittenen Alter ist. Für sie ist die Arbeit nochmal anstrengender.
       
       Dabei fordert der Job auch so schon einiges ab. Etwa wenn es darum geht,
       Schultoiletten in Berlin sauber zu machen. An Schulen sind die
       Arbeitsbedingungen besonders prekär. „Die Reinigungskräfte haben viel zu
       wenig Zeit, entweder sie putzen die Klassenräume oder die Toiletten, für
       beides reicht es nicht“, sagt Philipp Dehne von der [1][Initiative Schule
       in Not]. „Also machen sie entweder nicht überall sauber oder sie machen
       Überstunden.“
       
       Im sogenannten Leistungsverzeichnis steht, wie viel Quadratmeter je nach
       Raumart pro Stunde gereinigt werden sollen. Früher seien es in Neukölln 120
       Quadratmeter Sanitärfläche pro Stunde gewesen. „Heute sind es auch wegen
       unseres Engagements nur noch 70 Quadratmeter. Doch auch das ist kaum
       machbar“, sagt Dehne.
       
       ## An Berliner Schulen besonders prekäre Arbeit
       
       Die Initiative berichtet von einer Reinigungskraft, die trotz
       Krankschreibung von ihrem Arbeitgeber genötigt worden sei, in die Schule zu
       fahren, um die Vertretung einzuarbeiten. Eine langjährig angestellte
       Putzkraft an einer Schule habe berichtet, dass sie vor 20 Jahren noch
       doppelt so viel Zeit für die gleichen Flächen hatte. Eine weitere Putzkraft
       hat nach eigenen Angaben sechseinhalb Jahre an der gleichen Schule
       gearbeitet und sei, nachdem sie krankheitsbedingt zwei Wochen ausgefallen
       ist, fristlos gekündigt worden.
       
       In Neukölln wurden im vergangenen Jahr alle Verträge neu ausgeschrieben.
       Der Vergabemindestlohn des Landes Berlin liegt zwar bei 13,69 Euro brutto.
       Aber an den Bedingungen vor Ort ändert das nichts. Im Gegenteil, der Job
       wird im Zweifelsfall nur noch stressiger. Denn, so Dehne: „Die billigsten
       Anbieter bekamen den Zuschlag und dementsprechend [2][sieht es an vielen
       Schulen aus].“
       
       In der Regel läuft es so, dass die Billigdienstleister den sich aus den
       niedrigen Preisen und dem aus ihrer Sicht hohen Vergabemindestlohn
       ergebenden Druck einfach an ihre Mitarbeiter*innen weitergeben.
       Mehrere Gebäude müssen dann umso schneller geputzt werden. Schließlich
       werden deshalb weder mehr Reinigungskräfte eingestellt, noch bekommen die
       vorhandenen Mitarbeiter*innen mehr Arbeitszeit zugestanden.
       Begründung: Die Firmen müssten ja auch vernünftig wirtschaften.
       
       Genau diesen Teufelskreis wollte nicht zuletzt die Linke, nur zeitweise
       unterstützt von SPD und Grünen, mit der Rekommunalisierung der
       Schulreinigung durchbrechen. Acht der zwölf Bezirke haben eine
       Rekommunalisierung beschlossen, das heißt, sie wollen die Reinigungskräfte
       wie vor Jahrzehnten wieder beim Bezirk oder einem Landesbetrieb anstellen.
       Doch das bedeutet nicht, dass die Rekommunalisierung auch umgesetzt wird.
       „Der Senat und die Bezirke spielen Pingpong“, kritisiert Dehne, der für die
       Linke in der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln sitzt.
       
       ## Keine Rekommunalisierung der Schulreinigung
       
       Die Bezirke wollen für die Schulreinigung Geld und Stellen vom Land, das
       Land sagt, Schulreinigung ist Bezirkssache. Die Arbeitsgemeinschaft bei der
       Senatsbildungsverwaltung will sich erst mal mit den Bezirken auf stadtweite
       Qualitätsstandards einigen, bevor über eine Rekommunalisierung gesprochen
       wird. Zum aktuellen Stand äußerte sich die Senatsverwaltung auf taz-Anfrage
       nicht. Aus schwarz-roten Koalitionskreisen heißt es: Das Projekt ist tot.
       Es wird in dieser Legislatur auch nicht mehr wiederbelebt.
       
       Immer wieder werde argumentiert, dass eine Rekommunalisierung zu teuer sei,
       sagt Dehne. Dabei müsse das nicht sein. Andere Städte machten es vor: In
       Düsseldorf wurde der Anteil an Reinigungskräften an Schulen, die kommunal
       angestellt sind, von 20 auf 50 Prozent erhöht. Es habe dort zuvor die
       gleichen Beschwerden über dreckige Klassenräume, Flure und Toiletten
       gegeben, so Dehne. Das habe sich mit der Teilrekommunalisierung geändert.
       „Eine krasse Kostensteigerung hat es nicht gegeben.“
       
       In Berlin gibt es dagegen dreckige Schulen und eine ungemütliche
       Lernumgebung. Laut einer Studie der German Toilet Organization
       [3][vermeiden knapp 50 Prozent der Berliner Schüler*innen] das
       Urinieren, weil ihnen die Klos zu dreckig sind. „Räume machen etwas mit
       Menschen“, sagt Dehne. Wenn eine Schule renovierungsbedürftig und die Flure
       dreckig seien, dann zeige das den Schüler*innen, dass sie der Schule nicht
       viel wert seien.
       
       Wie viel die Putzkräfte ihren Arbeitgeber*innen wert sind, wird sich
       noch zeigen. Sollten die Verhandlungen bis zum Ende der Friedenspflicht,
       die im Dezember ausläuft, zu keinem Ergebnis führen, kann die Gewerkschaft
       zu Warnstreiks aufrufen. Für die Sauberkeit der Berliner Schultoiletten
       dürfte das keinen großen Unterschied machen.
       
       11 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Schulreinigung-in-Neukoelln/!5589615
 (DIR) [2] /Schulanfang-in-Berlin/!5956009
 (DIR) [3] /Bundesweiter-Schul-Toiletten-Gipfel/!6014707
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ella Strübbe
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Tarifverhandlungen
 (DIR) Gewerkschaft
 (DIR) Arbeitskampf
 (DIR) Gebäudereinigungsbranche
 (DIR) Putzen
 (DIR) Putzfrau
 (DIR) Prekäre Arbeit
 (DIR) prekäre Beschäftigung
 (DIR) Senatsverwaltung für Bildung
 (DIR) Tariflöhne
 (DIR) Betriebsrat
 (DIR) Putzen
 (DIR) Queer
 (DIR) Gastarbeiter
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Prekäre Beschäftigung in Deutschland: Mehr als nur Putzeimer schleppen
       
       Fast ein Viertel aller Jobs erledigen Menschen ohne formale Qualifizierung.
       Eine Studie zeigt, wie verbreitet die Ausbeutung unter den Betroffenen ist.
       
 (DIR) Schulreinigung in Berlin: Schüler*innen! Identifiziert euch mit der Toilette!
       
       Die Berliner Schulen haben ein Gestank- und Schmutzproblem. Das hat eine
       neue Befragung ergeben. Die Bildungsverwaltung will sie sich mal ansehen.
       
 (DIR) Streit über Tariftreuegesetz: „Kernelement im Koalitionsvertrag“
       
       Frank Bsirske warnt vor einer Blockade des Tariftreuegesetz. Der
       Ex-Verdi-Chef hält das Bürokratie-Argument der FDP lediglich für
       vorgeschoben.
       
 (DIR) Behinderung von Betriebsratsgründungen: Umkämpfte Mitbestimmung
       
       Betriebsratswahlen werden häufig von der Arbeitgeberseite be- oder
       verhindert. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie des
       gewerkschaftsnahen WSI.
       
 (DIR) Kleine Putz-Umfrage unter Müttern: Dreck, Scham, Politik
       
       Sind Putzkräfte okay, wenn man sie gut bezahlt? Immerhin Lohnarbeit oder
       antifeministisch? Ist überhaupt Zeit, darüber nachzudenken? Mütter
       erzählen.
       
 (DIR) Queere Reinigungskräfte in Berlin: „Es fällt eine Hemmschwelle weg“
       
       Die Mitarbeiter_innen der Queeren Haushaltshilfe Berlin stören sich nicht
       daran, wenn in der Wohnung Sextoys offen herumliegen.
       
 (DIR) Internationaler Tag der Putzfrau: Die mit dem Staub tanzt
       
       Der Jahrestag ist ein Anlass, die oft unsichtbare, schlechtbezahlte und
       harte Arbeit von Frauen endlich anzuerkennen.