# taz.de -- Die Wahrheit: Die Lage besäufniserregend
       
       > Archäologie des Schaukastens: Beobachtungen zur Verwehtheit der
       > provinziellen Werbewelt und ihren Aushängen aus einer fast vergessenen
       > analogen Zeit.
       
 (IMG) Bild: Das große Thema des Schaukastens: Leere
       
       Eine verbreitete Usance, eine Unsitte ist es mittlerweile, während des
       Herumhockens vor Kneipen und Cafés aus Smartphones grausliges Zeug
       herausdudeln zu lassen, vom deutschen Schlager bis zur komplett kaputten
       Rap-Gang 187 Straßenbande, in möglichst hoher Lautstärke und somit
       selbstredend ohne Rücksicht auf die sogenannte Mitwelt, die es vermutlich
       sowieso nicht mehr gibt. Freund Ossama kommentierte das bei einem
       Kräuterschnaps mal lapidar so: „Ich muss trinken, um mit der Musik
       klarzukommen.“ Und Freundin Jana ergänzte: „Die Gesamtsituation ist
       besäufniserregend.“
       
       Zurzeit sitze ich jeden Tag bei einigen Weizen vor dem Seven Bistro, einem
       Automatenspieler- und Bölkerasyl an der Hauptstraße im fränkischen N.
       Sofern mich der Große Malaka, ein ausgesprochen netter Grieche, der der
       hiesigen Koiné eine apart verstolperte Varietät hinzufügt, nicht vollquallt
       und auch sonst die akustischen Reize auf den Autoverkehr beschränkt sind,
       fröne ich der visuell grundierten Meditation, das heißt: Ich glotze in die
       Gegend.
       
       Gegenüber, vor dem schmiedeeisernen Zaun mit bemoosten Pfeilern, der die
       Barbaren vom Betreten des herrlichen Baronparks mit uraltem Baumbestand und
       bunten Vogelgesellschaften abhält, stehen seit meiner Kindheit zwölf Schau-
       oder Mitteilungskästen. Die Scheiben sind trübe und verschmutzt, sie wurden
       seit ewigen Zeiten nicht mehr geputzt.
       
       Schaukästen, hoffnungslos obsolete Kommunikationsinstrumente, findest du
       praktisch nur noch auf dem Land. Selbstverständlich hält hier kein
       Traktorist an, um sich über dieses oder jenes zu informieren, und kein
       Fußgänger wirft je einen Blick auf die Aushänge.
       
       ## Zuneigung zu Relikten
       
       Ich habe in den vergangenen Wochen eine Art Zuneigung zu diesen Relikten
       entwickelt, diesen stummen Zeugen der analogen Welt. Und ich registriexre
       jede winzige Veränderung.
       
       Allein die Phalanx, von links nach rechts gelesen, gleicht reiner Poesie:
       CSU – SPD Sozialdemokratische Partei – Grüne (ohne Namensnennung) –
       Arbeiterwohlfahrt – MGV Neuendettelsau – Obst- u. Gartenbauv. – Rotes
       Kreuz – Vogelschutzverein – Heimat- u. Geschichtsverein – Schützenverein –
       Kraftsportverein – TSC Neuendettelsau – Freiw. Feuerwehr – Freie Wähler –
       Bund Naturschutz – Bürgergemeinschaft – RK Neuendettelsau – Fanclub Schell
       7 – Leichtathletik – Tischtennis. Da haste das ganze Dorf beieinander –
       beziehungsweise dessen Reste.
       
       Beim Schützenverein, bei den Freien Wählern und beim Bund Naturschutz
       klafft Leere, ein paar ermattete Magnete pappen, aleatorische Muster
       bildend, noch drin. Unter Kraftsport, der ebenfalls recht abgeschlafft
       wirkt, fällt nun offenbar sogar das Reiten („Reiten lernen – Freunde
       werden“), die Leichtathleten und die Pingpongfexe machen sich gemeinsam für
       eine „Familienbewegung für Demokratie“ stark (was immer das sein mag), und
       die Cluberer (Schell 7) bewerben auf einem vergilbten Plakat die
       Jugendratswahl 2020 (!).
       
       Eine ergreifende Verwehtheit spricht aus alledem. Immerhin der Sportverein,
       der TSC, sieht verschämt kleine Perspektiven, und zwar im Lenkball („Das
       völlig neue Rückschlagspiel für Jung und Alt“), der RK, der
       Reservistenverband, vermeldet tapfer: „Mein Freund ist Reservist“
       (Pistorius dürfte’s freuen), und die Feuerwehr schmeißt sich mit dem
       layouterisch erbärmlich in Szene gesetzten Bekenntnis „Gemeinsames
       Musizieren ist meine Quality Time“ an die Jugend ran, wahrscheinlich eher
       vergeblich. Für so was hat man Handtelefone.
       
       ## Abbruchladen mit Herbstfest
       
       Am besten gefiel mir, dass die Grünen zwischenzeitlich die Segel gestrichen
       hatten und an ihrem Kasten dafür plötzlich ein Flyer hinsichtlich eines
       „Fliegerfestes“ in Ansbach (mit ordentlich Verbrennungsmotorenlärm) klebte.
       Der wurde allerdings bald zum lange verschiedenen Männergesangsverein (MGV)
       umgehängt, um jetzt doch wieder eine „Einladung zum Herbstfest“ („mit
       Federweißer und Zwiebelkuchen in bio-regionaler Qualität“) auszusprechen.
       Das wird den Abbruchladen zum Glück nicht retten.
       
       Meinen Dummheitspokal hatte zunächst die CSU wegen der in Kalk gemeißelten
       Franz-Josef-Strauß-Losung „Ein starkes Bayern für Europa“ eingeheimst, fiel
       aber zwei Wochen später aufgrund der Ankündigung des „Grillfestes 2024“ –
       unter dem Motto „Lieblingsort Bayern“ – auf den Silberrang zurück.
       
       Denn sowieso war ihr die SPD bereits durch den steinstumpfen Appell „Deine
       Stimme gegen Hass und Hetze“ gefährlich auf den Pelz gerückt, um
       schließlich unwiderstehlich an den Christdemokraten vorbeizuziehen, mit dem
       begnadet verlogenen, ranschmeißerischen und orthografisch zweifelhaften
       Versprechen: „Deutschland voranbringen – Wir sorgen für mehr Wachstum, mehr
       Sicherheit und stärken das Soziale. Für all diejenigen, die unser Land am
       Laufen halten. Wir machen Soziale Politik für Dich.“
       
       Am Ende, nach neuerlich näherem Hinsehen, thronten indes freilich die
       Vogelbeschützer über all dem Quark. Die feiern nämlich meinen Freund, den
       Kiebitz, den Vogel des Jahres, und locken mit diversen
       Stammtischbesäufnissen. Und an denen werde ich als Mitgliedsbeitragszahler,
       natürlich zumal im Sinne der Stärkung des Sozialen, in einem starken Bayern
       total hassunerfüllt und ungehetzt partizipieren. Das kannste aber glauben.
       
       25 Sep 2024
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Roth
       
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