# taz.de -- Demos in Frankreich: Auf die Straße gegen Michel Barnier
       
       > Mehr als 100.000 Menschen protestieren gegen die Ernennung des neuen
       > Regierungschefs. Der Konservative möchte in sein Kabinett auch Linke
       > einbinden.
       
 (IMG) Bild: Marchons, marchons gegen den neuen Premier: Auch in Marseille demonstrierten Menschen am Samstag gegen Michel Barnier
       
       Paris taz | „Für die Demokratie“ stand in roten Buchstaben auf dem weißen
       Lastwagen. Er bildete am Samstag in Paris die Bühne für die Demonstration
       gegen den neuen konservativen Regierungschef Michel Barnier. Die
       linkspopulistische France Insoumise (LFI) hatte zu der Kundgebung
       aufgerufen, nachdem Präsident Emmanuel Macron die parteilose Kandidatin des
       Linksbündnisses für das Amt der Premierministerin, [1][Lucie Castets],
       abgelehnt und sich für Barnier entschieden hatte.
       
       Die Entscheidung sei ein „Schlag“ gegen die Würde der Bürgerinnen und
       Bürger, befand der umstrittene LFI-Frontmann [2][Jean-Luc Mélenchon] vor
       laut Angaben des Innenministeriums rund 26.000 Demonstrierenden. Er spielte
       damit auf das Wahlergebnis zur neuen Nationalversammlung im Juli an, nach
       dem die Partei von Barnier, die Republikaner, nur die viertgrößte Fraktion
       bilden.
       
       Das Linksbündnis Neue Volksfront (NFP) hatte die Parlamentswahlen mit einer
       relativen Mehrheit gewonnen. Macron sah allerdings keine ausreichende
       Unterstützung für Castets in der Nationalversammlung. Nach wochenlangen
       Sondierungen wurde die Ernennung des 73-jährigen Barnier möglich, weil die
       Rechtspopulistin Marine Le Pen eine Duldung des früheren EU-Kommissars in
       Aussicht stellte. Le Pens Rassemblement National ist hinter der NFP und dem
       Präsidentenlager drittstärkste Kraft in der neuen Nationalversammlung.
       Grünen-Chefin Marine Tondelier warf Macron vor, mit Barniers Ernennung Le
       Pen zur eigentlichen Entscheiderin zu machen.
       
       „Die Demokratie ist nicht nur die Kunst zu akzeptieren, dass man gewonnen
       hat, sondern auch die Demut zu akzeptieren, dass man verloren hat“,
       kritisierte Mélenchon in seiner Rede. Im ganzen Land schlossen sich dem
       Innenministerium zufolge rund 110.000 Menschen seinem Protest an. Also
       wenig im Vergleich zu den Großdemonstrationen gegen die Rentenreform, die
       im vergangenen Jahr mehr als eine Million Menschen auf die Straße gebracht
       hatten.
       
       ## Barnier kündigt härtere Einwanderungspolitik an
       
       Auch die großen Gewerkschaften und die Sozialisten, die wie Grüne, LFI und
       Kommunisten zum NFP gehören, nahmen nicht an den Kundgebungen teil. Lucie
       Castets, die ebenfalls nicht mitmarschierte, sagte im Vorfeld: „Ich komme
       mit Vergnügen, wenn alle vier Parteien des NFP präsent sein werden.“
       
       Barnier besuchte während der Demos die Leitstelle der Rettungsdienste in
       Paris. Die Gesundheitspolitik werde eine seiner Prioritäten sein: „Ich bin
       nicht da, um Eindruck zu schinden. Man muss verstehen, um zu handeln, und
       man versteht die Leute besser, wenn man ihnen zuhört und sie respektiert.“
       
       Der neue Premier hat die schwierige Aufgabe, bis zum Ende der Woche seinen
       Haushaltsentwurf fertigzustellen, der dann am 1. Oktober in der
       Nationalversammlung debattiert werden soll. Für dieses Jahr sieht die
       scheidende Regierung ein Haushaltsdefizit von 5,6 Prozent anstelle der
       ursprünglich angekündigten 5,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts vor. „Ich
       werde mich zwingen, die öffentlichen Gelder besser zu kontrollieren, besser
       zu nutzen“, versprach Barnier in seinem ersten Fernsehinterview am
       Freitagabend.
       
       Als eine seiner Prioritäten nannte er eine härtere Einwanderungspolitik.
       Außerdem kündigte er an, [3][die umstrittene Rentenreform], die das
       Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre hochsetzt, noch einmal zu
       überdenken. Er wolle zwar den Kern der Reform nicht anrühren, aber zusammen
       mit den Sozialpartnern über Erleichterungen für „besonders fragile“
       Menschen reden. Die Rentenreform gilt als wichtigstes Erbe Macrons, bei der
       Auswahl des Premierministers achtete der Präsident darauf, dass diese
       „Mutter der Reformen“ nicht angetastet wird.
       
       Seine neue Regierung dürfte Barnier schon in den nächsten Tagen vorstellen.
       Ihr könnten neben Konservativen auch Minister:innen des Kabinetts von
       seinem Vorgänger Gabriel Attal angehören. Barnier bot auch „Leuten von der
       Linken“ an, mit ihm zusammenzuarbeiten.
       
       Die Französinnen und Franzosen sind laut einer Umfrage mit der Ernennung
       Barniers mehrheitlich zufrieden. 51 Prozent äußerten Zustimmung zu der
       Personalie. Bei Barniers Vorgänger Gabriel Attal, der aus dem
       Präsidentenlager kam, hatte die Zustimmung bei 53 Prozent gelegen. 74
       Prozent gehen allerdings davon aus, dass Barnier nicht lange im Amt sein
       wird. Doch hier gibt es schon einmal eine gute Nachricht für ihn: Nachdem
       Macron das Parlament im Juni überraschend aufgelöst hatte, könnte dieses
       jedoch erst im kommenden Juni wieder gewählt werden.
       
       8 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christine Longin
       
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