# taz.de -- Krise als Ansichtssache: Dunkelschwarz oder rosarot
       
       > Beim Wandern in den gewittrigen Bergen kommt unser Autor ins Grübeln: Wie
       > gut ist es, die ganze Wahrheit wissen zu wollen?
       
 (IMG) Bild: Gefährlich: Schnell aufziehende Gewitter in den Bergen
       
       Oben auf der Alpgues im [1][österreichischen Vorarlberg] war noch alles
       eitel Sonnenschein. Wir hatten 1.000 Höhenmeter in den Beinen, die
       Rucksäcke [2][voller frisch gesammelter Pfifferlinge] und eine kalte
       Apfelschorle vor uns.
       
       Aber wir mussten ja wieder runter: In der Nachmittagshitze setzen wir also
       die Sonnenbrillen auf, füllten die Wasserflaschen und machten uns angeregt
       quatschend an den Abstieg. Irgendwann blickten wir zufällig auch mal ans
       Ende des Tals: Uups – da war ja alles finster! Von Tirol zog schnell eine
       dunkle Wolkenwand heran, und in der krachte und rumpelte es.
       
       Gewitter [3][auf dem Berg], das ist nicht gut. Wir hasteten Richtung
       Baumgrenze, den bangen Blick immer wieder zu den Wolken. Die Wand kam
       näher, wurde schwarz, schwärzer und schwärzer. Und bald dunkelschwarz.
       Dieses Grummelmonster, das da über den Pass ins Tal kroch, schluckte das
       Sonnenlicht wie ein schwarzes Loch.
       
       Irgendwann musste ich mir aber kurz den Schweiß vom Gesicht wischen. Und
       siehe da: Als ich dann ohne getönte Gläser vor den Augen weiter lief, war
       die drohende Unglückswolke plötzlich – nur noch mittelgrau. „Puuh“, sagte
       mein Begleiter, „der Weltuntergang sieht ohne Sonnenbrille gar nicht mehr
       so schlimm aus“. Mit viel Glück und schnellen Schritten schafften wir es
       tatsächlich heil zurück.
       
       ## Wir Alarmisten!
       
       Aber als Experte für Weltuntergang nagte dieses Erlebnis an mir. Denn ist
       das nicht der Vorwurf an uns Alarmisten? Ihr seht zu schwarz! Die Welt kann
       gar nicht untergehen! Das Klima ändert sich immer! Wir finden schon eine
       technische Lösung! Es ist noch immer gut gegangen!
       
       Setzen wir also auch angesichts der aufziehenden großpolitischen
       Gewitterwolken einmal meine linksgrün-versiffte Sonnenbrille mit
       Katastrophen-Voreinstellung ab. Und schauen mal genau hin: Ist dieser
       Klimawandel nicht nur eine Einbildung? (Nein, aber schön wär es). Machen
       wir nicht zu viel Geschrei über ein paar aussterbende Lurche? (Nein,
       [4][das Netz der Artenvielfalt beginnt tatsächlich zu zerreißen]). Ist die
       Plastikhysterie nicht übertrieben? (Nein, das Zeug ist inzwischen wirklich
       überall, wo es nicht hingehört.) Ist das nicht alles Einbildung? (Nein,
       sondern tausendfach wissenschaftlich belegt.)
       
       Und wie wäre es, wenn wir andersherum schauten? Von außen auf die
       verspiegelten Gläser: Gegen die traumtänzerische Seelenruhe, mit der viele
       Entscheider diese drängenden Probleme ausblenden, könnte meine
       Katastrophenbrille vielleicht ganz hilfreich sein. Denn wie kurzsichtig
       oder verblendet muss man sein, um unsere verfahrene Lage nicht zu sehen:
       den immer schnelleren Schritt hin zum Abgrund, den bröckelnden Kies unter
       dem Schuh, das Sicherungsseil kurz vor dem Reißen, das völlig irrsinnige
       Hoffen auf die Bergwacht in letzter Sekunde [5][oder irgendeine Erfindung,
       die den Sturz über die Klippe noch auffängt].
       
       Diese Sichtweise ist noch deutlich verzerrter und weitaus gefährlicher als
       mein verdunkelter Blick auf die Gewitterwolke. Die Wissenschaft erklärt
       uns: Nicht mit den Augen, sondern mit dem Gehirn sehen wir (nicht). Also:
       Wir erblicken die Schwierigkeiten, aber wir lassen sie im Hirn gleich
       wieder verblassen. Das ist die Ignoranz, die Verdrängung, das
       Nicht-handeln-wollen.
       
       Oder eben eine ganz andere Fehlsichtigkeit: die Ideologie der rosaroten
       Brille.
       
       26 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Pötter
       
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