# taz.de -- Gewalt im Ankunftszentrum: Das System Flüchtlingslager
       
       > Die Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungen zum Angriff mutmaßlicher
       > Islamisten auf kurdische Geflüchtete ein. Dieses Wegschauen ist kein
       > Zufall.
       
 (IMG) Bild: Wenig Platz, traumatisierte Bewohner:innen und inkompetente Security – ein zuverlässiges Rezept für Katastrophen
       
       Ermittlungseifer sieht anders aus: [1][Neun Monate nach dem Angriff
       mutmaßlicher IS-Sympathisanten und Security-Mitarbeiter auf eine Gruppe von
       Kurd:innen in dem Ankunftszentrum Tegel stellt die Staatsanwaltschaft die
       Ermittlungen ein]. Es konnten angeblich keine Täter ermittelt werden.
       
       Das Desinteresse der Ermittlungsbehörden ist Teil des altbekannten Systems
       Flüchtlingslager: Die Bedingungen so schlecht halten, wie es rechtlich und
       gegenüber der Öffentlichkeit nur möglich ist, damit die Bewohner:innen
       bestenfalls von selbst wieder gehen.
       
       Die Berichte der kurdischen Bewohners des Vorfalls im November klingen
       ungeheuerlich. Nach einer Beschwerde über Ruhestörung ging eine Gruppe von
       40 bis 60 Syrern auf die Kurd:innen los, die gemeinsam in einem Großzelt
       untergebracht waren. Die Security-Mitarbeiter griffen nicht ein, einige von
       ihnen legten sogar die Westen ab und beteiligten sich bei dem Angriff. Eine
       kurdische Bewohnerin verlor ihre ungeborenen Zwillinge bei dem Angriff.
       
       Die Erklärung, dass die Staatsanwaltschaft trotz besten Bemühens keine
       Täter ermitteln konnten, ist unglaubwürdig. Die kurdischen
       Bewohner:innen gaben an, gar nicht erst persönlich befragt worden zu
       sein. Von beteiligten Security-Mitarbeitern will die Staatsanwaltschaft
       auch nichts wissen, obwohl das Unternehmen drei Mitarbeitern infolge des
       Vorfalls gekündigt hat.
       
       ## It's not a bug, it's a feature
       
       Über den Anspruch des Rechtsstaats hinaus, für Gerechtigkeit zu sorgen, ist
       das Wegschauen der Behörden auch aus anderer Hinsicht problematisch. Wenn
       weder auf Security-Mitarbeiter:innen noch auf die Polizei Verlass ist,
       drohen Geflüchtetenunterkünfte wie in Tegel zu rechtsfreien Räumen zu
       werden, in denen sich vor Krieg und Verfolgung fliehende Menschen unmöglich
       sicher fühlen können.
       
       Dieses Szenario ist in Tegel schon ein Stück weit der Fall.
       Bewohner:innen berichten von Fällen sexuellen Missbrauchs und
       Drogenhandel, der unter den Augen des Sicherheitspersonals vor sich gehe.
       
       Überraschend ist diese Entwicklung nicht. Denn Massenunterkünfte wie in
       Tegel sind mittlerweile ein wichtiger Teil des europäischen Grenzregimes.
       Nur dass die Grenze kein Zaun ist, sondern eine zermürbende Mischung aus
       endlosem Warten, unwürdigen Lebensbedingungen und der permanenten
       Bedrohung, Opfer von Gewalt zu werden.
       
       Je schlimmer die Zustände, [2][desto mehr gehen freiwillig wieder in ihre
       Heimatländer zurück, und umso weniger machen sich auf den Weg in der
       Hoffnung, hier ein menschenwürdiges Leben führen,] so lautet das grausame
       Kalkül, dass sich mittlerweile durch das gesamte politische Spektrum zieht.
       Tatsächlich sind nicht wenige Betroffene des Angriffs trotz akuter
       Bedrohung „freiwillig“ in ihre Heimatländer zurückgekehrt.
       
       ## Trend zu Massenunterkünften
       
       Die Umsetzung dieser Strategie ist denkbar einfach. Möglichst viele
       Geflüchtete an einen zentralen Ort unterbringen, der sich einfach vom Rest
       der Gesellschaft isolieren lässt – ehemalige Flughäfen wie Tempelhof oder
       Tegel sind ideal. Bürokratische Verfahren möglichst lang und unvorhersehbar
       gestalten, damit aus wenigen Tagen Erstaufnahme ein halbes Jahr wird, ohne
       dass jemand sagen kann, wie lange dieser Zustand noch andauern soll. Und
       natürlich möglichst wenig Geld für kompetente Sicherheitskräfte ausgeben –
       wenn es zu Gewalt zwischen Bewohner:innen kommt, ist es schließlich
       deren eigene Schuld.
       
       Wenig verwunderlich ist daher, in welche Richtung die Flüchtlingspolitik
       des Senats geht. Statt auf kleinteilige Unterbringung und Integration zu
       setzen, sollen [3][neue Massenunterkünfte wie auf dem Tempelhofer Feld]
       entstehen.
       
       Für einen Staat, der sich auf die Fahnen schreibt, Menschenrechte und Würde
       zu wahren, ist ein solches Verhalten einfach nur beschämend.
       
       24 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jonas Wahmkow
       
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