# taz.de -- Hamburger Staatsrätin zur Jugendhilfe: Kinder in Not nicht herumschieben
       
       > Senat will Drehtüreffekte beim Kinder- und Jugendnotdienst stoppen. Das
       > Problem seien Kinder, die keinen Platz finden, sagt Staatsrätin Petra
       > Lotzkat.
       
 (IMG) Bild: Soll als zentrale Einrichtung bestehen bleiben: der Hamburger Kinder- und Jugendnotdienst in der Feuerbergstraße
       
       Hamburg taz | Hamburgs Sozialbehörde will am Konzept eines zentralen
       Kinder- und Jugendnotdienstes (KJND) in der Alsterdorfer Feuerbergstraße
       festhalten. „Wir brauchen diesen einen Ort, wo sieben Tage die Woche rund
       um die Uhr Kinder aufgenommen werden können. Den kann man in seiner
       Funktionalität nicht in der Stadt zwei, drei Mal vorhalten“, sagt
       Staatsrätin Petra Lotzkat. Zugleich wolle die Behörde neue Wege gehen, um
       zu verhindern, dass Kinder an diesem Übergangsort übermäßig lange bleiben
       müssen.
       
       An Hamburgs KJND gibt es seit Jahren [1][Kritik von verschiedenen Seiten].
       Als 2022 die Zahl der unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten wieder
       anstieg, wurden auf einem Teil des Grundstücks [2][Container aufgebaut].
       Nunmehr gibt es auf dem Areal mit der Notunterbringung für hier
       aufgewachsene Kinder, einem Mädchenhaus und der Erstaufnahme für
       Geflüchtete 155 Plätze, was sehr groß für eine Jugendhilfeeinrichtung ist.
       
       Wie jüngst eine [3][Anfrage der Linken] zu Tage brachte, gab es im ersten
       Halbjahr 2024 dort rund 350 besondere Vorkommnisse, darunter etwa 70
       Körperverletzungen und fünf Suizidversuche. „Die [4][Lage ist katastrophal]
       – und sie wird es auch bleiben, wenn nicht endlich etwas passiert“, sagte
       die Linken-Jugendpolitikerin [5][Sabine Boeddinghaus].
       
       ## Linke fordert Aufteilung auf mehrere Orte
       
       Sie hatte im Herbst vergeblich [6][beantragt], dass der KJND auf [7][drei
       Standorte in der Großstadt Hamburg verteilt] wird und sich dabei auch auf
       ein [8][Forschungsprojekt] aus den Jahren 2019 bis 2020 berufen, wonach der
       KJND „in seiner jetzigen Form geschlossen oder jedenfalls ganz neu
       konzipiert“ werden müsste.
       
       Sozial-Staatsrätin Petra Lotzkat, in der Behörde seit 2018 für die
       Jugendhilfe zuständig, kommt zu einer anderen Analyse: Die pauschale Kritik
       tue dem KJND unrecht. „Zum einen verlassen sehr viele in Obhut genommene
       Kinder den KJND sehr schnell wieder“, sagt Lotzkat. „Andere Kinder fühlen
       sich dort zum ersten Mal angenommen und wollen im Einzelfall dort sogar
       bleiben.“ Jährlich würden rund 1.400 Kinder und Jugendliche aus Hamburg in
       Obhut genommen, viele von ihnen im KJND – die rund 1.000 unbegleiteten,
       minderjährigen Flüchtlinge nicht eingerechnet. In den meisten Fällen
       blieben die Kinder nur kurze Zeit, bevor sie ein neues Zuhause fänden.
       
       Doch es gebe eine Gruppe von Kindern, die schon mehrfach die Einrichtung
       wechseln mussten und die die Träger dem KJND dann wieder vor die Tür
       stellten. „Dieser Drehtüreffekt belastet die Kinder sehr. Sie haben jedes
       Mal die Erfahrung zu versagen“, sagt Lotzkat. Und es werde immer
       schwieriger, für sie eine Einrichtung zu finden. Erst recht, wenn, wie
       jüngst wieder, einzelne Kinder als besonders schwierig [9][oder sogar
       gefährlich in der Presse vorgeführt] würden.
       
       Das Problem sei der Abfluss beim KJND, sagt Lotzkat. Um diesen zu
       verbessern, seien schon viele Maßnahmen ergriffen worden, die aber nicht
       ausreichten. Die Behörde wolle deshalb im Herbst auf die Träger der
       stationären Jugendhilfe zugehen und Vereinbarungen treffen, um solche
       Drehtüreffekte zu minimieren. „Wir könnten uns zum Beispiel darauf
       verständigen, dass ein Träger ein Kind erst dann wieder abgeben kann, wenn
       für das Kind ein neuer Ort gefunden wurde“, sagt die Staatsrätin.
       
       ## Künftig Budgets statt Einzelfall-Finanzierung?
       
       Die Vereinbarungen könnten darin bestehen, dass die Träger nicht mehr über
       Einzelfälle finanziert werden, sondern Budgets bekommen. Das könnte auch
       die Kooperation der Träger untereinander erleichtern, hofft Lotzkat. „Wenn
       ein Träger ein Kind nicht halten kann und rechtzeitig sagt ‚Es passt nicht
       in unsere Einrichtung‘, dann könnte man gemeinsam klären, was für dieses
       Kind eine Lösung sein kann, ohne dass es wieder im KJND untergebracht
       werden muss.“
       
       Abgesehen von besagter 24-Stunden-Aufnahmebereitschaft sei die Behörde sehr
       offen dafür, weitere dezentrale Einrichtungen auch bei freien Trägern zu
       schaffen, wo die in Obhut genommen Kinder wohnen könnten. [10][Einige
       wenige Träger] böten das auch bereits an. „Wir bemühen uns darum seit zwei
       Jahren und haben da keine ideologischen Bedenken“, sagt die Staatsrätin.
       Schon heute würden 60 Prozent der Kinder außerhalb des KJND an anderen
       Orten der Stadt in Obhut genommen.
       
       Hamburgweit sei der Mangel an Fachkräften und geeigneten Liegenschaften ein
       Problem. Zudem nähmen die Konflikte in Familien und die Schwere der Fälle
       zu, was auch noch mit der Coronazeit zu tun habe. „Wir haben aber viel mehr
       Meldungen von möglichen Kindeswohlgefährdungen als tatsächliche Fälle. Das
       zeigt, dass die Jugendhilfe das gut macht und es gelingt, Probleme gut zu
       diagnostizieren und auch im Sozialraum aufzufangen“, sagt Lotzkat.
       
       ## Streitpunkt Alters-Festlegung
       
       Eine weitere Kritik am KJND im Zusammenhang mit den minderjährigen
       Schutzsuchenden betrifft die Altersfeststellung. Die Hamburger Morgenpost
       berichtete jüngst, dass der Fachdienst Flüchtlinge im KJND 16-Jährige
       willkürlich als volljährig eingestuft habe, worauf sie in Einrichtungen für
       Erwachsene kamen. Die Beratungsstelle „Fluchtpunkt“ habe daraufhin in 89
       Fällen eine Überprüfung beim Institut für Rechtsmedizin durchgesetzt, die
       ergeben habe, dass 75 von diesen jünger als 18 waren.
       
       Darauf angesprochen sagte Lotzkat, die Mitarbeiter des KJND machten eine
       „Inaugenscheinnahme“ an Hand wissenschaftlicher Kriterien, für die sie vom
       Institut für Rechtsmedizin (IFR) geschult worden seien. In Zweifelsfällen
       werde das Alter durch das IFR medizinisch festgestellt. Dieses könne aber
       verlässlich nur das sogenannte Mindestalter der Kinder- und Jugendlichen
       bestimmen.
       
       Alle, die solcherart vom IFR als möglicherweise erst 17,4-jährig und damit
       als minderjährig eingestuft wurden, nehme der KJND zurück. Sie seien aber
       in der Mehrzahl fast volljährig. „Wir können sie dann nicht mit den
       jüngeren Kindern in einer Gruppe zusammenfassen, denn auch diese haben
       einen Schutzbedarf und zu große Altersunterschiede führen zu Machtgefällen
       und Unausgewogenheiten in den Gruppen“, sagt Lotzkat. Sie kämen aber nicht
       in Erwachsenenunterkünfte, sondern in eigene Einrichtungen, wo sie auch im
       Rahmen der Hilfe für junge Volljährige bleiben könnten und zudem aus
       Mitteln des Europäischen Sozialfonds ein Bildungsangebot erhielten.
       
       9 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Kritik-am-Kinder--und-Jugendnotdienst/!5939986
 (DIR) [2] /Versorgung-unbegeleiteter-Minderjaehriger/!5906508
 (DIR) [3] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/87859/ueberlastung_und_ueberbelegung_kann_im_kinder_und_jugendnotdienst_noch_fuer_schutz_gesorgt_werden_zur_aktuellen_lage_im_kjnd.pdf
 (DIR) [4] /Missstaende-in-der-Hamburger-Jugendhilfe/!5758891
 (DIR) [5] https://www.linksfraktion-hamburg.de/kjnd-gewalt-suizidversuche-ueberbelegung-und-der-senat-schaut-weg/
 (DIR) [6] https://www.die-linke-hamburg.de/fileadmin/bv_wandsbek/upload/12799_unhaltbare_zustaende_kinder_und_jugendnotdienst_neu_konzeptionieren_und_dezentralisieren_notleidende_kinder_brauchen_einen_sicheren_ort_keine_grossein.pdf
 (DIR) [7] /Debatte-nach-Randale-in-Kinderklinik/!6009081
 (DIR) [8] /Hamburger-Kinder--und-Jugendnotdienst/!5773055
 (DIR) [9] /Kampagne-fuer-geschlossenes-Heim/!5939987
 (DIR) [10] /Jugendliche-Fluechtlinge-in-Hamburg/!5903934
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kaija Kutter
       
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