# taz.de -- Nach Rückzug der Parteispitze: Und jetzt die Nachfolge-Tombola
       
       > Die Linke steht vor mehreren Dilemmata: Wer ist bekannt genug für die
       > Nachfolge, aber dennoch frisch? Wer kann Realpolitik und Idealismus
       > versöhnen?
       
 (IMG) Bild: Janine Wissler und Martin Schirdewan stellen sich am Montag Nachmittag den Fragen der Presse
       
       Berlin taz | Was Martin Schirdewan auch immer vorgeworfen werden kann: Dass
       er seinen Optimismus verloren hätte, lässt sich zumindest nicht behaupten.
       „Der Programmprozess soll bis 2027 abgeschlossen sein“, verkündete der
       scheidende Linken-Chef am Montag bei seinem gemeinsamen Auftritt mit der
       Noch-Co-Vorsitzenden Janine Wissler in der Berliner Parteizentrale.
       
       Das ist eine recht sportliche Ankündigung für eine Partei im Existenzkampf,
       von der nicht wenige glauben, dass es sie 2027 gar nicht mehr geben wird.
       Einerseits. Andererseits verbirgt sich dahinter auch das tiefgreifende
       Problem, das die Linke hat: Sie schiebt unumgängliche Grundsatzdiskussionen
       hinaus, um so nach dem Abgang von [1][Sahra Wagenknecht] und ihrem Anhang
       die nächste, möglicherweise finale Zerreißprobe zu verhindern.
       
       Wie schwer sich die Partei tut, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen,
       zeigte sich bei der Vorstandssitzung am vergangenen Wochenende. Nach außen
       hin demonstrierte das Führungsgremium Geschlossenheit. Der Leitantrag für
       den Bundesparteitag im Oktober in Halle wurde ohne Gegenstimmen
       beschlossen. Möglich wurde das jedoch nur aufgrund von Formelkompromissen
       – was insbesondere für die sogenannte Friedensfrage gilt, konkret den
       Umgang der Linken mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine.
       
       Den russischen Überfall zu verurteilen, da ist sich die Partei noch
       weitgehend einig. Aber wie weit und ob es überhaupt [2][eine Unterstützung
       für das angegriffene Land] geben soll, ist an der Basis auch nach dem
       Abgang des Wagenknecht-Lagers hoch umstritten. Um niemanden zu
       verschrecken, drückt man sich daher lieber selbst um die Feststellung kaum
       bestreitbarer Tatsachen. „Die westliche Unterstützung für die Ukraine hat
       verhindert, dass der russische Angriff schnell erfolgreich war und die
       Ukraine ihre Souveränität verloren hat“, ist so ein Satz, der auf der
       Parteivorstandstagung keine Mehrheit fand, um in den Leitantrag aufgenommen
       zu werden.
       
       ## Häufig genannt wird Jan van Aken
       
       Überschattet werden die inhaltlichen Probleme gegenwärtig jedoch von den
       personellen. Auch wenn [3][der Zeitpunkt ihrer Rückzugsankündigung] einige
       überrascht hat, stand eigentlich bereits seit der [4][dramatisch verlorenen
       Europawahl im Juni] fest, dass die Tage der bisherigen Parteivorsitzenden
       gezählt sind. Am Sonntag haben es Wissler und Schirdewan nun offiziell
       gemacht, dass sie nicht mehr antreten werden. Wer wird ihnen nachfolgen?
       
       Etliche Namen schwirren derzeit durch die Flure des traditionsreichen
       Karl-Liebknecht-Hauses, das schon einst Parteizentrale der KPD war. Häufig
       genannt wird der ehemalige Bundestagsabgeordnete Jan van Aken, der derzeit
       für die parteinahe Rosa-Luxemburg-Stiftung tätig ist. Ex-Parteichef Bernd
       Riexinger hat sich sogar schon öffentlich für ihn ausgesprochen. Der
       eloquente 63-jährige Hamburger strahle „den Habitus aus, den es braucht, um
       die Linke wieder nach vorn zu bringen“, sagte Riexinger dem Spiegel. Zudem
       bringe er „reichlich Erfahrung und politisches Gespür mit, was wir jetzt
       benötigen“.
       
       Wie es heißt, soll van Aken, der von 2012 bis 2014 bereits
       stellvertretender Parteivorsitzender war, nicht abgeneigt sein. Er dürfte
       sich in Kürze zu seinen Ambitionen äußern. Allerdings gibt es auch
       Widerstände gegen ihn. Als er sich 2021 aus dem Bundesvorstand zurückzog,
       verband van Aken das mit einer scharfen internen Kritik an der
       Linken-Bundestagsfraktion und deren damaliger Führung Dietmar Bartsch und
       der mittlerweile zum BSW abgewanderten Amira Mohamed Ali.
       
       Durch das Bündnis des Bartsch-Lagers mit Sahra Wagenknecht und ihrem Anhang
       hätte sich in der Fraktion eine „Beutegemeinschaft“ gebildet, die die Linke
       in den Abgrund treibe, analysierte er scharfsinnig wie weitsichtig.
       Entsprechend gilt van Aken nicht gerade als der Wunschkandidat des als sehr
       nachtragend geltenden Ex-Fraktionschefs Bartsch, der nach wie vor kräftig
       versucht, hinter den Kulissen die Strippen zu ziehen.
       
       Ein Faible wird Bartsch hingegen für eine andere potenzielle Kandidatin
       nachgesagt: die Publizistin Ines Schwerdtner, die wie van Aken derzeit bei
       der Rosa-Luxemburg-Stiftung beschäftigt ist. Gebürtig im sächsischen
       Zwickau und aufgewachsen in Hamburg, gilt die heute 35-jährige
       Ex-Chefredakteurin des linken Politmagazins Jacobin sowohl als
       Hoffnungsträgerin von Teilen der ostdeutschen Reformer:innen als auch
       der westdeutschen Traditionslinken in der Linkspartei.
       
       Bei der vergangenen Europawahl brachte ihr das den Platz 5 auf der
       Linkenliste ein, der indes nicht zum Einzug ins Parlament reichte. Ihrem
       Ehrgeiz würde der Griff nach dem Parteivorsitz sicherlich entsprechen. Erst
       vor einem Jahr in die Linke eingetreten, bestehen jedoch bei Erfahreneren
       ernste Bedenken, ob sie diese Funktion auch ausfüllen könnte.
       Außerinstitutionelle und außerparlamentarische Erfahrungen würden dafür
       nicht reichen, heißt es. Auch sie hat sich bisher noch nicht zu ihren
       Absichten geäußert.
       
       Ein Duo Ines Schwerdtner und Jan van Aken würde der klassischen
       Linken-Doppelquote entsprechen, also Frau-Mann und Ost-West. Auch weil es
       einige Zweifel gibt, ob die beiden politisch miteinander harmonieren
       würden, ist es aber keineswegs ausgemacht, dass es so kommt. In der Tombola
       sind noch zahlreiche andere Namen.
       
       Da sind zum Beispiel die Gruppenvorsitzenden im Bundestag, Heidi Reichinnek
       und Sören Pellmann, die vor zwei Jahren vergeblich gegen die beiden
       derzeitigen Vorsitzenden Wissler und Schirdewan kandidiert hatten. Wobei
       Reichinnek bereits im April bei einem Pressegespräch ausgeschlossen hat,
       noch mal antreten zu wollen. Pellmann hält sich hingegen bislang bedeckt,
       allerdings macht er schon als Gruppenvorsitzender nicht die allerbeste
       Figur.
       
       Je nach Flügel- oder Strömungszugehörigkeit werden als mögliche
       Kandidatinnen zudem die Bundestagsabgeordneten Martina Renner und Clara
       Bünger oder die sachsen-anhaltische Fraktionsvorsitzende Eva von Angern und
       Mecklenburg-Vorpommerns Vizeministerpräsidentin Simone Oldenburg genannt.
       
       Manche würden sich auch den ehemaligen Berliner Kultursenator Klaus Lederer
       an der Spitze wünschen, der gerade mit seinem neuen Buch „Mit Links die
       Welt retten“ auf Lesetour ist. In der Generation derjenigen, die noch nicht
       das Rentenalter erreicht haben, dürfte der 50-jährige Rechtsanwalt wohl das
       prominenteste Gesicht der Linken sein. Aber in den weniger realpolitisch
       orientierten Kreisen in der Partei gibt es heftige Aversionen gegen ihn.
       Daher erscheint ein Antritt äußerst unwahrscheinlich.
       
       Als politisches Talent gilt der frühere Gewerkschaftssekretär Sebastian
       Walter. Der 34-jährige Eberswalder ist Landesvorsitzender der Linken in
       Brandenburg. Alleine schon, weil er als Spitzenkandidat seine Partei bei
       der Landtagswahl am 22. September überhaupt erst mal wieder ins Potsdamer
       Parlament führen muss, dürfte eine Kandidatur für den Parteivorsitz aber
       nicht infrage kommen. Schafft sie den Wiedereinzug nicht, hat sich das
       Thema ohnehin erledigt.
       
       Bis zum 8. September sollen Interessierte ihre Bereitschaft zur Kandidatur
       erklären, um sich anschließend auf Regionalkonferenzen der Parteibasis zu
       stellen. Für alle, die sich gerade in Brandenburg, Sachsen oder Thüringen
       in führenden Positionen im Überlebenswahlkampf befinden, ist dieser
       Zeitplan mehr als ungünstig. Das gilt auch beispielsweise für den Chef der
       Thüringer Staatskanzlei Benjamin Hoff oder Nochlandwirtschaftsministerin
       Susanna Karawanskij.
       
       Allerdings sind auch noch auf dem Bundesparteitag, der vom 18. Oktober 2024
       bis zum 20. Oktober 2024 in Halle stattfinden wird, Spontankandidaturen
       möglich. Hinter den Kulissen wird jedenfalls bereits intensiv um ein
       mögliches Personaltableau gerungen, dem zugetraut werden könnte, die Linke
       vor dem Untergang zu bewahren. Dabei geht es nicht nur um den Vorsitz. Auch
       andere aus der bisherigen Führung werden auf dem Parteitag in Halle ihren
       Abschied nehmen, beispielsweise Bundesgeschäftsführerin Katina Schubert und
       wohl auch Schatzmeister Harald Wolf.
       
       Die Partei steht also vor einem weitgehend kompletten personellen
       Neuanfang. Auch größere Überraschungen sind da noch möglich. Zumal der
       Ausgang der drei ostdeutschen Landtagswahlen zuvor ohnehin noch einmal für
       eine Dynamik in die eine oder andere Richtung sorgen dürfte.
       
       So erscheint es denn auch nicht undenkbar, dass es auf dem Parteitag zum
       großen Knall kommt. Dann dürfte es auch mit dem Parteiprogrammprozess bis
       2027 schwierig werden. „Wenn man immer sagt, wir sind die Partei der
       Solidarität, dann muss man halt auch nach innen solidarisch miteinander
       umgehen“, sagte Janine Wissler am Montag. Ob das inzwischen alle in der
       Partei begriffen haben, erscheint fraglich.
       
       19 Aug 2024
       
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