# taz.de -- Rücktritte an US-Universitäten: Die es niemandem recht gemacht hat
       
       > Minouche Shafik ist von ihrem Amt als Präsidentin der Columbia University
       > zurückgetreten. Wirklich unglücklich ist niemand darüber.
       
 (IMG) Bild: Columbia-Präsidentin Minouche Shafik am 17. April bei der Anhörung in Washington zu Antisemitismusvorwürfen
       
       Dreizehn Monate und 13 Tage lang diente [1][Minouche Shafik] als
       Präsidentin der Columbia University. Das ist die kürzeste Amtszeit seit
       1801 in der Geschichte der Eliteuniversität. Am Mittwochabend verkündete
       Shafik in einer E-Mail an die Universität mit sofortiger Wirkung ihren
       Rücktritt. Was ist passiert?
       
       Minouche Shafik ist nach Liz Magill von der University of Pennsylvania und
       [2][Claudine Gay] aus Harvard die dritte von insgesamt acht
       Ivy-League-Präsident:innen, die als Folge von Kontroversen über den
       Krieg in Gaza zurücktritt. In ihrer Erklärung schreibt Shafik von einer
       „Zeit des Aufruhrs, in der es schwierig war, unterschiedliche Ansichten
       innerhalb unserer Gemeinschaft zu überwinden“. Dies habe sich in
       beträchtlicher Weise auf ihre Familie und viele in der Universitätsgemeinde
       ausgewirkt. Nach reiflicher Überlegung habe sie sich während des Sommers
       zum Rücktritt entschlossen.
       
       Als die Hamas am 7. Oktober 2023 israelische Zivilist:innen
       massakrierte und Israel kurz darauf Gaza angriff, hatte das neue Semester
       erst wenige Wochen begonnen. Plötzlich prasselten von allen Seiten Vorwürfe
       auf Shafik herab.
       
       Die in Ägypten geborene Wirtschaftswissenschaftlerin Shafik war seit der
       Gründung der Universität im 18. Jahrhundert die erste Frau in dieser
       Spitzenposition gewesen. Zuvor hatte sie sechs Jahre lang die London School
       of Economics and Political Science geleitet.
       
       ## Zelte auf dem Universitätsgelände
       
       Mitte April hatten propalästinensische Proteste an der New Yorker Columbia
       Universität nationale und internationale Debatten ausgelöst und zu einem
       Dominoeffekt geführt, der auch deutsche Universitäten mitriss. Hunderte
       Studierende hatten Zelte auf dem Universitätsgelände errichtet und gegen
       die Geschäfte und Verbindungen der Columbia mit israelischen Institutionen
       protestiert.
       
       Die Columbia University hat ein Stiftungsvermögen von mehr als 14
       Milliarden US-Dollar, das sie gewinnbringend anlegt – auch in
       Rüstungskonzernen und anderen Unternehmen, die vom Krieg in Gaza
       profitierten, behaupteten jedenfalls die Protestierenden. Gleichzeitig
       drangen immer wieder Berichte über antisemitische Vorfälle an der Columbia
       nach außen.
       
       Kurz nach der Errichtung ließ Shafik das Protestlager durch
       Polizist:innen in Kampfausrüstung räumen und mehr als hundert
       Studierende festnehmen, obwohl von ihnen laut Polizei keine ernsthafte
       Bedrohung ausging. Eine geisteswissenschaftliche Fakultät nannte dieses
       Verhalten einen „beispiellosen Angriff auf die Rechte von Studierenden“. Im
       Mai sprach ein Teil des Lehrkörpers der Präsidentin das Misstrauen aus und
       warf ihr vor, die Rechte von Studierenden und Prinzipien der
       Wissenschaftsfreiheit verletzt zu haben.
       
       Am selben Tag, an dem sie das Protestlager räumen ließ, musste Shafik in
       einer vierstündigen, von Republikanern geführten Anhörung vor dem Kongress
       in Washington, D.C., zu Antisemitismusvorwürfen auf dem Campus Stellung
       beziehen. Wichtige jüdische Geldgeber wie der Milliardär Robert Kraft
       hatten ihre Zahlungen ausgesetzt und drängten die Universität, mehr für den
       Schutz ihrer jüdischen Studierenden zu tun.
       
       ## Akademische Unabhängigkeit
       
       Dass die Universität in ihrer Verantwortung als Bildungsinstitution versagt
       habe – nämlich eine Plattform für die Studierenden zu schaffen, wo sie
       schwierige Gespräche führen und Gegensätze aushalten können –, war der
       Vorwurf von Greg Khalil, Lehrbeauftragter mit palästinensischen Wurzeln, im
       April [3][im taz-Gespräch.] Bis zum 7. Oktober wollte man gar nicht über
       den Nahostkonflikt sprechen, weil das Thema als „zu kontrovers“ angesehen
       wurde. Nach dem Massaker der Hamas sei man nur bereit gewesen, über
       Antisemitismus zu reden – ohne Menschenrechte für alle anzusprechen.
       
       Shafik interessiere weder die Sicherheit ihrer jüdischen noch ihrer
       palästinensischen Studierenden, die ebenfalls unter Angriffen litten. Statt
       Schutz gehe es der Präsidentin darum, die Geldgeber der Universität zu
       befrieden. Damit stehe die akademische Unabhängigkeit auf dem Spiel.
       
       Auch nachdem das Protestlager wenige Tage nach der Räumung wieder errichtet
       wurde, blieben die Verhandlungen zwischen der Universität und den
       Studierenden erfolglos. Shafik selbst ließ sich kein einziges Mal im
       Protestcamp blicken. Als die Protestierenden die Hamilton Hall, ein
       Universitätsgebäude, besetzten, stürmte erneut die Polizei das Gelände. Die
       Abschlussfeier wurde abgesagt.
       
       „Es war ein Höllenjahr, von Anfang an eine unmögliche Situation“, sagte
       [4][Jelani Cobb], Dekan der journalistischen Fakultät Columbias, der
       [5][Washington Post] nach Bekanntgabe von Shafiks Rücktritt. Zwar hatte die
       Präsidentin selbst von der „zentralen Herausforderung“ gesprochen, das
       Recht auf freie Meinungsäußerung mit dem Recht jüdischer Studierender auf
       ein Umfeld ohne Diskriminierung und Belästigung in Einklang zu bringen. Die
       Reaktionen auf ihren Rücktritt zeigen allerdings, wie wenig ihr dieser
       Balanceakt geglückt ist.
       
       „Jeden künftigen Präsidenten, der der Forderung unserer Studierendenschaft
       nach Desinvestitionen keine Beachtung schenkt, erwartet dasselbe
       Schicksal wie Präsidentin Shafik“, kündigte die Aktivist:innengruppe
       Columbia Students for Justice in Palestine nach Bekanntgabe von Shafiks
       Rücktritt auf X an.
       
       Auch die republikanische Kongressabgeordnete Elise Stefanie, die die
       Anhörung gegen Shafik und weitere Universitätspräsident:innen
       geleitet hatte, freute sich über den Rücktritt und lobte den
       Kongressausschuss, der Shafik zum Rücktritt gedrängt hatte.
       
       Shafik gab an, bereits eine neue Stelle im britischen Außenministerium zu
       haben. Dort soll sie den entwicklungspolitischen Ansatz der britischen
       Regierung untersuchen. Die Medizinerin Katrina A. Armstrong wird die
       interimsmäßige Nachfolgerin Shafiks. Armstrong sei laut Dekan Cobb in der
       Universitätsgemeinschaft „respektiert und beliebt“.
       
       Die Lage auf dem Campus in Columbia bleibt kurz vor Semesterbeginn weiter
       angespannt. Drei Dekane mussten erst vor wenigen Tagen zurücktreten, weil
       bekannt wurde, dass sie einander im Mai spöttische Nachrichten mit
       antisemitischem Unterton geschickt hatten. Propalästinensische
       Protestierende kündigten an, mit ihren Forderungen nicht nachzulassen. Und
       die Universität führte ein neues Warnsystem ein, um sich auf neue Unruhen
       im Herbst vorzubereiten: Vor Kurzem schaltete es von „Grün“ auf „Orange“
       um. Für Außenstehende bleiben die Tore Columbias weiterhin verschlossen.
       
       15 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [4] https://en.wikipedia.org/wiki/Jelani_Cobb
 (DIR) [5] https://www.washingtonpost.com/nation/2024/08/14/columbia-minouche-shafik-protests/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marina Klimchuk
       
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