# taz.de -- Massentourismus auf Mallorca: Vertreibung aus dem Urlaubsparadies
       
       > Auf Mallorca wird immer mehr Wohnraum an Touristen vermietet,
       > Einheimische finden auch mit guten Jobs keine Bleibe mehr. Wie kann das
       > sein?
       
       Karla Andrade fliegt jeden Tag zur Arbeit. Die 36-jährige
       Grundschullehrerin steigt morgens in Mallorca ins Flugzeug nach Ibiza, und
       nachmittags fliegt sie wieder heim. Über 40 Flüge im Monat; über 54.000
       Flugkilometer im Schuljahr sind das. „Ich gebe dafür je nach Monat zwischen
       600 und 800 Euro aus“, sagt die verheiratete Mutter von zwei kleinen
       Kindern.
       
       Aber, sagt sie, das sei „immer noch wesentlich billiger, als auf Ibiza eine
       Wohnung zu mieten“. Andrade ist das perfekte Beispiel, wenn man begreifen
       will, was der Tourismus mit dem Wohnungsmarkt auf den Balearischen Inseln
       anrichtet. Sie hat ihre Geschichte schon einige Male in den Medien erzählt
       und wurde so zum bekanntesten Fall einer Gruppe von Lehrern, die dieses
       Schicksal mit ihr teilen.
       
       „Unter 1.200 Euro im Monat gibt es auf Ibiza nichts auch noch so Kleines“,
       sagt Andrade. Ihr Nettogehalt liegt bei unter 2.000 Euro. „Und selbst zu
       diesen hohen Preisen finden sich Wohnungen oder Zimmer nur von Oktober bis
       Mai, also außerhalb der Urlaubssaison.“ Denn in der Saison kommen die
       Touristen. „Und die akzeptieren einfach alles, was verlangt wird.“
       
       Andrade wohnt also weiterhin mit den beiden Kleinen und ihrem Mann, der als
       Verkäufer arbeitet, in einem Stadtteil von Palma. Sie haben dort vor ein
       paar Jahren eine Wohnung gekauft. „Bevor der Tourismus die Preise in
       unerschwingliche Höhen trieb. Dennoch werden wir noch weitere 25 Jahre den
       Kredit abzahlen müssen“, sagt die junge Frau.
       
       ## Ein Platz auf der Nachbarinsel
       
       Sie hat im vergangenen Sommer, nach Jahren mit Zeitverträgen, die
       oposiciones, die Prüfung für eine Verbeamtung und Festanstellung,
       bestanden. „Ich war überrascht, als mir ein Platz auf der Nachbarinsel
       zugeteilt wurde“, erzählt sie. Jetzt muss sie erst einmal auf Ibiza
       bleiben, will sie nicht auf ihren Beamtenstatus verzichten. „In ein paar
       Jahren dann, wenn ich genug Berufserfahrung habe, kann ich eine Versetzung
       beantragen.“
       
       So lange wird sie morgens um 5 Uhr aufstehen, zum Flughafen fahren, dann 20
       Minuten Flug, Schulbeginn ist um 8 Uhr. Und am späten Nachmittag dann der
       Rückweg. „Das ist Stress. Und wenn was Unvorhergesehenes passiert, muss ich
       den Flug wechseln“, sagt Andrade. Ohne die Hilfe der Großeltern wäre das
       alles bei zwei Kleinkindern nicht zu meistern. „Zum Glück bin ich gerne
       Lehrerin“, sagt sie, wie um sich selbst zu trösten.
       
       Längst gibt es Menschen, die sich in Mallorca – trotz fester Arbeitsstelle
       – kein Dach über dem Kopf mehr finanzieren können. Belén Ortelli ist eine
       davon. Sie lebt in einem alten Wohnmobil, wie sie überall in Palma und
       Umland auf Parkplätzen und Seitenstraßen zu sehen sind. „Ich habe einen
       Kredit aufgenommen, um mir das Fahrzeug zu kaufen“, berichtet die
       42-jährige Frau, die 2019 aus Argentinien auf die Insel kam und hier in der
       Telefonzentrale einer großen Reiseagentur arbeitet. 1.300 Euro, kaum mehr
       als den gesetzlichen spanischen Mindestlohn, verdient sie pro Monat.
       
       „Zuerst habe ich mir ein Zimmer gemietet“, berichtet sie, ein piso
       compartido, zu Deutsch: eine Wohngemeinschaft. Doch anders als in einer
       echten WG ist es der Vermieter, der entscheidet, wer einzieht und wer
       nicht. „Das war unerträglich“, beschwert sich Ortelli. Lärm, Belästigung
       durch Mitbewohner und Vermieter, Drogen, Gewalt.
       
       Jetzt zahlt Ortelli keine Miete mehr und gibt das Geld stattdessen für das
       20 Jahre alte Wohnmobil aus. Eine Dusche, eine Küche: Hier hat sie alles,
       und das für sich alleine. „Ich muss mich spätestens alle neun Tage irgendwo
       anders hinstellen. Außerdem darf ich mich nicht mit einem Stuhl auf den
       Gehsteig setzen und auch die Markise nicht ausfahren, denn dann könnte ich
       wegen illegalen Campens angezeigt werden. Solange nichts über das Fahrzeug
       hinaussteht gilt es als Parken“, sagt Ortelli, die stolz auf ihre
       Schiebefenster zeigt: Denn selbst zum Lüften geöffnete Klappfenster könnten
       als Verstoß gegen diese Norm ausgelegt werden.
       
       ## Kaufpreis: Zwischen 800.000 und mehreren Millionen Euro
       
       Derzeit steht Ortelli in El Molinar, östlich von Palma, gleich hinter einer
       gut besuchten Eisdiele und nur wenige Meter sind es zum Strand. Um sie
       herum gruppieren sich die bei ausländischen Investoren beliebten
       Einfamilienhäuser, deren Kaufpreis irgendwo zwischen 800.000 und
       zweistelligen Euro-Millionenbeträgen liegt, je nach Größe und je nachdem
       wie gut der Blick aufs Wasser ist. Blickt man dorthin, aufs Meer, sieht man
       in einem Abstand von weniger als einer Minute die Flugzeuge hereinkommen,
       die die Touristen bringen.
       
       „Wir werden von den Hausbesitzern hier oft schräg angeschaut“, berichtet
       Ortelli. Und immer wieder gibt es seitens der Stadtverwaltung Versuche, die
       Wohnmobile zu verbieten. „Wir protestierten und haben ein völliges
       Standverbot damit zumindest bisher verhindert“, sagt Ortelli. Sie ist
       zusammen mit Dutzenden anderen caravanistas Teil einer Messengergruppe.
       „Wir passen aufeinander auf und mobilisieren auch, wenn es nötig ist.“
       Keiner kann sagen, wie viele solcher caravanistas es auf Mallorca gibt.
       Doch die Zahl geht in die Hunderte, wenn nicht gar Tausende. Auf Ibiza
       leben Saisonarbeiter, die vor allem in der Gastronomie beschäftigt sind,
       mittlerweile sogar in Zelten.
       
       „Die Wohnkosten sind längst der wichtigste Faktor für die zunehmende Armut
       auf den Inseln“, sagt David Abril, Professor für Soziologie an der
       Universität in Palma und Chef des Sozialobservatoriums der Balearischen
       Inseln (Osib). Die Wohnung verschlingt einen Großteil der Einkünfte, auch
       wer arbeite, gerate damit immer häufiger in die Armut. Die Miete für eine
       Zweizimmerwohnung übersteige das, was mit dem gesetzlichen Mindestlohn
       möglich sei. Und die hohen Kaufpreise führten dazu, dass durchschnittlich
       „16 komplette Jahreslöhne für eine Eigentumswohnung ausgegeben werden
       müssen. Das ist mehr als sonst in Spanien“, zitiert Abril aus den
       Ergebnissen einer jüngst veröffentlichten Osib-Studie.
       
       Mallorca hat 308.000 Hotelplätze und 104.000 Plätze in Ferienvermietungen.
       Hinzu kommen die Ferienvermietungen, die ohne Lizenz abgewickelt werden.
       Wie viele Wohnungen dadurch dem örtlichen Wohnungsmarkt zusätzlich entzogen
       werden, weiß niemand so genau. Dazu kommen die Ausländer – meist aus
       Mittel- und Nordeuropa –, die sich eine Ferienwohnung kaufen. Diese steht
       dann bis auf ein paar Monate im Jahr leer. Ein Drittel aller 2023 auf den
       Balearen verkauften Wohnungen gingen an ausländische Kunden.
       
       „Der Tourismus und die Ferienwohnungen verändern alles“, sagt Isabel Nadal,
       gemeinsam mit Abril Koordinatorin der Osib-Studie. Die junge Doktorandin
       beschäftigt sich mit den Auswirkungen des Tourismus auf das urbane Umfeld
       als solchem. „Die ursprünglichen Bewohner verlieren das Recht auf ihre
       Stadt“, beschreibt sie die Situation. Geschäfte, Gastronomie,
       Freizeitangebote, alles sei auf die Besucher ausgerichtet. Traditionelle
       Geschäfte und Kneipen gingen nach und nach verloren. „Und der Druck auf
       Mallorca und die restlichen Inseln steigt weiterhin“, berichtet Nadal.
       
       ## 2024 sollen es 20 Millionen Touristen sein
       
       Waren es im vergangenen Jahr 17 Millionen Besucher auf den Balearen, werden
       für dieses Jahr 20 Millionen erwartet. „Bei 1,2 Millionen Inselbewohnern
       sind das 17 Touristen pro Einwohner. In Gesamtspanien kommen auf einen
       Bewohner knapp zwei Touristen“, erklärt Nadal. Der Markt wächst weiter:
       Seit Neuestem gibt es einen Direktflug aus New York nach Palma. Die
       US-Presse überschlägt sich mit Lob für das Reiseziel Mallorca. Stars und
       Sternchen kommen und schwärmen in den sozialen Netzwerken davon. Die
       Immobilienagenturen wittern neue kaufkräftige Kunden.
       
       Und es gibt tatsächlich noch Gegenden in Palma, die von Investoren
       erschlossen werden können. Nach der Altstadt, in der kaum noch Einheimische
       leben, trifft es jetzt die anliegenden Stadtteile. „Hier war eine Bäckerei,
       hier ein Friseur“, sagt Joana Ferrà. Die 74-jährige pensionierte
       Gymnasiallehrerin lebt in Pere Garau, einem einstigen Arbeiterviertel.
       Ferrà engagiert sich in der Stadtteilinitiative gegen Wohnungsspekulation
       „Flipau amb Pere Garau“, auf Deutsch: „Begeistert von Pere Garau.“ Sie lebt
       seit über zehn Jahren hier und hat miterlebt, wie sich der Stadtteil immer
       schneller verändert.
       
       „Vor allem am Wochenende ist das Klackern der Rollkoffer nun fester
       Bestandteil der Geräuschkulisse. Schau, das Haus hier wurde vor Kurzem
       renoviert und dient jetzt der Ferienvermietung, dort drüben entstehen teure
       Appartements“, sagt Ferrà, die hier alles kennt, auf einem Spaziergang
       durch die Straßen rund um den Markt. „Ich könnte mir meine Wohnung heute
       nicht mehr leisten“, ist sie sich sicher.
       
       ## Die Miete beginnt bei 700 Euro im Monat
       
       Ein Blick in die üblichen Immobilienportale im Netz zeigt: Die Miete für
       ein Zimmer beginnt bei etwa 700 Euro im Monat, kleine Zweizimmerwohnungen
       gibt es ab 1.400 Euro aufwärts. Und wer kauft, muss mit rund 3.000 Euro für
       den Quadratmeter rechnen, renovierungsbedürftig versteht sich. Saniert geht
       der Preis schnell auf 4.500 Euro pro Quadratmeter nach oben. Wenn die
       Wohnung eine Terrasse hat, verlangen die Immobilienagenturen ebenfalls
       3.000 bis 4.000 Euro oder mehr. „Seit sie den Platz neben dem Markt mit
       einer Fußgängerzone an die Innenstadt angeschlossen haben, steigen die
       Preise noch schneller“, sagt Ferrà. In Pere Garau, gleich am Ende der
       Fußgängerzone, hat ein Vier-Sterne-Hotel eröffnet.
       
       „Die Preise sind mehr als doppelt so hoch wie vor der Pandemie“, sagt
       Ferrà. Längst leben Einwandererfamilien in viel zu kleinen Wohnungen. Und
       junge Menschen, die einst auf der Suche nach dem bunten, alternativen Leben
       und günstigen Mieten nach Pere Garau kamen, Tür an Tür mit den neuen,
       betuchten Nachbarn, die die Wohnungen hier nach und nach aufkaufen:
       entweder, um sie zu vermieten, oder um sie als Ferienwohnung in
       Altstadtnähe selbst zu nutzen. Diese neuen Nachbarn werden, das befürchtet
       nicht nur Ferrà, den Stadtteil bald schon ganz übernehmen. Mittlerweile
       entstehen selbst weiter im Osten von Palma, im noch ärmeren Viertel
       Soledad, Luxusblocks.
       
       Die Wohnungsmisere betrifft längst nicht mehr nur Beschäftigte im Hotel-
       und Gaststättengewerbe mit prekären Arbeitsbedingungen. „Auch
       Verwaltungsbeamte und Polizisten haben Schwierigkeiten, manche leben auch
       in Wohnmobilen“, berichtet Fernando Matorell von der Gewerkschaft UGT. Er
       ist für die Beschäftigten zuständig, die der zentralstaatlichen Verwaltung
       unterstehen: „Justiz, Polizei, Gefängnispersonal, Armee, Verkehrsbehörde,
       Ausländerbehörde, Wetterdienst, Sozialversicherung …“, zählt Matorell auf.
       „Niemand“, sagt er, „will auf die Inseln.“ Wer hierher geschickt werde,
       lasse sich so bald es geht wieder versetzen.
       
       10.000 Stellen hat die Zentralverwaltung auf den Balearen. 20 Prozent sind,
       so die Angaben der Gewerkschaft, nicht besetzt. Bei der Verkehrsbehörde
       sind es gar 80 Prozent. „Die Führerscheinprüfung, das Anmelden eines
       Fahrzeugs, all das ist mit langen Wartezeiten verbunden“, weiß Matorell. In
       Ibiza gibt es überhaupt keine Fahrprüfer mehr. Sie müssen aus Mallorca
       eigens zu den Prüfungsterminen anreisen.
       
       ## Wohnungspreise wurden „unerträglich“
       
       Das Sondergericht für häusliche Gewalt, das es in Spanien in allen
       Provinzen gibt, war elf Monate lang geschlossen, weil es an Personal
       fehlte. „Woher sollen die Gerichtsdiener auch kommen?“, fragt Matorell.
       Anfänger verdienen 1.250 Euro, das reiche bei den Mieten auf den Inseln
       vorn und hinten nicht. 2023 ließen sich ganze vier Justizbeamte auf die
       Inseln versetzen, während 90 erfolgreich einen Posten auf dem Festland
       beantragten. „Das Problem mit den Wohnungspreisen zeichnet sich schon
       länger ab. Aber in den letzten Jahren wurde es unerträglich“, sagt Matorell
       und berichtet, dass selbst die Sicherheit im Urlaubsparadies leide, da es
       einfach an Polizeibeamten fehle.
       
       „Die Inseln sind zu einem Themenpark verkommen, während der Staat und seine
       Verwaltung völlig zu scheitern drohen“, gibt Matorell seinem Kollegen
       Miguel Angel Romero recht. Der kümmert sich bei der UGT um den Teil des
       öffentlichen Dienstes, der von der Inselregierung abhängig ist. Das ist vor
       allem das Gesundheits- und Bildungswesen. Die Regionalregierung könne viele
       Programme, die vom Inselparlament beschlossen wurden oder die von der
       Zentralregierung in Madrid ausgingen, nicht umsetzen. „Es fehlt einfach an
       Personal“, weiß Romero.
       
       So sei im größten Krankenhaus der Insel lange Zeit nur noch eine von acht
       Onkologenstellen besetzt gewesen. Jetzt, nach der Einführung einer
       Inselzulage von 1.000 Euro im Monat, sind es immerhin fünf besetzte
       Stellen. Die UGT und andere Gewerkschaften verlangen einen solchen Zuschlag
       auch für andere Berufsgruppen, etwa für die Lehrer, die wie Andrade auf
       eine andere Insel versetzt werden.
       
       Aber in der Not regt sich auch Widerstand. Am 25. Mai gingen unter dem
       Motto [1][„Mallorca steht nicht zum Verkauf“ über 20.000 Menschen in Palma
       auf die Straße]. Es war eine der größten Protestaktionen, die die Insel je
       gesehen hat. „Alles begann hier“, sagt Javier Barbero stolz. Hier, das ist
       ein Tisch im Schatten eines Baumes im Garten des Restaurants El Molico in
       Sencelles, ein 3.000-Seelen-Ort im Zentrum der Insel. Zusammen mit anderen
       Mitstreitern aus der Nachbarschaftshilfe Banc del Temps (Bank für Zeit)
       redete der 51-jährige Sozialpädagoge an diesem Tisch über die Mietpreise.
       Es ging um die Schwierigkeit, eine Wohnung zu finden und dann auch zu
       halten.
       
       Am Restauranttisch entstand die Idee [2][für ein Video] unter dem Titel
       „Sie vertreiben uns, weil wir nicht bezahlen können“. Menschen öffnen in
       dem Video Fenster und hängen Schilder auf, wie sie in Spanien an den
       Wohnungen hängen, die zum Verkauf stehen. Anstatt eines Preises sind
       Sprüche wie „Ich kann nicht bezahlen“, oder „Ich kann nicht kaufen“ zu
       lesen. „Das Video ging viral“, berichtet Barbero. „Die Idee für eine Demo
       entstand. Wir erwarteten ein paar Tausend und es wurden Zehntausende“, sagt
       er zufrieden. Für den 21. Juli mobilisieren sie nun erneut. Dieses Mal
       unter dem Motto „Mehr Leben, weniger Tourismus“.
       
       Auch in Sencelles sind die Mietpreise stark gestiegen. „Die Insel ist so
       klein, dass es eigentlich keinen Unterschied zwischen Stadt und Land,
       Strand, Inland oder Bergen gibt. Du kannst nicht hinausziehen und dort was
       Billiges finden“, sagt Barbero. Er hat Glück, seine Vermieterin verlange
       einen „bezahlbaren Preis“. „Aber eine Erhöhung könnte ich nicht bezahlen“,
       fügt er hinzu. Auch hier, im historischen Ortskern von Sencelles, stehen
       viele Wohnungen augenscheinlich leer. Sie gehörten meist Deutschen und
       Skandinaviern, sagt Barbero.
       
       Für ihn ist das, was auf den Balearen gerade passiert, eine „soziale
       Katastrophe“. Lebensplanung und Zukunftsprojekte würden zerstört. „Junge
       Menschen, die mit über 30 Jahren noch bei den Eltern wohnen. Menschen mit
       40 und älter, die nach einer horrenden Mietpreiserhöhung zurück zu den
       Eltern gehen. Paare, die längst getrennt sind, aber weiter zusammenwohnen,
       weil sich jeder alleine keine Wohnung leisten könnte“, zählt er auf. Er
       berichtet von seinem Bruder: „Der Vermieter verdoppelte die Miete. Jetzt
       wohnt er mit Frau und zwei Kindern bei unserer Mutter, in der Hoffnung, so
       Geld für die Anzahlung einer Eigentumswohnung ansparen zu können“
       
       Die Politik auf den Inseln müsse endlich einschreiten und das
       Wohnungsgesetz von 2023 anwenden, welches das in der spanischen Verfassung
       eigentlich festgeschriebene „Recht auf eine würdige Wohnung“ sichern soll.
       „Dort ist vorgesehen, dass auf besonders angespannten Wohnungsmärkten der
       Wohnungsnotstand ausgerufen werden kann“, sagt Barbero. Die Preise werden
       dann über eine Art Mietspiegel festgeschrieben und teilweise gar gesenkt,
       Mieterhöhungen erschwert. Barbero verweist auf Katalonien, wo dieses Gesetz
       in 140 Gemeinden bereits angewandt wird. „Die gesamten Balearen müssen als
       ‚angespannt‘ eingestuft werden“, verlangt er.
       
       Katalonien ist auch ein Vorbild, wenn es um die Vermietung von
       Ferienwohnungen geht. In Barcelona sollen alle bestehenden Lizenzen bis
       spätestens 2028 auslaufen, und die Wohnungen wieder dem normalen Markt
       zugeführt werden. Außerdem werden auf den Balearen Stimmen laut, die
       fordern: Nur wer ständig auf der Insel lebt, soll dort auch eine Wohnung
       kaufen können. „Ideen gibt es“, sagt Barbero. Die konservative
       Inselregierung müsse nun endlich handeln.
       
       Doch die konservative Partido Popular (PP), die mit Unterstützung der
       rechtsextremen VOX regiert, will von drastischen Eingriffen in den
       Wohnungsmarkt nichts wissen. Zwar gibt es seit 2023 ein Wohnungsgesetz der
       Linksregierung in Madrid, das Eingriffe wie in Barcelona erlaubt. Doch dies
       anzuwenden, davon will die PP nichts wissen. Sie verteidigt die Freiheit
       des Marktes, selbst dann noch, wenn diese ganz offensichtlich nicht
       funktioniert.
       
       Bisher hat die Balearenregierung nur Steuersenkungen für diejenigen
       angekündigt, die Langzeitmietverträge ausstellen, statt an Urlauber zu
       vermieten. Außerdem übernimmt die Regierung künftig Bürgschaften, sowohl
       bei Wohnungskrediten für junge Käufer als auch für Vermieter, die bisher
       ihre Wohnung leer stehen lassen – aus Angst, ihre Wohnung könnte Schaden
       nehmen. Aus dem Rathaus von Palma, das ebenfalls in Händen der
       Konservativen ist, kommen auf Anfrage weder eine Antwort noch konkrete
       Pläne, wie man der Wohnungskrise begegnen könnte. Jetzt wird dank dem Druck
       der Straße auf den Balearen immerhin eine Kommission eingerichtet, die
       untersuchen soll, was für eine Wohnungspolitik auf den Inseln eigentlich
       gemacht werden soll.
       
       Am Ende des Videos, das so viel Aufmerksamkeit fand, stehen die Menschen
       auf einer Straße in Sencelles. Schnitt: Die gleiche Einstellung, aber die
       Menschen sind verschwunden. „Wenn wir nichts machen, werden immer mehr
       Menschen ihre Heimat verlassen, ihr Glück außerhalb der Inseln suchen
       müssen“, ist sich Barbero sicher. „Drei von denen, die vor wenigen Monaten
       noch mit hier am Tisch saßen, sind inzwischen gegangen.“
       
       10 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Widerstand-auf-den-Kanaren/!6003196
 (DIR) [2] https://www.youtube.com/watch?v=SpgYPa2sYzI
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reiner Wandler
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Lesestück Recherche und Reportage
 (DIR) Mallorca
 (DIR) Massentourismus
 (DIR) Spanien
 (DIR) Balearen
 (DIR) Ferienwohnungen
 (DIR) Recherchefonds Ausland
 (DIR) GNS
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Kolumne Zukunft
 (DIR) Spanien
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Spanien
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Tourismus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Bebauung an spanischen Küsten: Die Playas verschwinden einfach
       
       Natürliche Strände passen sich dem Klimawandel an. Sind sie zugebaut,
       werden sie bei Extremwetter weggeschwemmt. In Spanien wird das zum Problem.
       
 (DIR) Massentourismus der Zukunft: Bloß nicht dahin, wo's schön ist
       
       Je pittoresker, desto voller – das gilt auch für die Urlaubsorte der
       Zukunft. Unsere Kolumnistin träumt von lizenzierten Urlaubsverderbern.
       
 (DIR) Einflussnahme in Spaniens Medien: Gegen Fake News und Pseudomedien
       
       Regierungschef Sánchez will gegen Fake News vorgehen – auch wegen einer
       Kampagne gegen ihn. Die Rechte wittert einen Angriff auf die „freie
       Presse“.
       
 (DIR) Klimaschutz-Aktion in Kopenhagen: Ein Frühstück fürs Müllsammeln
       
       Kopenhagen startet eine Art Spiel, um TouristInnen zu klimafreundlichem
       Verhalten zu motivieren. Gleichzeitig wächst die Kritik an den
       BesucherInnen.
       
 (DIR) Tourismus in Barcelona: Ferienwohnungen den Kampf ansagen
       
       Der Bürgermeister von Barcelona will die Vermietung von Ferienwohnungen
       verbieten. Das soll tausende Unterkünfte auf den Wohnungsmarkt bringen.
       
 (DIR) Klimakrise und Tourismus: Die Natur zeigt ihre Krallen
       
       Die Hitzetoten der vergangenen Woche zeigen: Wer mittags nicht auf
       Wanderungen oder Pilgerfahrten verzichten will, gefährdet sich und andere
       massiv.
       
 (DIR) Proteste gegen Tourismus auf Mallorca: Nicht nur billig ist schädlich
       
       Nur auf den Massentourismus am Ballermann herabzuschauen, ist Selbstbetrug.
       Reisen ist insgesamt zum Problem geworden.