# taz.de -- Die Wahrheit: Die Märchen der Gebrüder Kim
       
       > Eine kleine Geschichte von Großkorea formerly known as Russische
       > Föderation oder einfach Russland.
       
       Mit einer Mischung aus Amüsement und Sorge schaute die Welt vergangene
       Woche auf das Gipfeltreffen der größten Führerchen der Welt: Kim Put In zu
       Besuch bei Kim Jong Un. Tiger-Kim bei Doppelkinn-Kim. Muss man das „Kim
       nur, NATO, kim!“ ernst nehmen, das die beiden Herren des roten Knöpfchens
       signalisieren? Und was sind die russischen und die nordkoreanischen
       Möbeltischler eigentlich von Beruf? Doch während die Welt sich noch lustig
       machte, ist Die Wahrheit in den Besitz des geheimen Zusatzprotokolls zum
       Un-In-Gipfel gelangt. Und dieses hochbrisante Protokoll zeigt: Die
       Gemeinsamkeiten gehen weit über hässliche weiße Riesentische hinaus.
       
       Schon sehr bald wird das Sekretariat der Vereinten Nationen offiziell über
       die revolutionäre Veränderung unterrichtet werden: Der bisher „Russland“
       genannte Staat wird künftig „Großkorea“ heißen. Diese Nachricht wird
       einschlagen wie eine russische Fassbombe.
       
       Was passiert hier? Wird so die Fusion der beiden Musterdemokratien
       vorbereitet – und die Befreiung des südlichen Bruders aus den Fängen des
       US-Imperialismus? Oder geht es um schnöde Geschichtspolitik? Dass der große
       Führer Kim Jong Un den Ehrennamen „Großkorea“ einem anderen Staat
       überlässt, hat nämlich seinen Preis: Put In hat sich verpflichtet, die
       russische Geschichte – und letztlich die Weltgeschichte – so umzuschreiben,
       dass ihre vielfältigen koreanischen Wurzeln wieder ans Licht geholt werden.
       Fernziel: Alle Menschen sollen Koreaner und Koreanerinnen werden. Schon
       weil die nicht so viel essen, wie das nordkoreanische Großexperiment seit
       70 Jahren beweist.
       
       ## Hauptstadt des Verbrechens
       
       Ein russischer Historiker aus dem persönlichen Stab des Präsidenten hatte
       dem Vernehmen nach Bedenken und sprach leichtsinnigerweise von der
       „freiwilligen Selbstverzwergung einer früheren Großmacht“. Vor allem über
       die geplante Umbenennung von Put Ins Geburtsstadt St. Petersburg in
       „Pengjang“ soll er empört gewesen sein. Das klinge ja wie „Hauptstadt des
       Verbrechens“.
       
       Nachdem ihm diese Wahrheit ein Blitzverfahren und drei Kimmillionen Jahre
       verschärfte Lagerhaft zu nordkoreanischen Bedingungen eingebracht hatte,
       ist die Zunft jetzt aber voll auf Linie. Ein Insider erklärt dazu:
       „Patriotismus heißt künftig: Wir sind keine Russen, wir sind Koreaner!“ Und
       mit einem gewissen Zynismus erläutert er die strategischen Überlegungen Put
       Ins: „Das ist der erste Schritt zur erleuchteten Weltherrschaft. Mit dem
       ursprünglichen Weltreich der Kims lassen sich territoriale Ansprüche wie
       unser Anspruch auf das Baltikim einfach viel besser begründen. Mit der
       russischen Erzählung kommen wir ja aktuell nicht mal bis Kiew.“
       
       Bleibt die Aufgabe, die Weltgeschichte als koreanische Erzählung
       wiederzuentdecken – und die russische Geschichte zur Unterabteilung dieser
       Erzählung zu machen. Und siehe da: Wenn man nur genau liest, liegt
       eigentlich alles vor uns. Beweist nicht die Heilige Schrift des „Korean“
       (später zu „Koran“ verschliffen), dass die arabische Halbinsel einst Teil
       des koreanischen Weltreichs war? Und heißt es nicht unmissverständlich:
       
       Im Anfang war das Wort, und das Wort war beim Großen Vorsitzenden. Und es
       lautete: KIM. Und er schuf Kimmel und Korea. Und Tiere wie den Löwen Kimba
       und die Fische mit Kiemenatmung. Und alles auf der Erde war KIM. Und sein
       erster Prophet sagte voraus, dass dereinst ein kleiner Freund aus dem
       Norden kommen und Hilfe suchen werde und daraus so Großes entstehen werde,
       dass eine Arche nicht ausreiche. 
       
       ## Kille, kille, Mandscharo
       
       Aber man muss nicht religiös sein, um Belege zu finden. Auch die
       Wissenschaft weiß: Wir sind alle Koreaner. Denn die Wiege der Menschheit
       stand am Kimandscharo im früheren Westkorea. Und der erste große Prophet
       wurde wundersam auf eben diesem Kimandscharo geboren, obwohl seine Mutter
       längst im Kimakterium war.
       
       Doch lassen wir die frühe Vergangenheit und streifen wir auch das Trauma
       des Kimkriegs von 1853–1856 nur kurz, in dem es dem US-Imperialismus
       gelang, die Abspaltung des rückständigen „Russland“ von Korea zu
       zementieren. Springen wir direkt ins 20. Jahrhundert. Denn 1917 wurde
       Großkorea faktisch schon einmal gegründet: von Kim Len In. Dann wurde es in
       ein Lager verwandelt von Kim Sta Lin und nach kurzer Untergangskrise
       wiedererrichtet von Kim Put In.
       
       Die großartigsten Kapitel der gemeinsamen „Hidden History“ schrieben die
       Geheimdienste. Die Zersetzung der dekadenten westlichen Musikgruppe
       „Beatles“ durch eine Spezialagentin (Klarname und Tarnkleid: Kim Ono) war
       ein Schlag, den russische und nordkoreanische Dienste einfädelten. Dasselbe
       gilt für die Erschütterung des kapitalistischen Weltsystems durch den
       Kim-Ex-Skandal. Und der jüngste Coup ist noch in Arbeit: Die erfolgreichste
       Agentin, die die besten Koreas der Welt jemals in Hollywood platziert
       haben, setzt aktuell durch, dass die Neue Geschichte Großkoreas binnen 9 ½
       Wochen verfilmt sein wird. Natürlich in den historischen Gassen von
       Pengjang.
       
       Aber nicht immer läuft die Zusammenarbeit reibungslos. Als gemeinsame
       Bewegungskunst aller Koreanenden sollte die Kimnastik durch ein Video
       popularisiert werden. Weil aber laut nordkoreanischer Verfassung Kim Jong
       Un der einzige zugelassene Kimfluencer ist, wurde die Anleitung zum Fiasko.
       Der „Kimzug“ (Versuch trotz Seilwindenunterstützung abgebrochen) ist
       seither zum Gespött in Moskauer Kimlkreisen geworden. Und die
       Weichei-Performance des kleinen dicken Führers am Reck gibt der von
       Russland zu seinen Ehren produzierten Coverversion eines populären
       deutschen Schlagers eine gewisse unfreiwillige Ironie: „Ohne Kimi geht die
       Mimi nie ins Bett.“
       
       Westliche Beobachter schütteln sowieso überwiegend den Kopf: „Putin hält
       sich offenbar für den Gewinner dieses Spiels. Dabei ist er jetzt nur noch
       der Struppi von Kim.“
       
       ## Abseits!
       
       Optimistischer klingt das Statement der gemeinsamen Pressestelle von AfD
       und BSW: „Nachdem uns wegen des gemeinsamen Boykotts des zionistischen
       Hitlerfaschisten W. Selenskyj im Bundestag bereits ein ‚Hitler-Stalin-Pakt
       2.0‘ vorgeworfen wurde, wird man uns jetzt vermutlich unterstellen, wir
       wünschten uns Verhältnisse wie in Nordkorea. Das ist abwegig. Wir finden
       das nordkoreanische Demokratiemodell zwar interessant, aber es gibt dort
       viel zu wenig Fleisch und Wurstwaren und zu wenige Privat-Pkw für die
       breite Bevölkerung. Allerdings sind wir überzeugt, dass Großkorea unter dem
       großen und ruhmreichen Führer Kim Put In daran schnell etwas ändern wird.
       Dabei sollte Deutschland nicht abseits stehen.“
       
       29 Jun 2024
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Oliver Domzalski
       
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