# taz.de -- Nach der Freilassung von Assange: Hack, Leak, Knast – eine Odyssee
       
       > Mit dem Veröffentlichen von US-Kriegsverbrechen machte sich Julian
       > Assange Mächtige zu Feinden. Und zweifelhafte Freunde.
       
 (IMG) Bild: 2017 war Assange im Exil der ecuadorianischen Botschaft in London noch Herr seines Schicksals. Zwei Jahre später flog er raus
       
       Der Deal von Julian Assange mit der US-Staatsanwaltschaft, der jetzt zu
       seiner Freilassung führen wird, ist der vorerst letzte Teil einer Saga wie
       aus einer anderen Welt.
       
       Als der damals 35-jährige australische Hacker Julian Assange 2006 Wikileaks
       mitbegründete, war das die Zeit des von der US-Regierung George W. Bush
       ausgerufenen „Kriegs gegen den Terror“. Die Al-Qaida-Angriffe vom 11.
       September 2001 waren fünf Jahre her, fast genauso lang tobte der Krieg in
       Afghanistan, der Krieg in Irak seit drei Jahren.
       
       Die republikanisch geführte US-Regierung mit Dick Cheney als Vizepräsident,
       Donald Rumsfeld als Verteidigungsminister und John Bolton als
       UN-Botschafter war zutiefst von den Neocons geprägt, die per militärischer
       Stärke und Regime-Change-Interventionen ein „neues amerikanisches
       Jahrhundert“ einleiten wollten.
       
       Schon 2004 war der Skandal um Folter und Demütigungen irakischer Gefangener
       durch US-Soldaten im Gefängnis Abu Ghraib bekannt geworden, Ende 2005 hatte
       die Washington Post erstmals über die geheimen Foltergefängnisse der CIA in
       verschiedenen Ländern berichtet, einer Praxis, die dann 2006 von der
       US-Regierung anerkannt wurde.
       
       ## 2010: Das große Jahr von Wikileaks
       
       Im selben Jahr verloren die Republikaner krachend die Kongresswahlen,
       Rumsfeld trat zurück und der frisch gewählte junge Senator Barack Obama
       schickte sich an, trotz der Aspirationen der ehemaligen First Lady Hillary
       Clinton demokratischer Präsidentschaftskandidat zu werden.
       
       Obama kritisierte im Wahlkampf die Folterpraxis – im Sprech der
       Bush-Regierung „verschärfte Verhörmethoden“ genannt – und versprach, sie
       umgehend abzuschaffen. Dass es für Whistleblower und solche, die bereit
       sind, deren Informationen zu veröffentlichen, viel zu tun gab, war
       offensichtlich.
       
       Wikileaks’ großes Jahr war 2010. Im April veröffentlichte die Organisation
       unter dem Titel „Kollateralmord“ das inzwischen berühmt gewordene Video aus
       einem US-Kampfhubschrauber vom Juli 2007, in dem die Erschießung von
       Zivilisten und Reuters-Journalisten gefilmt wird. Drei Monaten später
       folgten die [1][Dokumente zum Irakkrieg], im Oktober die [2][Akten aus
       Afghanistan] und im November eine Viertelmillion geheimer diplomatischer
       Depeschen zwischen den US-Botschaften weltweit und Washington.
       
       Die Daten aus Irak und Afghanistan dokumentierten Verbrechen und deren
       Verschleierung im Zeitraum von 2004 bis 2009. Damit schlossen sie auch das
       erste Jahr der Obama-Regierung ein und erweckten nicht den Eindruck, als
       habe sich durch den Regierungswechsel furchtbar viel geändert.
       
       ## Die Causa Hillary Clinton
       
       Wikileaks als Organisation und Julian Assange persönlich wurden zur
       Zielscheibe der gesamten US-Politik. Allerdings: Während die
       Obama-Regierung zwar massiv gegen Whistleblower wie Chelsea Manning vorging
       – die Obama dann kurz vor Ende seiner zweiten Präsidentschaft 2017
       begnadigte –, klagte sie Assange nicht an. Wohl auch unter dem Druck der
       linksliberalen Presse in den USA, die, wie etwa die New York Times, an der
       Veröffentlichung der Wikileaks-Daten mitgewirkt hatte.
       
       Politische Alliierte allerdings fand Assange nunmehr neu und woanders: Im
       [3][russischen Staatsmedium RT] moderierte er 2012 insgesamt zwölfmal seine
       Sendung „The World Tomorrow“. Einer seiner Gäste: der damalige
       linkspopulistische ecuadorianische Präsident Rafael Correa. Die beiden
       verstanden sich augenscheinlich bestens.
       
       Es folgten die Anzeige wegen mutmaßlicher sexueller Belästigung bis
       Vergewaltigung gegen Assange in Schweden, seine kurzzeitige Festnahme in
       Großbritannien, seine Freilassung unter bestimmten Konditionen, schließlich
       seine Flucht in die ecuadorianische Botschaft in London. Es war diese
       Flucht, die ihm wegen Verletzung seiner Kautionsbestimmungen eine
       Verurteilung in Großbritannien samt Haftbefehl einbrachte und den Ärger
       etlicher Unterstützer*innen, die für die Kaution aufgekommen waren.
       
       Gut sieben Jahre brachte Assange in der Botschaft in London zu, während
       sich draußen die Welt weiter änderte – auch unter seiner Mitwirkung. 2016,
       mitten im US-Wahlkampf zwischen Hillary Clinton und Donald Trump,
       veröffentlichte Wikileaks Tausende von russischen Hackern erbeutete E-Mails
       der demokratischen Wahlkampfzentrale.
       
       ## Dann ließ Ecuador ihn fallen
       
       Daraus ging nicht zuletzt das schmutzige Spiel hervor, das die
       Parteiführung mit Clintons innerparteilichem Konkurrenten Bernie Sanders
       gespielt hatte, um ihm eine Niederlage bei den demokratischen Vorwahlen
       beizubringen. Die Veröffentlichungen schadeten Clinton massiv – Assange
       kommentierte es aus der Botschaft heraus über seinen Twitter-Account sehr
       fröhlich.
       
       Aber kurz nachdem Donald Trump Anfang 2017 ins Amt eingeführt wurde,
       veröffentlichte Wikileaks Daten über Überwachungsmethoden des
       US-Geheimdienstes CIA – und Trumps neuer CIA-Direktor Mike Pompeo tobte vor
       Wut. Die offizielle Anklage gegen Assange aus den USA stammt aus dieser
       Zeit.
       
       Sie wurde aber erst öffentlich, als Ecuador, nach einem dortigen
       Regierungswechsel und dem Amtsantritt des neuen Präsidenten Lenín Moreno,
       Assange das Botschaftsasyl und die zuvor gewährte Staatsbürgerschaft
       entzog.
       
       Daraufhin wurde Assange von der britischen Polizei aus der Botschaft
       gezerrt. Schweden wiederum hatte die Ermittlungen wegen mutmaßlicher
       sexueller Übergriffigkeiten inzwischen als haltlos eingestellt.
       
       ## Verschwörer feiern die Freilassung
       
       Statt Assange für die Wahlkampfhilfe dankbar zu sein, erweiterte Trumps
       Justizministerium die Anklage bis hin zum Vorwurf der Spionage – wofür
       Assange bei einer Verurteilung bis zu 175 Jahre Haft gedroht hätten.
       
       Der Rest des juristischen Tauziehens um die Auslieferung ist bekannt.
       
       Was sich allerdings vollkommen geändert hat, seit Assange seinen
       journalistisch-aufklärerischen Kampf gegen die US-Sicherheitsbehörden
       begonnen hat: Die unter Bush regierenden Neocons sind von der Bildfläche
       verschwunden und gehören heute innerhalb der republikanischen Partei zu den
       wenigen verbliebenen erbitterten Gegnern Trumps.
       
       Trump- und Putin-Apologeten wie der frühere Fox-News-Moderator Tucker
       Carlson feiern Assanges Freilassung, genauso wie der
       verschwörungsideologische Drittkandidat Robert F. Kennedy.
       
       Und US-Präsident Joe Biden? Hat vermutlich alles getan, um den Deal mit zu
       ermöglichen, weil ein Assange-Verfahren im Wahlkampf nur schaden kann. Und
       weil der Druck eines wichtigen Verbündeten – der australischen Regierung,
       die schon lange Assanges Freilassung fordert – denn doch zu groß wurde.
       
       25 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Militaerdokumente-zum-Irakkrieg/!5133490
 (DIR) [2] /US-Reaktionen-auf-Afghanistan-Dokumente/!5138428
 (DIR) [3] /Julian-Assange-in-Russland-auf-Sendung/!5095901
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernd Pickert
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Julian Assange
 (DIR) Wikileaks
 (DIR) Whistleblower
 (DIR) Schwerpunkt Pressefreiheit
 (DIR) Schwerpunkt Pressefreiheit
 (DIR) Julian Assange
 (DIR) Julian Assange
 (DIR) Schwerpunkt Pressefreiheit
 (DIR) Julian Assange
 (DIR) Julian Assange
 (DIR) Schwerpunkt Pressefreiheit
 (DIR) Julian Assange
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) US-Medienhäuser müssen Folge leisten: Trump nimmt jetzt Whistleblower ins Visier
       
       Die US-Justiz kippt den Schutz von Journalisten. Whistleblower leben dort
       nun gefährlich, der Kampf gegen die Pressefreiheit spitzt sich zu.
       
 (DIR) Auftritt im Europarat: Assange klagt Repression an
       
       Vor dem Europarat reflektiert Julian Assange über Journalismus,
       „transnationale Repression“, Jahre im Knast und über seine Schwiegermutter.
       
 (DIR) Deutschland zu Assange: Schweigen in Berlin
       
       Außenministerin Baerbock freut sich, dass der Fall Assange eine Lösung
       gefunden hat. Doch der Großteil der Bundesregierung schweigt zur
       Freilassung.
       
 (DIR) Julian Assange zurück in Australien: Wieder ein „freier Mann“
       
       Whistleblower Julian Assange ist zurück in seiner Heimat Australien. Seine
       Ankunft wurde dort live im Fernsehen übertragen.
       
 (DIR) Assange in Australien gelandet: „Sie haben mein Leben gerettet“
       
       Der Wikileaks-Gründer wird wie vereinbart von einer US-Richterin verurteilt
       und dann freigelassen. In Australien bedankt sich Assange beim
       Premierminister.
       
 (DIR) Julian Assange kommt frei: Die Bedrohung bleibt
       
       Gut, dass Wikileaks-Gründer Julian Assange endlich freikommt. Aber der
       pragmatische Deal unterstreicht die Kriminalisierung von Journalismus.
       
 (DIR) Deal mit der US-Justiz: Julian Assange kommt frei
       
       Überraschender Wendepunkt: Der Wikileaks-Gründer hat London verlassen. Er
       will sich schuldig bekennen und in seine Heimat Australien zurückkehren.
       
 (DIR) Joe Biden äußert sich zu Assange: Die falschen Gründe
       
       Der US-Präsident sendet erstmals milde Töne in der Sache Assange. Eine
       Rolle spielen dürften dabei das Verhältnis zu Australien und der nahende
       Wahlkampf.