# taz.de -- Die Wahrheit: Strawberry Gsälz forever
       
       > In der Erdbeersaison kann man nicht einmal mehr in der Großstadt der
       > selbst eingekochten Marmelade entgehen. Oder ist das alles bloß
       > Konfitüre?
       
       Es ist Juni! Tüchtige Geschäftsleute zaubern mit Erdbeerständen einen Hauch
       von Landleben in die Mainmetropole. Je mehr die roten Beeren reifen, desto
       stärker reift der Frankfurter Wunsch, diese einzukochen. Das machen die
       Städter gerne „etwas zu suppig“ oder „vielleicht zu fest“, wie sie nicht
       ohne Stolz bemerken, wenn sie einem ihr Eingemachtes überreichen.
       
       Ich bin erfreut zu sehen, was die Nachbarn in dieser Saison alles so
       draufhaben. „Chilli-Strawberry-Gsälz“ steht in feinen Schnörkeln auf dem
       Glas von Jurastudent Jonas, ein Dank fürs Blumengießen. „Bei uns sagen wir
       Gsälz. Ihr Hochdeutschen dürft jetzt nach dem Brexit übrigens wieder
       ‚Marmelade‘ sagen. War seit 1979 EU-mäßig nur noch fürs englische
       Orangenzeug erlaubt“, erfahre ich von dem Stuttgarter. Wirklich? Das Wort
       Marmelade ist neun Jahre nach Auflösung der Beatles verboten worden? Cancel
       Culture für Erdbeeren und Konsorten? Wieso wusste ich nichts davon? „Habe
       noch ein Dutzend Strawberry-Gsälz im Keller safe. Sauber abgekocht hält das
       forever“, smilet der Schwabe noch. Sein Gsälzglas zeigt by the way kein
       Herstellungsjahr. Danke trotzdem und stelle es in meinen Kellerschrank.
       
       Bald kommen neue hinzu. Fürs Briefkastenleeren schenkt mir Yoga-Lehrerin
       Frau Widmann eine „Kombi aus Erdbeeren mit zwanzig Prozent Rhabarber plus
       Pfefferminz. Vielleicht ein bisschen fest geworden“. Ihre Fruchtaufstriche
       sind vollkommen vegan, lerne ich. Gelierzucker basiert auf Pektin, „ist
       rein pflanzlich.“ Sehr gut. Auffällig jedoch, wie sehr auch Frau Widmann
       das gewisse Wort umgeht.
       
       Wie ging eigentlich nochmal der Witz? Sagt ein Breitmaulfrosch „Konfitüre“?
       Nee, der Spitzmaulfrosch: „Marmelade!“ Darf man den überhaupt noch
       erzählen? Wenig überrascht stoße ich auf eine Mauer des Schweigens und der
       irritierten Blicke, als ich im Kreise sogenannter Freunde versuche, an die
       große Froschwitz-Ära zu erinnern. Die Mehrzahl gibt im Flüsterton an, nach
       dieser Zeit geboren zu sein.
       
       Im Treppenhaus findet sich Gelegenheit, den englischen Nachbarn, einen
       Software-Spezialisten, in der M-Verbotsache zu befragen. „Jam? Gsälz?
       Sugar, always after my Workout. Magst du Strawberry Cake? On top Marmelade,
       besser als jeder Tortenguss! Habe ich noch from yesterday.“ Kuchen und
       Yesterday. Das können sie.
       
       Ein schlaues Ablenkungsmanöver. Respekt. Doch was soll ich tun? So
       funktioniert die Großstadt nun einmal. Das Wortproblem wird in ihrem
       unerbittlichen Takt schnell wieder vergessen. Ein Stück Mürbeteig mit rotem
       Süßmatsch drauf, ein Energietee, und weg ist es. Die Beerenzeit dauert
       schließlich auch nicht ewig.
       
       Nur unten im feuchten Keller schleckt sich der Breitmaulfrosch die Lippen
       und denkt: „Ich fand es immer ganz okay, Konfitüre oder Gsälz zu dieser
       uralten Marmelade hier zu sagen. Der Brexit spielt in dieser Hinsicht daher
       keine besondere Rolle für mich.“
       
       25 Jun 2024
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Claudia Römer
       
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