# taz.de -- Bundesstiftung Gleichstellung: „Wir sind kein verlängerter Arm“
       
       > Co-Direktorin Lisi Maier über die Frage, wie unabhängig die
       > Bundesstiftung Gleichstellung von der Politik ist – und was man von
       > Belgien lernen kann.
       
 (IMG) Bild: Lisi Maier, Co-Direktorin der Bundesstiftung Gleichstellung
       
       taz: Frau Maier, nach jahrzehntelangen Bemühungen wurde im Mai 2021 die
       Bundesstiftung Gleichstellung gegründet. Zu Beginn gab es nichts als ein
       Gesetz, das den Zweck vorgibt: Die Stärkung und Förderung der
       Gleichstellung von Frauen und Männern in Deutschland. Wie erfindet man eine
       Stiftung? 
       
       Lisi Maier: Mein Co-Direktor Arn Sauer und ich haben uns erst mal um den
       Stellenaufbau und die praktische Arbeitsfähigkeit gekümmert. Heute haben
       wir fast 40 Mitarbeitende in einem diversen Team mit enorm viel Knowhow.
       Parallel haben wir konzeptionell gearbeitet und uns auf die Suche nach
       unserem Haus hier am Berliner Alexanderplatz gemacht. Im Lauf dieses Jahres
       wollen wir zum „offenen Haus der Gleichstellung“ werden.
       
       Das heißt? 
       
       Wir wollen gleichstellungspolitischen Akteur*innen aus dem gesamten
       Bundesgebiet Veranstaltungsräume und Co-Workingplätze auf rund 300
       Quadratmetern zur Vernetzung und zum Austausch zur Verfügung stellen. Das
       Angebot richtet sich unter anderem an junge Initiativen mit Schnittstellen
       zu Migration, sozialer Benachteiligung und Queerness.
       
       Sie sprechen von Queerness, aber Ihr Gesetz gibt die Gleichstellung konkret
       von Frauen und Männern vor. So steht es auch auf Ihrer Website. Wie gehen
       Sie damit um? 
       
       Das Stiftungsgesetz beruht auf Artikel 3, Absatz 2, des Grundgesetzes:
       Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Auch wenn das binär formuliert
       ist, erkennen wir die gesellschaftliche Realität und das geänderte
       Personenstandsrecht an. Wir bilden zum Beispiel in unserer
       Öffentlichkeitsarbeit mehr als zwei Geschlechter mit dem Genderstern ab.
       
       Wie verstehen Sie als Stiftung Gleichstellung? 
       
       Wir haben gerade ein Selbstverständnis erarbeitet, das sich unter anderem
       mit dieser Frage beschäftigt. Darin wird deutlich, dass das Ziel der
       tatsächlichen Gleichberechtigung über eine formale Gleichbehandlung
       hinausgeht. Die Geschlechter müssen in der Realität gleiche Chancen haben
       und nutzen können. Wir veröffentlichen unser Selbstverständnis noch dieses
       Jahr.
       
       Gibt es schon inhaltliche Projekte? 
       
       Ein zentraler Auftrag für uns ist das Bündeln von Zahlen, Daten und Fakten.
       Wir wollen der Ort sein, an dem das wichtigste Gleichstellungswissen zu
       finden ist, die Anlaufstelle für alle Fragen zur Gleichstellungspolitik in
       Deutschland. Eine unserer ersten Amtshandlungen war entsprechend, die
       Geschäftsstelle der Gleichstellungsberichte der Bundesregierung zu uns zu
       holen – auch um dazu beizutragen, deren Empfehlungen in politisches Handeln
       zu übersetzen.
       
       Und jenseits dessen? 
       
       Wir betrachten auch Politikberatung als zentrale Aufgabe. Dabei nehmen wir
       nicht nur die Bundes-, sondern auch die kommunale Ebene in den Blick. In
       unseren Optionszeitenlaboren entwickeln wir zudem neue Ideen, wie Zeit für
       Erwerbs- und Sorgearbeit im Leben so verteilt wird, dass Gleichstellung
       tatsächlich gefördert wird. Und schließlich planen wir gerade schon den
       zweiten bundesweiten Gleichstellungstag. Bei unserer
       Vernetzungsveranstaltung mit 900 Beteiligten kommen alle zwei Jahre
       Wissenschaft und Praxis zusammen und diskutieren zum Beispiel über
       Möglichkeiten für feministische Führungskultur und Forschung zu
       Geschlechtervielfalt.
       
       Sie werden über das Familienministerium finanziert. Wenn nun von dort ein
       gleichstellungspolitischer Gesetzentwurf kommt – können Sie den überhaupt
       kritisieren? 
       
       Wir sind keine Lobbyorganisation. Aber wir können in Gesetzgebungsprozessen
       zur fachlichen Einordnung vom Parlament oder einem Ressort befragt werden
       und unsere Expertise zur Verfügung stellen. Diese Arbeit muss bestenfalls
       stattfinden, bevor der Entwurf da ist. Das gilt für alle Ressorts.
       
       Werden Sie denn befragt? 
       
       Bisher nur punktuell, aber mittelfristig müssen wir da hin. Im
       Koalitionsvertrag steht, dass es einen Gleichstellungscheck für alle
       Gesetze geben soll. Perspektivisch sollten also alle Verwaltungen prüfen,
       welche Folgen geplante Gesetze für die Geschlechter haben. In Belgien hat
       die Verwaltung jetzt schon Zuarbeits- und Auskunftspflichten dem dortigen
       Gleichstellungsinstitut gegenüber.
       
       Aber Sie haben kein Mandat wie das belgische, und bisher sieht es nicht
       danach aus, als ob der Gleichstellungscheck diese Legislatur noch umgesetzt
       wird. 
       
       Perspektivisch sehen wir uns als richtige Ansprechstelle, die die
       Ministerien unterstützt. Es ist wichtig, dass in allen Politikfeldern
       überprüft wird, welche geschlechtsspezifischen Auswirkungen etwa
       Haushaltsentscheidungen haben. Die Coronapandemie hat eindrücklich gezeigt,
       wie schnell es zu Rückschritten kommt, wenn mit Konjunkturpaketen
       geschlechterblind vor allem männerdominierte Branchen gefördert werden.
       
       Über Ihren inhaltlichen Fahrplan bestimmt allerdings Ihr Stiftungsrat. Der
       besteht aus Mitgliedern des Bundestags, die je nach Fraktionsstärke gewählt
       werden. Ist das, was Sie programmatisch machen können, der kleinste
       gemeinsame Nenner aller Bundestagsfraktionen? 
       
       Die Positionen im Rat sind breit gefächert, das stimmt. Aber alle
       Fraktionen, die im Stiftungsrat vertreten sind, haben grundsätzlich
       dasselbe Ziel der Gleichstellung. Diesen breiten Rückenwind spüren wir.
       Zudem schlagen das Bundesfamilienministerium und wir die Mitglieder des
       Stiftungsbeirats vor. Der ist etwa mit Vertreter*innen des Deutschen
       Frauenrats und des Bundesforums Männer sowie wissenschaftlichen
       Expert*innen fachlich besetzt. Die Vorschläge des Beirats wurden vom Rat
       bisher immer angenommen.
       
       Was, wenn das mal nicht der Fall ist? 
       
       Es gibt eine formale Abhängigkeit der Bundesstiftung zum einen in Richtung
       Parlament – zum anderen, weil die Ratsvorsitzende die Familienministerin
       ist. Das ist so. Aber bezogen auf die Erarbeitung von fachlichen Standards
       und Grundlagen nimmt man uns in unserer Expertise ernst und lässt uns viel
       inhaltlichen Freiraum. Wir sind kein verlängerter Arm von Parlament oder
       Verwaltung. Wir liefern Wissen, um einen evidenzbasierten Diskurs zu
       ermöglichen. Die Akteur*innen, die diesen führen, können sich darauf
       berufen.
       
       Die [1][AfD] ist im Stiftungsrat nur deshalb nicht vertreten, weil ihr
       Kandidat vom Bundestag nicht gewählt wurde. Was würde es für die Stiftung
       bedeuten, wenn die AfD bei der nächsten Bundestagswahl vor SPD und Grünen
       landen und ein relevanter Teil des Rates von der AfD besetzt würde? 
       
       Wir alle stellen fest, dass gleichstellungspolitische Akteur*innen
       stärker unter Druck geraten, seit die AfD in Wahlen und Umfragen zulegt.
       Die Partei steht nicht hinter Artikel 3, Absatz 2, Grundgesetz. Wenn wir
       nach Polen oder Ungarn schauen, sehen wir, wie Einrichtungen des Staates
       umgenutzt oder abgewickelt werden, wenn rechte Akteur*innen an der Macht
       sind. Das Klima für unsere Themen hat sich in kürzester Zeit extrem
       verändert.
       
       Woran machen Sie das fest? 
       
       Einerseits hat sich das Bewusstsein für Geschlechtergerechtigkeit in Teilen
       der Gesellschaft vergrößert, das Thema ist etwa in Medien viel präsenter.
       Andererseits beobachten wir Rückschritte, wie die Rückkehr zu
       traditionelleren Geschlechterrollen. Frauenrechte werden wieder offen
       angegriffen, antifeministische Stimmen lauter. Wir bekommen das im
       digitalen Raum deutlich zu spüren. Deshalb verstehen wir
       Gleichstellungarbeit immer auch als Demokratiearbeit.
       
       Was bedeutet diese Angriffe für Sie? 
       
       Die Gefahr von rechts ist mit ein Grund, weshalb wir darauf hinarbeiten,
       unser Selbstverständnis noch in dieser Legislatur mit dem derzeitigen
       Stiftungsrat abzustimmen. Zugleich vernetzen wir uns mit anderen
       Akteur*innen wie der Amadeu Antonio Stiftung oder Hate Aid, um
       Gegenstrategien zu entwickeln. Und schließlich braucht die AfD auch künftig
       eine Mehrheit der Stimmen des Bundestags, um Kandidat*innen in unseren
       Stiftungsrat zu bringen. Wir gehen davon aus, dass der demokratische
       Konsens das verhindert.
       
       Die Ampel streitet derzeit um den kommenden Haushalt, das Ministerium soll
       sparen. Was heißt das in Bezug auf Ihr Budget? 
       
       Wir hoffen, dass unsere Mindestausstattung von etwas mehr als 5 Millionen
       Euro bestehen bleibt.
       
       Macht Ihnen die Situation Sorgen? 
       
       Mir macht Sorgen, dass durch den starken Haushaltsdruck
       Gleichstellungsprojekte insgesamt unter Druck geraten. Das sind keine
       Nice-to-have-Projekte, sondern sie tragen zu einer stabilen Demokratie,
       einer stabilen Wirtschaft und gerade in Krisenzeiten zur schnelleren
       Überwindung von Krisen bei. Gleichstellung in Deutschland geht 83,3
       Millionen Bürger*innen etwas an.
       
       Stehen Sie in Bezug auf die Finanzierung in Konkurrenz zu anderen
       Projekten? 
       
       In einem Sparhaushalt stehen Gleichstellungsprojekte immer in Konkurrenz
       zueinander. Die Zivilgesellschaft hat über Jahrzehnte dafür gekämpft, dass
       die Stiftung kommt. Durch die Errichtung wurde den Akteur*innen auch der
       Rücken gestärkt. Wir wollen uns nicht gegeneinander ausspielen lassen, denn
       unsere Ziele sind dieselben.
       
       Reichen Ihre bisherigen Mittel denn? 
       
       Leider ist es so, dass das Budget und unsere Aufgaben nicht zusammenpassen:
       Im internationalen Vergleich haben wir derzeit sehr wenig Mittel. Im
       kleineren Schweden etwa liegen die Mittel bei 7,7 Millionen Euro, womit das
       Institut wirkmächtiger ist als wir. Allerdings ist das schwedische Institut
       in Teilen projektgefördert. Das hält auch Fallstricke bereit, wenn nach
       einem Regierungswechsel Mittel kurzfristig weniger werden. Es macht eben
       immer einen Unterschied, wer regiert.
       
       26 May 2024
       
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