# taz.de -- Lesung von Salman Rushdie in Berlin: Beifall für einen Überlebenden
       
       > In Berlin stellte Salman Rushdie sein Buch „Knife“ über das auf ihn
       > verübte Attentat vor. Gewürdigt wurde ein Verteidiger des Wortes.
       
 (IMG) Bild: Salman Rushdie (l.) im Gespräch mit den Journalist:innen Marie Kaiser und Thomas Böhm
       
       Sie sitzt in der ersten Reihe, Salman Rushdies „Lebensretterin“, seine
       Frau Rachel Eliza Griffiths, die, so beschreibt es Rushdie, durch die
       Messerattacke fast so schlimm verletzt worden war wie er selbst. Er wird im
       Laufe des Abends mehrfach zu ihr hinschauen durch das eine Glas seiner
       Brille, mit dem gesunden linke Auge. Das rechte ist als Auge nicht mehr zu
       gebrauchen, [1][seitdem bei einer Lesung am 12. August 2022 ein
       islamistischer Attentäter 15-mal auf den indisch-britischen Schriftsteller
       einstach.]
       
       Besagter Fanatiker befindet sich seitdem in Haft, es ist einiges über ihn
       und seinen Radikalisierungsprozess bekannt. Doch Rushdie nennt den heute
       26-Jährigen nicht beim Namen, auch nicht in „Knife“, [2][dem Buch, das er
       über den Messerangriff und die Zeit der Genesung geschrieben hat] und am
       Donnerstagabend im Deutschen Theater in Berlin vorstellte.
       
       Das eigentliche Attentat ist schnell erzählt. Keine 20 Seiten widmet
       Rushdie den wenigen Sekunden, die der Angreifer sich mit ihm auf der Bühne
       befand, bevor ihn mutige Zuschauer:innen zu Fall brachten. Rushdie
       schildert, wie er sich delirierend in einer Blutlache liegend darauf
       gefasst machte, in der US-Kleinstadt Chautauqua fernab von seinen Liebsten
       zu sterben.
       
       Dass er trotz zahlreicher Wunden überlebte, kommt einem Wunder gleich, sagt
       er und ergänzt, dass er an Wunder eigentlich nicht glaube. Ein Widerspruch,
       der nicht aufgelöst werden muss. Man neige dazu, Identitäten heute
       künstlich zu verengen. Dabei sei niemand bloß jüdisch, schwarz, homosexuell
       oder eben atheistisch, so Rushdie.
       
       ## Minutenlange Standing Ovations
       
       Es sind Kommentare wie dieser, aber auch kleine Anekdoten, die die
       Zuschauer:innen stetig mit Beifall belohnen, der sich am Ende zu
       minutenlangen Standing Ovations auswächst für einen, der die Freiheit des
       Wortes mit seinem Leben verteidigen musste. Die Lesung in Berlin findet
       unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt: Es gibt Einlass- und
       Taschenkontrollen, Securitypersonal überwacht das Geschehen.
       
       Vorkehrungen, die in Chautauqua offenbar nicht getroffen wurden – und das,
       obwohl Rushdie dort über die Sicherheit von Autor:innen sprechen
       sollte. Der 76-Jährige hat seinen Humor nicht verloren, trocken scherzt er
       über seinen „dummen, wütenden“ Angreifer. Und auch über sich selbst kann
       Rushdie lachen, etwa wenn er erzählt, wie er im Beisein seiner heutigen
       Ehefrau Griffiths gegen eine Glastür lief, die er damals erst wenige
       Stunden kannte.
       
       Zu großen Teilen dreht sich „Knife“ und das Gespräch auf der Bühne denn
       auch um sie, Griffiths, die dem verletzten Schriftsteller im Krankenhaus
       zur Seite stand. Und trotz schlichten schwarzen Lederoutfits einen gewissen
       Glamourfaktor einbringt ins Deutsche Theater, wo die heimische Promidichte
       im Publikum ebenfalls hoch ist.
       
       Interessanterweise erfuhr die Öffentlichkeit erst durch das Attentat von
       der fünften Ehe Rushdies mit der Dichterin. Und so ist „Knife“ auch ein
       Buch über Öffentlichkeit, über das Private, das politisch, und noch mehr
       das Politische, das privat wird. Wieder einmal, könnte man sagen, denn
       [3][als Rushdie nach der Veröffentlichung seines Romans „Die satanischen
       Verse“ untertauchen musste,] war sein Privatestes überhaupt in Gefahr: das
       eigene Leben.
       
       ## Fatwa wurde vor über 30 Jahren ausgerufen
       
       Die Fatwa, mit der der iranische Ajatollah Chomeini 1989 alle Muslime dazu
       aufrief, Rushdie zu töten, besteht nun seit über 30 Jahren. Als Rushdie im
       August 2022 den Angreifer auf sich zustürmen sah, sei er ihm wie ein
       Zeitreisender vorgekommen, sagt er. „Der Tod kam auch auf mich zu, aber ich
       fand nichts Besonderes daran“, heißt es im Buch, aus dem Ulrich Matthes
       vorliest. „Ich fand ihn nur anachronistisch.“ Das Kapitel, so Rushdie,
       habe er für beendet gehalten.
       
       Nun gehört islamistischer Terror mitnichten der Vergangenheit an. Erst seit
       2019 gilt der sogenannte Islamische Staat als militärisch besiegt. 2015 war
       das Jahr von Charlie Hebdo wie des Pariser Bataclan. Salman Rushdie hat
       sich immer wieder zu Extremismus, auch besagten Anschlägen, geäußert. Vor
       diesem Hintergrund bleibt der Abend im Deutschen Theater fast auffällig
       unpolitisch, den die rbb-Journalist:innen Marie Kaiser und Thomas Böhm
       moderieren.
       
       Böhm zitiert gegen Ende den irischen Schriftsteller Samuel Beckett, der
       1936 – das Dunkle vorausahnend, das von Deutschland aus um sich greifen
       sollte – noch einmal nach Berlin reiste und hier einen einzigen, nur
       scheinbar indifferenten Neujahrsvorsatz in sein Tagebuch schrieb: „Mehr
       Champagner!“
       
       Was von Böhm wohl als Überleitung zum abschließenden Champagnertoast auf
       der Bühne gedacht war, ist als Brückenschlag zum Jetzt, aber auch zum Leben
       Rushdies durchaus passend. Der Nihilist Beckett galt als seiner Zeit
       entfremdet, als eher unpolitischer Schriftsteller. Zu Unrecht: Dass ihn das
       Schicksal seiner bedrohten Autorenkolleg:innen beschäftigte, belegen
       die zahlreichen Petitionen, die er Zeit seines Lebens unterschrieb. Die
       letzte nur wenige Monate vor seinem Tod 1989, die die Fatwa gegen Salman
       Rushdie anprangerte.
       
       17 May 2024
       
       ## LINKS
       
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