# taz.de -- Kieler Holstein-Stadion bald erstklassig: Geliebte Bruchbude
       
       > Das Stadion von Holstein Kiel ist eine charmante Ansammlung von
       > Provisorien. Nächste Saison wird darin wahrscheinlich Erstligafußball
       > gespielt.
       
 (IMG) Bild: Provisorien aus Stahl, Blech und Beton: Das Holstein-Stadion ist ein Patchwork-Ensemble
       
       Kiel taz | Entscheidend ist aufm Platz“, lautet eine alte
       Fußballerweisheit. Wenn es so einfach wäre, dann wäre alles gut in Kiel.
       Denn das beste am [1][Holstein-Stadion] ist der Rasen. Er ist sattgrün, ein
       Hybridrasen aus Kunststofffasern und echten Halmen, wie gemacht für dies
       präzise Vertikalpassspiel, mit dem die Kieler auch an diesem Tag ihren
       Gegner überfordern. Vor zwei Jahren hat die Deutsche Fußball-Liga (DFL) ihn
       als „Pitch of the Year“ ausgezeichnet, als besten Rasen der Liga. Der Rasen
       ist bundesligatauglich, keine Frage.
       
       Mannschaft und Publikum auch: Pass aus dem Mittelfeld in die Spitze, zwei,
       drei Schritte, Schuss, Tor! Auf der Haupttribüne sind sie schon ein paar
       Sekunden vorher aufgesprungen. Jetzt klatschen sie im Rhythmus der
       Tormelodie, wippen in den Knien und schwenken ihre Schals über dem Kopf.
       
       „1:0 für Holstein!“, ruft der Stadionsprecher, seine Stimme überschlägt
       sich fast. „Kiel!!!“, tönt es aus Tausenden Kehlen. „Unser Torschütze ist
       Steveeen“ – „Skrzybsky!!!“ „Holstein 1 – Osnabrück!“ – „Nuuull!!!“ „Kiel“ –
       „Ahoi!!!“ – so schallt es von der Betondecke zurück. Dann setzen sie sich
       wieder hin. Fast ein bisschen routiniert, das Ganze. Es soll noch drei Mal
       so zugehen an diesem Sonnabendnachmittag. Am Ende ist Holstein
       Tabellenführer der zweiten Liga.
       
       Der Aufstieg kann kommen – wenn nur nicht das Stadion wäre. Die
       Haupttribüne ist das einzige feste Gebäude. 1950 aus Betonrippen gebaut,
       darüber ein kühn geschwungenes Dach, auch aus Beton. Die Stufen sind schon
       mehrfach geflickt, bröseln aber immer wieder weg. Drunter befand sich
       alles, was ein Stadion damals brauchte: Duschen, Umkleiden,
       Vereinsgaststätte, Büro.
       
       ## Windhosen fegten das Stadion weg
       
       Alle anderen Tribünen sind Provisorien aus Stahlrohr, zwei so flach wie auf
       einem Dorfsportplatz. Gerade fliegt der Ball gegen das Dach, zwischen die
       Werbung vom Gartencenter um die Ecke und einer Firma namens „Kies Beton
       Krebs“. Klingt ungesund. Drunter ist [2][neulich eine Bodenplatte unter den
       Fans des FC St. Pauli gebrochen].
       
       Die Osttribüne ist mindestens doppelt so hoch, ein Blechkasten, dem nur die
       Vorderwand fehlt. An den Seiten ist er geschlossen, gegen den Wind. Der ist
       in Kiel immer ein Thema. Nicht nur weil das Stadion schon zwei Mal von
       einer Windhose weggefegt wurde. Dazwischen haben britische Fliegerbomben es
       verwüstet.
       
       Kiel, wie es heute ist, hat der Krieg geformt. Und wie es vorher war im
       Grunde auch. Vielleicht ist deswegen die Gedenkstele so wichtig. Trutzig
       steht sie vorn an der Straße, jeder Besucher muss an ihr vorbei. „Unseren
       Gefallenen zum ehrenden Gedächtnis 1914–1919“ steht auf der einen Seite.
       Tatsächlich haben bei genauerem Hinsehen drei von ihnen erst 1919 ihr Leben
       verloren, als der Erste Weltkrieg längst vorbei war.
       
       Auf der anderen Seite geht es um die nächsten toten Soldaten des Vereins:
       „1939–1945 – 112 Holsteiner gaben ihr Leben für uns“ heißt es dort, als
       hätten sie sich freiwillig geopfert, für ein nicht näher bestimmtes
       Kollektiv. Die massige Stele, an beiden Seiten ein eisernes Kreuz, wurde
       erst 2010 aus einem vergessenen Winkel an diese prominente Stelle gerückt,
       als solche Ehrenmale anderswo allmählich in Frage gestellt wurden.
       
       Aber es ist eben auch die große Zeit von Holstein Kiel gewesen. „Deutscher
       Meister 1912“ steht an einer Tribünenrückwand in gelber Schreibschrift auf
       den Vereinsfarben Blau-Weiß-Rot. 1910 waren sie schon Vizemeister.
       Daraufhin wurde 1911 das Stadion gebaut, genau an dieser Stelle.
       
       ## Bayern München statt VfL Osnabrück
       
       Jetzt ist wieder so ein Moment. Zum dritten Mal in sieben Jahren ist für
       Holstein der Aufstieg in die Erste Fußball-Bundesliga zum Greifen nahe.
       Noch zwei Siege und ein Unentschieden. Doch schon in der zweiten Liga hatte
       die DFL die Nutzung des Stadions nur mit Auflagen genehmigt. Die sind für
       die erste Liga noch strenger – schließlich kommt dann Bayern München und
       nicht der VfL Osnabrück.
       
       Längst sollte das Stadion weg sein. 2020 wollte ein Investor ein neues
       hinstellen. Doch erst kam Corona dazwischen, dann explodierten die
       Baupreise. Nun will die Stadt die neue Arena selbst bauen, mit 25.000
       Plätzen. 75 Millionen Euro soll das kosten, gut die Hälfte wollen Stadt und
       Land bezahlen. Fußball ist schließlich auch ein Wirtschaftsfaktor.
       Europaweit wird eine Baufirma gesucht, die es schlüsselfertig hinstellt.
       Frühestens in einem Jahr könnten die Bagger loslegen. Holstein müsste
       mehrere Jahre auf einer Baustelle spielen, auf der immer an einer Seite
       eine Lücke klafft.
       
       Bald wird also Schluss sein mit diesem charmanten Sammelsurium aus Buden
       und Pavillons, das jetzt vor dem Stadion steht: Dem Imbiss in einem
       rostigen Straßenbahnwaggon, der auch noch „Budenzauber“ heißt. Der
       VIP-Gastronomie in einem schmutzig-weißen Blechkasten. Dem
       Toilettencontainer, in dem das Wasser tröpfelt. Dem Labyrinth aus
       Absperrgittern, von denen niemand recht zu wissen scheint, wer durch darf
       und wohin der Weg führt … Ein paar Jahre kann man das alles noch erleben,
       wenn man eine der 15.034 Eintrittskarten ergattert.
       
       Der Fußball ist übrigens auch ziemlich gut. Und die Fans haben Humor. Nach
       der Pause halten sie Banner hoch mit der Aufschrift: „Oldenburg braucht ein
       neues Stadion“. Dort dümpelt der VfB in der vierten Liga herum, bekommt von
       der Stadt aber [3][trotzdem eine schmucke neue Spielstätte spendiert]. Man
       weiß ja nie.
       
       27 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.holstein-kiel.de/stadion-ticket-infos/holstein-stadion/
 (DIR) [2] /Kampf-um-den-Bundesliga-Aufstieg/!5991859
 (DIR) [3] /Oberbuergermeister-hilft-Fussballverein/!6000072
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Kahlcke
       
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