# taz.de -- Anschlag auf Tesla-Fabrik in Grünheide: Wer bricht hier die Regeln?
       
       > Der Brandanschlag auf Tesla war falsch. Noch viel dramatischer ist aber,
       > wie Politik und Unternehmen Mitbestimmung und Umweltschutz missachten.
       
 (IMG) Bild: Protestcamp gegen die Erweiterung der Tesla-Fabrik in Grünheide, Ende Februar 2024
       
       Der demolierte Strommast in der Nähe von Grünheide mag bei Tesla Kosten von
       Hunderten Millionen Euro verursachen – eine neue Stufe politischer Gewalt
       war der Anschlag nicht. [1][Gegner des Atomkraftwerks Brokdorf] etwa fanden
       sich in den 80er Jahren in Gruppen wie „Revolutionäre Heimwerker“ zusammen
       und sägten über 100 Strommasten um. Die erfolgreiche Anti-AKW-Bewegung ist
       zwar mit den Jahren friedlich und bürgerlicher geworden – ein Teil von ihr
       war aber militant.
       
       Insofern war der [2][Anschlag der Vulkangruppe] auf das Tesla-Werk zwar
       gefährlich und falsch, er greift aber zugleich ein bekanntes Motiv auf, das
       es vor ein paar Jahren sogar ins Kino schaffte: In der Thrillerkomödie
       [3][„Gegen den Strom“] setzt die Ökoaktivistin Halla auf Island Strommasten
       außer Gefecht, um ein klimaschädliches Aluminiumkraftwerk stillzulegen.
       Anders als Halla darf die mutmaßliche Tätergruppe „Vulkan“ nicht auf
       Sympathie hoffen. Ihr Anschlag auf Tesla trifft auf eine Öffentlichkeit,
       die Umweltaktivisten jeglichen Erregungsgrades nahezu feindlich
       gegenübersteht.
       
       Logischerweise hat nun in Sachen Strommast-Attentat die Bundesanwaltschaft
       die Ermittlungen übernommen. Sie sieht einen Anfangsverdacht unter anderem
       der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, der
       verfassungsfeindlichen Sabotage sowie der gemeinschaftlichen Brandstiftung.
       Da kann die Vulkangruppe in ihrem Bekennerschreiben noch so sehr den
       Schulterschluss mit Ökos und Anwohnerinnen suchen – verständlicherweise
       haben diese sich schnell distanziert. Mit Linksterroristen möchte man nicht
       auf einem Baum sitzen.
       
       Apropros. Versetzen wir uns kurz in die Nachrichtenlage von vergangenem
       Montag. Da hatten sich in dem Kiefernforst, der dem neuen
       Güterbahnanschluss für Tesla, mehreren Lagerhallen und einer Betriebskita
       weichen soll, Baumbesetzer eingerichtet. Mit Zustimmung der örtlichen
       Bürgerinitiative bauten sie Baumhäuser und aßen vegane Pizza. Derweil
       grübelten Bürgermeister und Gemeindevertreter:innen von Grünheide
       über dem Ergebnis einer Bürgerbefragung, das die Tesla-Erweiterung
       ablehnte. Hinter verschlossenen Türen stritt sich der örtliche
       Abwasserverband Strausberg-Erkner, weil die „Gigafactory“ ihr Abwasser mit
       stark erhöhten Phosphor- und Stickstoffwerten ins Netz pumpt. Kurz: Um das
       öffentliche Ansehen von Tesla stand es am Montagmorgen nicht gut.
       
       ## Das Tesla-Desaster sollte zu denken geben
       
       Seit Dienstagabend ist das anders. Seitdem geht es um Linksterror, der die
       deutsche Infrastruktur zerstöre und damit den Wirtschaftsstandort ruiniere.
       Diese Erzählung fügt sich ein in den erregten Diskurston dieser Tage. Doch
       so wie radikale AKW-Gegner vor vierzig Jahren nicht die Republik aus den
       Angeln hoben, wird man heute den Einfluss der Vulkangruppe kaum
       unterschätzen können. Die Gefahr für den Standort wartet woanders.
       
       Demonstrativ schätzt nicht nur der Tesla-Konzern Prinzipien und Verfahren
       gering, die für die Bundesrepublik grundlegend sind: Demokratie,
       Mitbestimmung, Arbeitnehmerrechte, Umweltschutz. Diese Geringschätzung
       greift in Industrieverbänden und Parteien um sich. Eines der Schlagworte
       dazu lautet „Bürokratieabbau“. Wie aber aus dem Triumph der Potsdamer
       Landesregierung – Tesla in der Streusandbüchse! – das Desaster von heute
       werden konnte, sollte allen zu denken geben, die mit neuem Tempo die
       Transformation der fossilen Wirtschaft vorantreiben wollen.
       
       Man kann von Tesla halten, was man will. Elektroautos sind die Zukunft des
       Autoverkehrs, und wir brauchen Fabriken, in denen sie gebaut werden, genau
       wie Windparks, Infrastruktur für Wasserstoff, Batterie- und Chipfabriken.
       Auch im grüneren Kapitalismus wird es Eingriffe in Landschaft geben, er
       wird Ressourcen verbrauchen, lokal Lärm und Dreck produzieren. Oder geht es
       anders?
       
       Katja Witte und Johannes Venjakob leiten den Forschungsbereich
       Strukturwandel und Innovation am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und
       Energie. Dort forschen und beraten sie zu zukünftigen Energie- und
       Industriesystemen. Belastungen durch große Infrastrukturen und Fabriken
       werden wir auch künftig hinnehmen müssen, sind sich die beiden sicher.
       Autos, Batterien, Chips – sie können wettbewerbsfähig nur in großen Anlagen
       hergestellt werden.
       
       ## Die Missachtung von Regeln hat ihren Preis
       
       Eine Produktion in kleineren, vernetzten Einheiten, bei denen Wasser-,
       Flächenverbrauch und Emissionen verteilt würden, halten sie für
       ineffizient. „Das würde Verkehr schaffen und am Ende mehr Ressourcen
       verbrauchen“, sagt Venjakob. Es gelte also, Belastungen, Interessen und
       Ansprüche offenzulegen und gegeneinander abzuwägen. „Das scheint im Falle
       Teslas nicht gelungen“, sagt Witte.
       
       Erstaunlich, aber nicht überraschend. Er sehe Brandenburgs Landesregierung
       und Tesla „als eine Art Beutegemeinschaft: Tesla will in Deutschland und
       Europa Autos verkaufen, wir wollen neue, zukunftsfähige Arbeitsplätze“,
       hatte Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) verkündet, als Tesla-Chef
       Elon Musk seinen Standortwunsch bei Berlin öffentlich gemacht hatte.
       Seitdem hielt die Maßeinheit „Tesla-Geschwindigkeit“ Einzug in den
       politischen Sprachgebrauch. Doch die inzwischen in
       „Deutschlandgeschwindigkeit“ umgetaufte Missachtung von Regeln hat ihren
       Preis.
       
       Die Tesla-Fabrik entstand mit jeder Menge Ausnahmegenehmigungen. Das macht
       nun Schule. In Schleswig-Holstein will der schwedische Hersteller Northvolt
       Lithium-Ionen-Batterien in Serie bauen, heiß begehrte Ware, die Europa
       derzeit aus Asien importiert. Entsprechend begeistert drückt die Politik
       aufs Tempo. Egal, ob es um die Schienenanbindung oder den Wasserhaushalt
       geht – die „zwingend notwendige Gesamtbetrachtung wurde bislang
       unterlassen“, schreibt der Umweltverband BUND in einer Stellungnahme, „für
       die Menschen der Region werden die Gesamtauswirkungen des Projektes weder
       im Einzelnen noch in der Gesamtheit erkennbar“. Dabei lehnt der BUND die
       Fabrik an sich nicht ab.
       
       „Natürlich sehen wir die großen Chancen für die Region“, sagt Joachim
       Schulz, Sprecher des örtlichen BUND, „sie bietet Arbeitsplätze, und wir
       brauchen Batterien für die Verkehrswende.“ Es sei besser, sie hier
       herzustellen als in China unter wer weiß was für Bedingungen. Aber wie
       Politik und Verwaltung die Genehmigungsverfahren durchpeitschten, sei nicht
       in Ordnung.
       
       ## Es brauche ein sinnstiftendes Narrativ
       
       Gespart habe sich die Verwaltung etwa ein Raumordnungsverfahren. Das sei
       für ein Vorhaben dieser Größe jedoch unbedingt notwendig. Darin wird
       geplant, wie sich alle Neubauten, neuen Straßen und Bahnstrecken auswirken.
       „Das gibt allen vor Ort Sicherheit“, sagt Schulz, „aber es dauert bisweilen
       ein wenig länger.“ Raumplanungs- und Planfeststellungsverfahren,
       Umweltverträglichkeitsprüfungen – all diese Bürokratiemonster mit
       schlechtem Ruf sind dafür gemacht, Gefahren zu erkennen. Für Anwohner, für
       die Natur, aber auch für das Projekt selbst. Wer sie umgeht, löst
       Interessenkonflikte und Umweltprobleme nicht auf. Sie erscheinen nur später
       und sorgen für genau den Ärger, der sich bei Tesla besichtigen lässt.
       
       Brauchen wir also nicht weniger, sondern mehr Bürokratie? „Nein“, sagt
       Witte, „wir brauchen mehr Beteiligung“. Denn die bisherigen, aktenlastigen
       Verfahren führten nicht dazu, dass die Betroffenen sich zur rechten Zeit
       von der richtigen Stelle gehört fühlen. „Wir brauchen mehr Transparenz,
       mehr Offenheit in den Prozessen“, sagt Witte. Mediationsverfahren etwa, bei
       denen alle Betroffen wirklich mitgestalten könnten. Kurt Tucholsky würde
       wohl lästern, dass die öffentliche Beteiligung an Behördenprozessen
       verboten wäre, wenn sie wirklich etwas ändern würde. Doch die
       Transformation klappt nur mit der Bevölkerung. Mit „not in my backyard“ hat
       das nichts zu tun.
       
       Es gelte, ein Dilemma aufzulösen, sagen Witte und Venjakob: „Eine schnelle
       Transformation der Wirtschaft, unter Mitnahme der lokalen Bevölkerung und
       Lösung neuer Zielkonflikte mit Arten- oder Landschaftsschutz“. Das sei
       schwierig. Es bräuchte ein sinnstiftendes Narrativ. Man müsse den Menschen
       erklären, warum Wandel nötig sei. Venjakob und Witte sehen eine
       Überforderung derjenigen, die das Publikum emotional ansprechen könnten:
       Politik, Medien, Bildung.
       
       „Die Kunst kann es vielleicht“, sagt Venjakob. Womit wir wieder beim Kino
       wären. Die isländische Bogenschützin Halla jedenfalls gerät am Ende des
       Films in ein Unwetter und steht ratlos im Regen.
       
       8 Mar 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Vom-militanten-zum-zahmen-AKW-Protest/!1842088/
 (DIR) [2] /Anarchistische-Brandleger/!5996893
 (DIR) [3] https://www.gegen-den-strom-film.de/
       
       ## AUTOREN
       
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