# taz.de -- Sänger Olli Schulz über Zeitgeist: „Es ist alles sehr ernst geworden“
       
       > Der Musiker Olli Schulz erzählt, warum er die AfD auf dem neuen Album
       > nicht mit Protestsongs bekämpfen will – und dennoch an eine bessere Welt
       > glaubt.
       
 (IMG) Bild: Kann Rampensau, Blödelheini und Nachdenker zugleich: Olli Schulz
       
       Wer den Podcast „Fest und flauschig“ von Olli Schulz und Moderator [1][Jan
       Böhmermann] kennt, weiß von Schulz’ Vorliebe für [2][gute Küche], die er
       mal so zusammengefasst hat: „Essen ist der Sex des Alters.“ So lädt der zum
       zweiten Mal Vater gewordene Musiker zum Interview in ein Berliner
       Restaurant. Er empfiehlt Senfeier, wählt selbst „Strammer Max“ und setzt –
       gut gelaunt und genüsslich kauend – das Gespräch fort.
       
       taz: Herr Schulz, der Song „Falsch erzählt“ ist für Journalisten
       interessant: Es geht darum, dass immer andere Leute die [3][eigene
       Geschichte] erzählen werden. Kann man die Kontrolle über die eigene
       Geschichte behalten? 
       
       Olli Schulz: Ich glaube, dass man nichts dagegen machen kann, dass Leute
       nie den ganzen Teil einer Geschichte kennen. In der ersten Hälfte des Songs
       geht es ja um eine Trennung. Wer das schon mal durchgemacht hat, der kennt
       das: Rudelbildung, die gemeinsamen Freunde werden aufgeteilt. Das gleiche,
       was es in diesem Kleinen gibt, gibt es ja auch in großen Geschichten: Der
       Fußballer, der den Elfer vergeigt und am nächsten Tag von allen fertig
       gemacht wird – niemand weiß, dass er gerade verlassen wurde oder etwas
       anderes passiert ist.
       
       Im selben Song singen Sie auch von einen „Ding mit Frau Brockmann“ – was
       hat es damit auf sich? 
       
       Die Geschichte ist über 20 Jahre alt. Frau Brockmann hat damals die Polizei
       gerufen, als ich mich mit meiner Freundin gestritten hab. Du machst die Tür
       auf. Und dann stehen da zwei Leute, und man stellt fest: Was machen wir
       hier eigentlich gerade? Da schämst du dich wirklich in Grund und Boden. Ich
       wollte aber explizit, dass „Falsch erzählt“ nicht irgendwelchen Querdenkern
       in die Hände fällt, die sagen können: Endlich sagt’s mal einer. Es geht
       darum, dass es manchmal ungerecht ist, was für ein Urteil über Menschen
       gefällt wird. Andererseits sind viele auch selbst schuld, wenn sie etwa
       private Beziehungen in der Öffentlichkeit aushandeln.
       
       Im Podcast „Fest und flauschig“ erzählen Sie ja auch gern mal Privates,
       anders als etwa Ihr Podcast-Partner Jan Böhmermann. Finden Sie, Sie
       erzählen da manchmal zu viel? 
       
       Wahrscheinlich schon, obwohl auch ich dazu neige, zwischendurch immer mal
       Bullshit einzufügen. Das liegt an den unterschiedlichen Positionen, die wir
       in der Öffentlichkeit haben. Jan ist jede Woche im Fernsehen. Er hat sich
       dafür entschieden, sich sozusagen als Kunstfigur zu schützen, so wie es
       viele gemacht haben, etwa Stefan Raab. Ich bin gern im Podcast, ich bin
       auch gern Musiker, aber ich hab für mich vor ein paar Jahren entschieden,
       dass mir eine Omnipräsenz im Fernsehen wahrscheinlich nicht guttun würde.
       
       Hätten Sie rückblickend mal einen Song anders geschrieben, wenn Sie schon
       am Anfang Ihrer Karriere gewusst hätten, wie es weitergeht? 
       
       Ich mag deftigen Humor, früher vielleicht noch lieber als jetzt – da gab es
       eine Veränderung. Man kann vor den richtigen Leuten mal einen guten
       Pimmelwitz bringen, und wenn das Timing stimmt, lachen Männer und Frauen.
       Was das angeht, hätte ich aber auf der letzten Platte das Lied „Schmeckt,
       wie Pisse riecht“, nicht mehr veröffentlicht. Der Song ist etwas infantil
       und hatte zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits 20 Jahre auf dem
       Buckel. Die Übertragung des Humors hat nur bedingt geklappt und ist mir im
       Nachhinein unangenehm. Ich hab’ ein paar witzige Sachen, die ich auch immer
       noch gut finde: Halt die Fresse, krieg’n Kind [Originaltitel: „H.D.F.K.K.“,
       Anm. d. R.], war eigentlich ein Song gegen Männer und Frauen, gegen alle,
       die sehr selbstmitleidig sind. Heute darfst du nicht mehr zu jemanden
       sagen: Du bist aber sehr weinerlich. Es ist alles sehr ernst geworden.
       
       Es ist schwieriger geworden, humorvoll zu sein? 
       
       Zumindest waren Comedians früher mehr in der Lage, Leute zusammenzuführen.
       Aber auf Otto Waalkes können sich immer noch alle einigen.
       
       Aber auch nur, weil der so harmlos ist. 
       
       Und weil er sich immer wiederholt. Ich glaube, dass sich Leute mittlerweile
       sehr schnell angegriffen fühlen von Humor. Ich finde Mario Barth jetzt auch
       nicht geil, aber ich sehe ihn nicht als Gefahr für die Gesellschaft. Wenn
       der nicht wär, würden die jemand anderen gut finden, der auch scheiße ist.
       Die Leute wollen einfach Scheiße gut finden, das ist nun mal auch ein
       großer Teil unserer Gesellschaft.
       
       In dem Song „Bessere Version“ geht es darum, dass es möglich ist, dass
       Dinge auch besser werden können. Meint das die Welt oder erst mal nur Sie? 
       
       Es war eigentlich mal ein Trennungslied, das hab ich komplett
       umgeschrieben. Es ging erst darum, dass ich meine Exfreundin und mich,
       „uns“ schon mal in einer besseren Version gesehen habe. Ich finde, wenn man
       jung ist, arbeitet man mehr an sich. Und wenn du älter wirst, denkst du dir
       oft: So bin ich jetzt. Das ist ein Lied an mich selber, dass ich nicht so
       bequem werde. Ich habe Kinder und darf nicht anfangen, so zynische
       Meinungen in die Welt zu tragen. Es war mir auch wichtig, dass ich auf der
       neuen Platte kein zynisches Bild über die Welt abgebe. Auch mit Blick auf
       das Erstarken der AfD. Wenn ich da einen Protestsong singen würde, würde
       meine Crew bestimmt sagen: geiles Statement, Olli. Aber ich würde nicht
       einen von denen abholen.
       
       Wie wird denn Ihrer Meinung nach dann die Welt zu einer besseren? 
       
       Das ist jetzt sehr mellow, aber es ist die einzige Hoffnung, die ich habe:
       Dass man mit ein bisschen Gefühl und Liebe die Leute wieder zurückholen
       kann. Und wenn man ihnen zeigt, wofür man steht.
       
       Im Song „Silvester“ geht es darum, dass Sie vor kurzem zum zweiten Mal
       Vater geworden sind. Hat der Fakt, Vater zu sein, Ihre Musik verändert? 
       
       Es hat mein Spektrum erweitert. So einen Song wie „Silvester“ kann man ja
       nur schreiben, wenn man so etwas wirklich erlebt.
       
       Der Song bringt Ihre Freude zum Ausdruck und hat eine gewisse Tragik. 
       
       Die Message ist: Du freust dich, dass dieses Kind auf die Welt kommt. Und
       je mehr die Tage voranschreiten, desto mehr denkst du: Ich hab dieses Leben
       erzeugt, und ihm damit aber auch den Tod geschenkt. Und dann guckst du dir
       diese Welt gerade an, die Zukunftsperspektiven, die dieses Kind haben wird,
       in den nächsten Jahrzehnten, die es hoffentlich auf diesem Planeten
       herumläuft. Dann kriegst du manchmal Angst.
       
       Kann man ein richtig gutes Lied nur über etwas schreiben, das wirklich
       passiert ist? 
       
       Nein, vieles ist mir auch nicht passiert. „Koks und Nutten“ ist keine
       Geschichte, die genau so passiert ist. Es ist aber die Geschichte von
       meinen Hamburger Freunden, mit denen ich gelebt hab, Musik gemacht hab, und
       die an irgendeinem Punkt nicht mehr weiter gemacht haben. Solche
       Geschichten sind aber auch auf der neuen Platte, zum Beispiel in „Am Rand
       der Zeit“…
       
       … ein Song über einen Verlorenen, der viel in der Kneipe herumhängt. 
       
       Als ich vor 18 Jahren nach Berlin gezogen bin, hatte ich hier kaum Freunde,
       und ich wollte die Stadt kennenlernen. Ich bin dann mit dem Auto und der
       Bahn herumgefahren und bin in Altberliner Kneipen gegangen, im Wedding, im
       Marzahn, und hab da etliche Leute kennengelernt. Ich war damals im Wedding
       in der „Schultheiß-Klause“ oder so, die gibt’s schon lange nicht mehr, und
       dann war da so ’n betrunkener, dünner 60-Jähriger, so ’n Kneipenverrückter.
       Irgendwann kam er zu mir und sagte zu mir: Ich war schon mit meinem Papa
       hier! Den Rest dazu habe ich mir ausgedacht, aber das hat mich sehr berührt
       damals. Kneipenkultur ist auch ein soziales Auffangbecken, und jetzt ist
       sie fast weg. Wir sind dabei, ganz viel Awareness zu schaffen, aber genau
       solche Leute vergessen wir irgendwie.
       
       Gibt es auch etwas, dass Ihnen Hoffnung macht? 
       
       Hoffnung habe ich, wenn ich mir die Generation meiner Tochter angucke.
       
       Warum? 
       
       Teenager sind so desinteressiert an Sachen, von denen ich dachte, sie sind
       eine Gefahr. Ich glaube, dass die Menschen wieder besser werden, aber wir
       sind verflucht.
       
       „Wir“, Sie meinen …
       
       … die Generation, die erstmals mit Social Media und der Informationsflut
       konfrontiert wurde. Wir sind ganz schön durchgepeitscht von der Welt, zu
       wütend, zu radikal teilweise, zu engstirnig. Wir gehen nicht gut
       miteinander um. Ich glaube, es wird wieder eine Generation geben, die mit
       mehr Liebe aufeinander zugeht, als wir das gerade tun.
       
       1 Feb 2024
       
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