# taz.de -- Rechte Hetze gegen Journalisten: Freiheit im Fadenkreuz
       
       > Seit Jahren wird der Journalist Alexander Roth wegen seiner
       > Berichterstattung von Rechten attackiert. Er macht weiter – trotz
       > Morddrohungen.
       
       Er steht an der Seite wie ein Passant, einer der Einkaufenden in der
       Stuttgarter Innenstadt, der zufällig stehen geblieben ist, an diesem Abend
       des 5. Oktober 2022, um der kleinen Kundgebung zuzuhören. Aber dann geht es
       plötzlich nicht mehr um das „Corona-Unrecht“ und die „Pandemie“, sondern um
       die verhasste Presse. Und Alexander Roth, 33 Jahre, Journalist bei der
       Waiblinger Kreiszeitung, ist kein Passant am Rand mehr, sondern steht im
       Mittelpunkt.
       
       Er freue sich, dass die linke Presse gekommen sei, „die uns schon im
       Vorfeld verurteilt hat als Rechtsextreme, Schwurbler, Querdenker,
       Alu-Hut-Träger“, sagt der Redner am Mikrofon. Sein Name ist Alfredo G., er
       wendet sich in Richtung Roth, der äußerlich ungerührt dasteht. Tatsächlich
       seien hier „würdige“ Menschen versammelt, die „alles geben, um ihr Recht zu
       verteidigen“, sagt G. Wer sich hier als „rechtsextrem“ einschätze, möge die
       Hand heben, fordert er die Demonstrierenden auf. Niemand meldet sich.
       Gejohle. „Herr Roth, schauen Sie mal, wie viele Rechtsextreme es hier
       gibt,“ ruft G. „Schauen Sie hin, bevor Sie in Ihrem Blatt wieder diese
       Lügen verbreiten. Hören Sie auf zu hetzen.“ Eine Frau sagt amüsiert über
       Roth: „Seine Hand zittert“. „Lügenpresse, Lügenpresse“, rufen die
       Demonstranten. So zeigen es Video-Aufnahmen von der Demonstration.
       
       „Die Situation schien für große Belustigung zu sorgen“, sagt Roth der taz
       später über den Abend. Er sei „gefilmt, fotografiert, von der Bühne herab
       mehrfach als Feind markiert, angebrüllt und verunglimpft“ worden. Beim Zug
       durch die Innenstadt zeigten Passant:innen ihm immer wieder ihren
       Mittelfinger. „Zeitweise wirkte es fast, als sei es eine Demo gegen mich.“
       
       Seit dem ersten Jahr der Pandemie berichtet der junge Journalist Alexander
       Roth über die Querdenker im Raum Stuttgart und deren Verstrickungen mit der
       lokalen [1][Reichsbürgerszene] – genauer, ausdauernder, profunder schreibt
       bundesweit kaum jemand zu diesen Themen. Zu tun hat er genug: Die
       bundesweite Protestbewegung gegen die Coronapolitik hat in der Gegend ihre
       Ursprung. Zeitweise gab es im Waiblinger Rems-Murr-Kreis über 30
       Querdenker-Kundgebungen an einem einzigen Tag. Doch nur wenige
       Journalist:innen berichteten vor Ort über das Thema. Roth wurde schnell
       bekannt – und zum Ziel von Anfeindungen. Erst sind es Posts in Sozialen
       Medien, Videos, in denen gegen ihn gehetzt wird. Dann kommen Morddrohungen.
       Ein Nutzer etwa schreibt, er werde „diesen Roth verschwinden lassen“. Heute
       muss Roth sich mit der Polizei absprechen, wenn er bei einer Veranstaltung
       eingeladen ist.
       
       Nach der Stuttgarter Demo postet ein Aktivist auf der
       Social-Media-Plattform Telegram Fotos von Roth, schreibt, der habe die
       „Ehrenmitgliedschaft bei Anitfa-Terrorgruppen“. „Jetzt weiß man zumindest,
       wie diese Kreatur aussieht,“ antwortet ein Telegram-Nutzer.
       
       „Und weil das so viele wissen, ist für mich eine Demo-Beobachtung immer mit
       Schwierigkeiten verbunden“, sagt Roth. „Ich werde erkannt, verleumdet,
       beleidigt und eingeschüchtert. Ich soll meine Arbeit nicht machen können.“
       
       In einer einjährigen Recherche hat die taz die Kampagne gegen den
       Waiblinger Journalisten rekonstruiert, hat vor Ort recherchiert, Beteiligte
       mit ihrer Hetze konfrontiert und das Social-Media-Netzwerk analysieren
       lassen, in dem sich der Hass verbreitet.
       
       2023 belegt Deutschland [2][Platz 21 in der Rangliste der Pressefreiheit
       von Reporter ohne Grenzen]. Vor der Pandemie war es Platz elf. Die
       physischen Angriffe auf Journalist*innen sind auf einen Höchststand
       gestiegen. Ein Großteil findet in verschwörungsideologischen,
       antisemitischen und extrem rechten Kontexten statt. Die Attacken gegen Roth
       zeigen, wie sich in dem Milieu der Hass auf die Presse immer weiter
       steigert.
       
       Der eingangs erwähnte Demo-Redner Alfredo G. betreibt ein kleines
       Lebensmittel-Importgeschäft in einem Vorort von Stuttgart. Seit 2020 ist er
       als Aktivist bei den Coronaprotesten dabei, hat viele Kundgebungen
       angemeldet. 2022 etwa wurden auf einer „Filmmahnwache“ am Stuttgarter
       Schlossplatz Videos gezeigt, in denen der Arzt Sucharit Bhakdi
       Falschbehauptungen zur Pandemie aufstellen konnte. In einer „Galerie des
       Grauens“ wurden Fotos angeblicher Impfopfer ausgestellt. Gegendemonstranten
       wurde gesagt, sie hätten „Gift in der Maske“.
       
       Auch am 14. Juni 2023 hat G. eine Kundgebung in der Stuttgarter Innenstadt
       angemeldet. Auf einem kleinen Platz nahe des Schlosses sammeln sich die
       Menschen, optisch alle aus dem Alternativmilieu, es ist ein warmer
       Spätnachmittag. Transparente werden entrollt, auf denen die „Aufarbeitung
       des Corona-Unrechts“ verlangt wird. G. spricht mit Polizisten die Route ab.
       
       Auf Roth angesprochen sagt G. an diesem Nachmittag, dass die
       Demonstrierenden ein „Recht auf Kritik“ hätten, ohne „tendenziös beleidigt“
       zu werden, wie Roth es getan habe. Die Presse müsse sie „nicht bejubeln“,
       dürfe sie aber auch nicht als „Schwurbler“ beleidigen. Roth allerdings
       hatte den Begriff „Schwurbler“ nur ein einziges Mal verwendet, und zwar als
       Zitat der Eigenbezeichnung einer Datingplattform für das Querdenker-Milieu.
       
       Alfredo G. sagt, er lehne auch die Bezeichnung „Querdenker“ ab.
       „Selbstdenker“ sei ihm lieber. Dabei hatte die Bewegung – vor allem in
       Stuttgart – den Begriff ab 2020 als Eigenbezeichnung gewählt. Die Art, wie
       die Presse gegen die Coronademonstranten gehetzt habe, sei ein „Verstoß
       gegen die Menschenwürde“, den er nur in einer Diktatur erwarten würde, sagt
       G. Er glaube, dass die Presse so schreibe, weil sie gekauft sei. Sie hoffe
       auf „Subventionen, Investitionen oder Sponsoren, vom Staat oder aus anderen
       Ecken, vielleicht aus der Pharma-Industrie“.
       
       Es sind Versatzstücke von Verschwörungstheorien, die in der Pandemiezeit
       immer populärer wurden.
       
       Dann läuft der Demozug los, durch die Innenstadt, bis vor die
       Landeszentrale der Grünen. Nach einer kurzen Ansprache macht G. über den
       Demo-Lautsprecher Musik an. Erst kommt „Aber bitte mit Sahne“ von Udo
       Jürgens, dann der Track „AfD“, den der rechtsextreme Rapper Kaia Boehm,
       Künstername SchwrzVyce, nach eigener Aussage als „Wahlwerbespot“ für die
       Partei geschrieben hat. Die AfD hat sich allerdings davon distanziert. „Ich
       bin es so leid, eure grün-versiffte woke scheiß Agenda hier in diesem
       Land“, heißt es in dem Song. Boehm nennt die grünen Ministerinnen „häßliche
       F....., die dieses Land angeblich regieren, aber es verraten jeden Tag aufs
       Neue“. Er als „Patriot“ müsse „kotzen, wenn ich diese Missgeburten seh“,
       heißt es über die Ampel-Regierung.
       
       Dann ist das Lied zu Ende. Die Corona-Kundgebung vor der Grünen-Zentrale
       geht weiter. Niemand scheint Anstoß an dem Text zu nehmen.
       
       Die Situation ist beispielhaft für die Entwicklung der
       Corona-Leugner:innen. Zwar ist die Querdenker-Szene in Baden-Württemberg –
       anders als in Ostdeutschland – stärker durch ein alternatives, esoterisches
       Öko-Milieu geprägt. Doch auch im Ländle gab es eine Radikalisierung,
       bestehen längst inhaltliche Überschneidungen und Kontakte zu
       Rechtsextremist:innen.
       
       Einer der wichtigsten Köpfe hinter den Attacken auf Roth ist der ehemalige
       AfD-Landtagsabgeordnete Heinrich Fiechtner. Der Onkologe mit eigener Praxis
       war einer der prominentesten Köpfe der baden-württembergischen
       Querdenker-Szene. Fiechtner attackiert Roth auf seinen Telegram-Kanälen
       über viele Monate – und triggert unter seinen Followern Gewaltfantasien
       gegen den Journalisten.
       
       Im November 2022 nennt Fiechtner Roth auf Telegram einen der
       „blasiertesten, verlogenen, hetzerischsten, am tiefsten im NS- und
       Stalinsumpf suhlenden Schorrnalisten aus, direkt aus der Printbude für
       braune Soße“. Er schreibt dies am Vorabend einer Kundgebung, über die Roth
       berichten wird. In einem auf Fiechtners Telegram-Kanal veröffentlichten
       Video ist die Rede von „Nazi-Alex“, der „von Jourfaschisten eigens
       eingeschleimte Preise für Indoktrination und Propaganda erhält.“
       
       Fiechtner spricht auf einer Kundgebung in Stuttgart, bei der Roth als
       Berichterstatter anwesend ist. Fiechtner liest dem Demo-Publikum einen
       Tweet Roths vor und hebt seinen rechten Arm, wie zum Hitlergruß. Das
       Publikum johlt.
       
       Als Roth über das Auftreten Fiechtners auf einer Demo berichten will,
       schickt er Fiechtner vor Veröffentlichung des Artikels einige ihn
       betreffende Passagen mit der Möglichkeit, Stellung zu beziehen zu.
       Fiechtner postet die Anfrage auf Telegram – und nennt Roth einen
       „Schornazisten“ – eine Wortneuschöpfung Fiechtners für unliebsame
       Journalist*innen. Fiechtner veröffentlicht einen Screenshot des Artikels,
       inklusive Autorenfoto.
       
       Immer wieder hat Fiechtner mit seinen Attacken Wellen von Hassnachrichten
       gegen Roth ausgelöst. Diesmal sticht ein Post in seiner Bedrohlichkeit
       heraus: „Ohne Kugeln in den Kopf wird nix passieren. Die Bewegung braucht
       einen Einzeltäter, der jedem Regierungspolitiker eine verpasst.“
       
       Um ein Gespräch gebeten lädt Fiechtner im Juni 2023 in seine Praxis ein. Er
       trägt ein weißes Hemd mit einer blauen Fliege; er nimmt sich Zeit. Die
       Berichterstattung zur Pandemie und den Corona-Protesten in der Waiblinger
       Zeitung sei eine „absolute Katastrophe“ gewesen, sagt er. Roth sei ein
       „beinharter Ideologe“, der „nicht unterscheiden kann zwischen Meinungs- und
       Sachbericht“. Dass er die Corona-Proteste als „rechts“ und als „vom
       Verfassungsschutz beobachtet“ bezeichnet habe, habe „Stimmung erzeugen“
       sollen. Dabei sei der Verfassungsschutz, der die Querdenker beobachtet,
       eine „weisungsgebundene Behörde“. Man müsse dies erwähnen, wenn man über
       den VS spreche. Denn der werde benutzt, seitdem er „in ihren Dienstbereich“
       gekommen sei – mit „ihren Dienstbereich“ meint er die schwarz-grüne
       Regierung in Baden-Würtemberg.
       
       Im Auftrag der taz hat das Center für Monitoring, Analyse und Strategie
       (CeMAS) die Online-Angriffe gegen Roth analysiert. Das CeMas beobachtet
       rund 2.800 Telegram-Kanäle und rund 1.900 Gruppen aus dem
       verschwörungsideologischen und rechtsextremen Spektrum. Eine Auswertung
       ergab, dass die bis Juli 2020 zurück reichenden Attacken auf Roth von
       Kanälen ausgingen, die entweder eine starke Verbindung in die rechtsextreme
       Szene haben oder bundesweit als Brücke zwischen dieser und der sogenannten
       Querdenken-Bewegung dienen. Besondere Nähe der Kanäle gebe es etwa zum
       Compact-Magazin und zur [3][rechtsextremen Identitären-Bewegung]. Von
       Sommer 2020 bis Frühjahr 2023 fanden die CeMAS-Expertinnen mehr als 250
       Nachrichten über Roth, mit einer Reichweite von insgesamt rund 480.000
       Views.
       
       Die meisten Kanäle behandeln den Raum um Waiblingen – entsprechend sei auch
       die Bedrohung durch lokale Akteur:innen groß. Mit steigender Anzahl der
       Nachrichten, könnte auch „die Wahrscheinlichkeit von tätlichen Angriffen
       steigen“, vermutet man bei CeMAS: „Das Feindbild, das Kanalbetreiber und
       Gruppenmitglieder schaffen und personifizieren, kann und wird vor Ort
       bedrängt und bedroht“. Der Lokaljournalismus werde so „zum konkreteren Ziel
       als der abstraktere ‚Hauptstadtjournalismus‘ – die Arbeitsräume des
       Journalisten sind bekannt, möglicherweise auch Wohnort und
       Hobbytätigkeiten.“ Neben dem Kanal Fiechtners hebt CeMAS besonders den
       Kanal „Antifa & Aufklärung von Remstal Rebell“ hervor.
       
       Als sich Roth Ende 2021 auf Twitter über die ständige Bedrohung durch die
       Querdenker-Szene beklagt, veröffentlicht Michael S., ein lokaler
       rechtsextremer Aktivist aus Fellbach, dies auf seinem Telegram-Kanal: „Uuuh
       der kleine Alexander hat Angst“. Roth nennt er „Menschenverachtender
       Radikal-Rassist“. Der Beitrag zieht weite Kreise auf Telegram. Der Kanal
       „Antifa & Aufklärung von Remstal Rebell“ wiederum ist mit S. verbunden. Der
       macht auf Telegram Stimmung gegen Flüchtlinge und organisiert Demos unter
       dem Motto: „Fellbach wehrt sich“.
       
       Die taz trifft S. in einem Café am Rande Fellbachs. Michael S. erzählt
       davon, wie ein Freund ihm 2014 Alex Jones empfohlen habe, einen
       rechtsextremen Radiomoderator aus den USA. Von da habe er sich immer weiter
       geklickt. Vorher sei er „Mainstream“ gewesen. Es ist der klassische Weg der
       Radikalisierung, vor dem Expert:innen seit Jahren warnen: Bei Youtube
       etwa ist der Algorithmus darauf ausgelegt, immer krassere Videos
       anzubieten, um die Konsument:innen bei der Stange zu halten. Das kann
       den Weg in den Rechtsextremismus, in eine politische Radikalisierung
       befördern.
       
       S. referiert bei der Begegnung mit der taz ungefragt fast die komplette
       Bandbreite rechter Erzählungen: Er relativiert den menschlichen Einfluss
       auf den Klimawandel, hält Migration nach Deutschland mindestens indirekt
       für gesteuert, schwadroniert über die Psychologie von Menschen aus Afrika.
       
       Alexander Roth sei ein Denunziant und für viele ein „rotes Tuch“, sagt er
       und relativiert die Verbindungen der Querdenker-Szene zum
       Rechtsextremismus, über die Roth schreibt. Laut S. nennt Roth Leute
       rechtsextrem, nur weil sie vor Jahren mal ein Rechtsrock-Konzert
       organisiert hätten. Dabei wisse Roth nicht, was diese Leute heute dächten.
       
       Auf den Umstand angesprochen, dass seine Telegram-Posts zu Gewalt gegen
       Roth animierten, streitet S. zunächst eine Verantwortung ab. Dann spricht
       er von einer „Grauzone“.
       
       Im Laufe des Jahres 2021 haben es noch weitere lokale Querdenken-Akteure
       auf Roth abgesehen: Auch Heiko M. und Markus H. hetzen auf ihren
       Telegram-Kanälen regelmäßig gegen den Journalisten. Im April 2021 droht
       Heiko M. Roth dabei mit einer „Neuauflage der Nürnberger Prozesse“ – er
       soll also nach einer rechten Machtübernahme vor Gericht gestellt werden.
       Roth hatte zuvor zu Heiko M. und dessen Vernetzung in die
       Reichsbürger-Szene recherchiert. Im Juli 2021 tauchen Heiko M. und Markus
       H. vor Roths Arbeitsplatz, dem Gebäude des Zeitungsverlags Waiblingen, auf.
       Später veröffentlichen sie ein Video davon auf Telegram. Man wolle
       Alexander Roth auf ein Bier einladen, heißt es darin.
       
       Einige Wochen später kommen die beiden Querdenken-Akteure unter einem
       Vorwand in das Verlagsgebäude. Am Empfang sagen sie, sie würden einen
       Kaffee mit Roth trinken wollen. Er habe sie eingeladen, jederzeit
       vorbeizukommen. Die Einladung ist erfunden. Sie werden am Eingang
       abgewiesen, aber Roths Bedrohungsgefühl steigt.
       
       Im Januar 2022 mobilisiert die Querdenken-Szene gegen eine öffentliche
       Veranstaltung, auf der Roth über Rechtsextremismus in der Region spricht.
       Es wird über Telegram dazu aufgerufen, die Veranstaltung zu „besuchen“.
       Nikolai Nerling, ein bekannter rechtsextremer Videoblogger und
       Holocaustleugner, auf Youtube bekannt als „der Volkslehrer“, teilt den
       Aufruf ebenfalls in seinem Telegram-Kanal – verbunden mit der Behauptung,
       Roth sei Jude. Damit entfacht er eine Welle antisemitischer Kommentare
       gegen Roth.
       
       Die Online-Angriffe weiten sich zu einer ständigen Bedrohungslage aus. Als
       Lokaljournalist läuft Roth Gefahr, auf der Straße erkannt zu werden – von
       den Personen, über die er berichtet. Von denjenigen, die es auf ihn
       abgesehen haben. Roth berichtet der taz, er sei in regelmäßigem Austausch
       mit der Polizei über Fragen zu seiner Sicherheit. Bei jedem öffentlichen
       Auftritt muss diese das Risiko bewerten, ob Polizeischutz nötig ist.
       
       Auf Twitter schreibt er: „Ich gehe keinen Schritt, ohne mich zu fragen, wie
       sicher ich bin. Wenn ich mich meiner Wohnung nähere, drehe ich mich alle
       paar Sekunden um. Wenn ich privat unterwegs bin, habe ich die Demo-Termine
       im Hinterkopf – um nicht aus Versehen in eine hineinzulaufen“. Auch diese
       Nachricht wurde auf Telegram-Kanälen genutzt, um weiter gegen Roth zu
       hetzen.
       
       Auf Demonstrationen, von denen er berichtet, muss er mit Angriffen rechnen.
       In der Redaktion sei es ständig Thema, welche Termine er überhaupt noch
       wahrnehmen könne.
       
       Bei einer Veranstaltung im Sommer 2023, auf den die taz ihn begleitetet,
       ist eine Sicherheitsabwägung und Rücksprache mit der Polizei nötig. Roth
       wechselt das Auto und nutzt einen Dienstwagen.
       
       Als er 2022 einen Lokaljournalistenpreis gewinnt, muss die Preisverleihung
       unter hohen Sicherheitsvorkehrungen stattfinden: Geheimhaltung der
       Örtlichkeit und Polizeischutz mit Bombenspürhunden. Das Ausloten, welche
       Sicherheitsvorkehrungen zu treffen sind, kostet Zeit. In der Vorbereitung
       auf die Preisverleihung habe er eine Arbeitswoche in die Sicherheitsplanung
       investiert, sagt Roth.
       
       Er passe auf, wem er in seiner Nachbarschaft von seinem Job erzähle, um
       nicht versehentlich Personen gegen ihn aufzubringen: „Das ist eben ein
       Problem, das ich als Lokaljournalist habe – ich berichte über Menschen, die
       sehr nahe bei mir sind. Die mich auch mal auf der Straße sehen können, oder
       auf Festen“.
       
       Dass ein Nutzer auf Facebook schrieb, er werde „diesen Roth verschwinden
       lassen“, erfährt Roth erst viel später. Eine Kollegin macht ihn Ende 2021
       darauf aufmerksam. Sie meldet den Fall auch dem örtlichen Polizeipräsidium.
       Das Verfahren wird an die Staatsanwaltschaft Hamburg abgegeben, da der
       Beschuldigte dort wohnhaft ist. Ermittelt wird wegen Störung des
       öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten. Im Juli stellt die
       Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Kein hinreichender Tatverdacht.
       Später zeigt Roth außerdem Michael S. wegen Beleidigung an. Auch dies
       bleibt ohne Folgen: Der Strafantrag wurde nicht im Rahmen der
       Drei-Monatsfrist gestellt.
       
       In den meisten Fällen handele es sich bei Hasskriminalität im Internet um
       Beleidigungsdelikte, sagt Josephine Ballon. Ballon ist Anwältin und
       Leiterin der Rechtsabteilung bei HateAid, einer Organisation, die
       Betroffene digitaler Hasskriminalität berät und unterstützt. „Es ist eben
       nicht Aufgabe der Betroffenen zu identifizieren, welcher Straftatbestand in
       ihrem Fall vorliegt.“ In vielen Beleidigungsverfahren erlebe man zudem,
       dass Betroffene nicht wissen, dass sie in diesem Fall innerhalb von drei
       Monaten einen Strafantrag stellen und diesen in Papierform einreichen
       müssen. „Da wäre es hilfreich, wenn Polizei und Staatsanwaltschaften selbst
       darauf hinweisen oder auf Beratungsstrukturen verweisen würden, die
       Betroffene bei Rechtsfragen unterstützen“, meint Ballon.
       
       Im November 2022 erstattet Roth Anzeige gegen Heinrich Fiechtner – dieses
       Mal über den Anwalt der Redaktion. Das Verfahren läuft aktuell noch.
       Fiechtner hetzt indes weiter gegen Roth. Dass Roth ihn angezeigt hat, teilt
       Fiechtner auf Telegram mit den Worten mit, Roths „fragiles hassbebendes
       Innere bebt so sehr, dass das Mimimi jetzt sogar die Polizei (…) aktiviert
       hat“.
       
       „Bei uns gibt es mittlerweile einen sehr kurzen Draht zur Polizei“, sagt
       Roth. „Ich habe auch einen Ansprechpartner, dem ich regelmäßig Sachen
       weiterleiten kann, dem ich nicht immer erklären muss, wer ich bin und worum
       es geht. Dieser ist mit der Lage vertraut und kann direkt sagen, wie wir
       vorgehen.“
       
       Freier Journalismus, mancherorts ist er in Deutschland nur unter
       Polizeischutz möglich.
       
       Dieser Bericht ist Teil des Rechercheprojekts „Decoding the disinformation
       playbook of populism in Europe“, das vom International Press Institute in
       Wien geleitet und in Zusammenarbeit mit Faktograf und taz durchgeführt
       wird. Das Projekt wird vom European Media and Information Fund finanziell
       unterstützt, der von der Calouste-Gulbenkian-Stiftung verwaltet wird. 
       
       Eine ausführliche Fallstudie zu den Diffamierungen gegen Alexander Roth
       findet sich auf den Seiten des International Press Institute:
       [4][https://tinyurl.com/dm5xz5r2]
       
       3 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Behoerdlicher-Umgang-mit-Reichsbewegten/!5958321
 (DIR) [2] /Angriffe-auf-Medien-in-Leipzig/!5938435
 (DIR) [3] /Die-AfD-und-die-Identitaeren/!5955016
 (DIR) [4] https://ipi.media/decoding-disinformation-playbook/case-study-alexander-roth-threatened-by-the-far-right-next-door/
       
       ## AUTOREN
       
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