# taz.de -- Ausbau der Fahrradinfrastruktur: Radwege ins Nichts
       
       > Die vom Senat versprochene Beschleunigung beim Bau neuer Radwege lässt
       > auf sich warten. KritikerInnen sagen auch: Das Geld wird 2024 nicht
       > reichen.
       
 (IMG) Bild: Bis es im Radverkehr richtig rollt, sind noch so einige Hindernisse aus dem Weg zu räumen
       
       Berlin taz | Der Herbst ist da, und das ist auch eine verkehrspolitische
       Nachricht. Nicht nur, dass Radfahrende dringend mal ihre Bremsen überprüfen
       und für ausreichende Beleuchtung sorgen sollten. Wenn der Winter kommt,
       wird auf den Straßen auch deutlich weniger gebuddelt – wer jetzt keinen
       Radweg baut, baut bald erst recht keinen mehr. Und die Bilanz in Sachen
       „Ausbau der Radinfrastruktur“ stimmt weder jetzt noch mit Blick auf die
       kommenden beiden Jahre besonders optimistisch.
       
       Je nachdem, wohin man so schaut, sieht es dabei gar nicht so schlecht aus:
       An einigen Stellen [1][entstehen gerade tatsächlich größere geschützte
       Radwege] im sogenannten Vorrangnetz an Hauptverkehrsstraßen – gebaut wird
       in der Tempelhofer Boelckestraße, auf der Chausseestraße in Mitte oder der
       Müllerstraße in Wedding. Wie viel Kilometer neue Radinfrastruktur es im
       laufenden Jahr werden, darüber lässt sich aber – jedenfalls laut
       Senatsverkehrsverwaltung in einem Bericht an den Mobilitätsausschuss vom 5.
       Oktober – „keine valide Aussage“ treffen.
       
       Angesichts der Tatsache, dass das Jahr zur Neige geht, klingt das nach
       einem Offenbarungseid. Aber die Lage ist eben unübersichtlich, schon weil
       sich Senatsverwaltung, Bezirke und die landeseigene infraVelo GmbH die
       Verantwortung für die Planung und die Betreuung der Ausführung in
       unterschiedlichen Konstellationen teilen. Zu hoffen ist, dass es nach knapp
       20 Kilometern im Jahr 2021 und 26,5 Kilometern in 2022 nun ein wenig mehr
       werden. Den im Berliner Radverkehrsplan vorgesehenen 60 Kilometern wird man
       sich aber kaum nähern.
       
       Dass es 2024 dann laut Plan sogar 100 Kilometer werden (zuzüglich der
       dieses Jahr nicht erreichten), hält Oda Hassepaß, die verkehrspolitische
       Sprecherin der Grünen-Fraktion, für ausgeschlossen – jedenfalls nicht mit
       den von Schwarz-Rot im Haushalt 2024/2025 eingeplanten Mitteln. Dabei hatte
       die Landesregierung nach ihrem Antritt Ende April angekündigt, sie werde
       das Umsetzungstempo gegenüber den Vorgängersenaten deutlich erhöhen. „Mit
       weniger Geld lassen sich nicht mehr Radwege bauen. Das ist eine simple
       Rechnung“, findet Hassepaß.
       
       ## Erst 2024 wird abgerechnet
       
       Sie erläutert gegenüber der taz, wieso sie die Finanzierung für völlig
       unzureichend hält: Das von Senatorin Manja Schreiner (CDU) im Sommer
       verhängte Moratorium zur Überprüfung der Radwegeplanung habe die Umsetzung
       vieler Maßnahmen verzögert, für die die Bezirke bereits eine
       Finanzierungszusage von der Senatsverwaltung erhalten und eine
       Fertigstellung im laufenden Jahr geplant hätten. Viele dieser Projekte
       könnten nun erst im Jahr 2024 umgesetzt und abgerechnet werden.
       
       Die Grüne nennt als Beispiel die Radwege auf der Neuköllner Sonnenallee,
       der Schöneberger Grunewaldstraße und der Siegfriedstraße in Lichtenberg.
       Der Mittelabfluss werde damit den Haushalt des kommenden Jahres belasten,
       der dafür nicht ausreiche. „Die Summe der Zusagen für ins Folgejahr
       verschobene und für neu eingeplante Projekte übersteigen den
       Haushaltsansatz für 2024 für Radverkehr bei weitem“, sagt Hassepaß.
       
       [2][Kritik an der unzureichenden Finanzierung] hatte schon im August der
       Verein Changing Cities erhoben. Seine Kritik, die grüne Senatsverwaltung
       unter Bettina Jarasch habe 2022 mit ähnlichen Summen ja nur 20 Kilometer
       Radwege bauen können, wies die Verkehrsverwaltung mit folgendem Argument
       zurück: Unter der grünen Leitung habe die Verwaltung die Haushaltsmittel
       nur sehr unvollständig abgerufen, das werde sich jetzt ändern.
       
       Für Unruhe sorgte aber zuletzt die Schrumpfung einer Liste von 30
       Radweg-Projekten über insgesamt 32 Kilometer Länge, die noch durch die von
       Schreiners Vorgängerin Bettina Jarasch geschaffenen „Projekteinheit
       Radwege“ erstellt worden war. Das Gremium, das die Abstimmung der
       Verwaltungsebenen beschleunigen sollte, hatte sich unter anderem die
       Planung von Radwegen an der Brandenburgischen Straße, der
       Kaiser-Friedrich-Straße und der Lewishamstraße in
       Charlottenburg-Wilmersdorf, an der Allee der Kosmonauten und der Märkischen
       Allee in Marzahn-Hellersdorf sowie an der Königin-Luise-Straße in
       Steglitz-Zehlendorf vorgenommen – jetzt hat sie davon wieder Abstand
       genommen.
       
       Auf Nachfrage nach den konkreten Gründen antwortet die Verkehrsverwaltung
       recht vage: „Aus der laufenden, vertiefenden Prüfung, Planung und
       Koordination der ausgewählten Maßnahmen durch die Projekteinheit Radwege
       ergaben sich kontinuierlich Konkretisierungen für die Umsetzung.“ Es hätten
       sich etwa „größere Sanierungsbedarfe oder zeitintensivere
       Abstimmungserfordernisse ergeben“, die Planung habe sich „als komplexer
       erwiesen als ursprünglich angenommen“ oder der Sanierungsaufwand sei höher
       als erwartet. Man werde über die Projekte in Kürze mit den Bezirken
       sprechen.
       
       ## Eine „lebendige“ Liste
       
       Fraglich ist, was man von einer Liste, die die Senatsverwaltung als
       „lebendig“ bezeichnet, überhaupt erwarten darf. Auch BezirkspolitikerInnen
       hatten da schon ihre Zweifel: „Wir haben uns zur Nord-Süd-Verbindung an der
       Kaiser-Friedrich- und der Lewishamstraße viele Briefe hin- und
       hergeschrieben“, so der Verkehrsstadtrat von Charlottenburg-Wilmersdorf,
       Oliver Schruoffeneger zur taz, „und ich habe nicht damit gerechnet, dass
       bei dem Projekt in den kommenden Jahren etwas passiert.“ Dass das nun ganz
       offiziell ist, schockt ihn nicht: „Es ist zwar die kürzeste Nord-Süd-Route,
       aber sie ist auch extrem verkehrsreich. Schön zum Radfahren ist das nicht.“
       
       Stattdessen kann Schruoffeneger auf die vom Bezirk konzipierte „Opernroute“
       verweisen, die östlich parallel zur Kaiser-Friedrich-Straße verläuft und
       zum Teil über Nebenstraßen wie die Krumme Straße führt: „Eine zumutbare
       Alternative“, findet er. Von der Otto-Suhr-Allee bis zur Bismarckstraße sei
       die Baumaßnahme auch schon abgeschlossen, auf dem nördlichen Abschnitt bis
       in die Nähe des S-Bahnhofs Jungfernheide gab es Probleme, jetzt wolle die
       infraVelo diesen Teil erst ab dem Frühjahr umsetzen. „Das wird aber auf
       jeden Fall im nächsten Jahr fertig“, ist sich der Stadtrat sicher. Weiter
       südlich, parallel zur Lewishamstraße, gibt es dagegen auch jetzt noch keine
       alternative Radwegeplanung.
       
       Im Übrigen ist Charlottenburg ein Beispiel dafür, wie schnell
       unvorhergesehene Ereignisse Planungen durchkreuzen können: Ende April
       machte ein Rohrbruch unter dem Kaiserdamm die Ost-West-Magistrale
       unbefahrbar, die Reparatur dauert an. Wohl erst im kommenden Frühjahr wird
       die Straße wieder komplett befahrbar sein. Die Umleitungen, die bis dahin
       gelten, verhindern solange die Umsetzung zweier wichtiger
       Radinfrastruktur-Projekte nördlich und südlich davon: die Anlage neuer
       Radwege auf dem Spandauer Damm und die Verstetigung der temporären Radwege
       in der Kantstraße.
       
       Auch ein anderes lang ersehntes Projekt ist gerade in den Wartestand
       versetzt worden: der Umbau der vielbefahrenen Torstraße, in der es aktuell
       noch gar keinen Radweg gibt. Hier will die Senatsverwaltung die fertigen
       Pläne noch einmal überarbeiten: In ihrer Antwort auf eine parlamentarische
       Anfrage teilte sie mit, eine Anpassung der Planung sei „im Hinblick auf
       eine ausgewogene Verteilung des Straßenraums für alle Verkehrsarten
       erforderlich“, deshalb könne nicht wie vorgesehen 2024, sondern erst 2025
       mit den Arbeiten begonnen werden.
       
       Offenbar vertrug es sich nicht mit [3][Manja Schreiners Idee des neuen
       „Miteinander“ von Fahrrad und Auto], dass die Parkstreifen in beide
       Richtungen wegfallen sollten. Mittes Verkehrsstadträtin Almut Neumann
       (Grüne) bedauert gegenüber der taz die Verzögerung: Die Torstraße sei
       „derzeit sehr gefährlich für Radfahrende“. Hinzu komme, dass der Bezirk
       bald Fahrradstraßen in der Gartenstraße und der Kleinen Hamburger Straße
       umsetze, „entlang derer große Mengen Radfahrende die Torstraße queren
       müssen“. Allerdings, so Neumanns resigniert klingende Aussage, liege die
       Planung in der Hand der Senatsverwaltung und sei „fachlich von ihr zu
       bewerten“.
       
       22 Oct 2023
       
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