# taz.de -- Die Wahrheit: Postmodern und provokant
       
       > Slowenische Woche der Wahrheit (1): Zu Gast im Genuss-Konsulat bei der
       > Frankfurter Freßgass’. Ein mehr als gefundenes Fressen …
       
 (IMG) Bild: Sämtliche Poren, Chakren und Gemüter öffnet die slowenische Krainer Wurst
       
       Diese Woche widmet sich die Wahrheit in all seinen großen und kleinen
       Aspekten Slowenien. Denn das verwechslungsanfällige Land ist in diesem Jahr
       Ehrengast der am Mittwoch beginnenden Frankfurter Buchmesse.
       
       Slowenien – das kleine, grüne und gebirgige Land, das sich wie ein süßer
       Frosch zwischen Österreich, Ungarn, Kroatien und Italien schmiegt, hat ein
       kleines, grünes und gebirgiges Problem: Viele Menschen wissen nicht, dass
       es vorhanden ist. Wie schnell es dann aus Versehen mit der Slowakei
       verwechselt wird! Mit Slawonien! Oder einem der vielen anderen kleinen
       Länder auf dem Balkan da unten. Das richtet einigen wirtschaftlichen
       Schaden an, denn wenn man ein Land gar nicht kennt, kann man dort schlecht
       Urlaub machen.
       
       „Kein Wunder“, schmatzt Geschmackbotschafter Nejc Horvat an diesem
       Vormittag im Frankfurter Genuss-Konsulat in der Nähe der Freßgass’
       grüblerisch. „Absolut kein Wunder, dass man unser Slowenien ständig für
       eines dieser verwechselbaren kleinen Länder auf dem Balkan hält“, fährt er
       fort. „Wie Bosnien oder Albanien. Oder die kroatische Provinz Slawonien.
       Aber nur, weil die slowenische Küche noch nicht bekannt genug ist! Oder
       kennen Sie ein gutes slowenisches Restaurant in Ihrer Stadt? Nein? Sehen
       Sie!“
       
       „Die Landesküche bestimmt, wonach wir uns im Urlaub sehnen“, übernimmt
       seine Kollegin, Geschmacksbotschafterin Anabela Kastelic. „Der Niedergang
       des griechischen Tourismus begann mit dem globalen Erfolg der türkischen
       Küche. Weshalb wir uns heute gemeinsam auf eine kulinarische Abenteuerreise
       durch unser geliebtes Slawon…, Quatsch, Slowenien begeben. Damit Sie, meine
       Damen und Herren von der Presse, eine Vorstellung von den hervorragenden
       Produkten, den aufwendigen Zubereitungen und der sensationellen Aromenfülle
       der slowenischen Küche erhalten. Und runter auf die Freßgass'“, kichert
       Frau Kastelic, „rollen Sie dann später von selbst!“
       
       „Doch zunächst einmal“, spricht Herr Horvat, „müssen wir uns einschwingen
       auf den slowenischen Groove. Wir müssen unsere Poren, Chakren und Gemüter
       öffnen für die Vibrationen, die uns gleich wie ein Gebirgsblitz an einer
       Steilwand durchfahren werden. Wir werden nämlich als Aperitif ein Gläschen
       Sliwowitz einpfeifen, den edlen Pflaumenbrand, der unser Land ebenso
       geformt hat wie die Geschichte des halben Balkans.“
       
       Die beiden schenken uns zehn Pressevertretern, die wir im Halbrund des
       Speisesaals sitzen, tüchtig in die vor uns stehenden Wassergläser ein. „Na
       Zdravje“, erschallt es aus zwölf ausgedörrten Kehlen, die nicht mehr
       trocken bleiben wollen.
       
       Die slowenische Küche, referiert Frau Kastelic derweil, sei nicht auf
       verkohltes Grillfleisch, dubiose Hackbraten, die Kombipackung aus Pommes
       Frites und Djuvec-Reis sowie zentnerweise rohe Zwiebeln angewiesen wie die
       der anderen Balkanesier. Frisches Gemüse, hausgemachte Wurst und aufwendig
       hergestellte Backwaren seien im grünen Herzen Europas mit seinem Überfluss
       an Agrarprodukten schon im privaten Küchenalltag eine
       Selbstverständlichkeit. In der Gastronomie kämen noch ein Haufen Früchte,
       Innereien, Wildfleisch, Walnüsse und jede Menge Schweineschwarten hinzu. Um
       das alles zu erschmecken, müssten wir am besten sogleich hin!
       
       Zunächst aber bekommen wir hier eine Vorsuppe serviert. Sie riecht äußerst
       betörend. „Die berühmte Jota“, raunt Horvat. „Bohnen, Kartoffeln, Rüben,
       Geselchtes. Hauen Sie rein.“ Tun wir. Der Sliwo hat uns hungrig gemacht!
       Die gehaltvolle Suppe entführt uns im Gleitflug über die üppigen Felder und
       waldbedeckten Hochebenen Sloweniens, wo wir stundenlang verweilen. Den Gang
       beschließen wir ächzend mit einem weiteren Sliwo.
       
       Schon folgt die unbestritten bekannteste Spezialität des Landes, die
       Krainer Wurst, als ein Paar geräucherter Brühwürste, leicht in der
       Eisenpfanne angebraten, mit Salzkartoffeln, Sauerkraut und frisch
       geriebenem Meerrettich. Das vollmundige, rustikale und nahrhafte Gericht
       versetzt uns im Nu in einen urigen Berggasthof in den Julischen Alpen, wo
       wir glücklich erschöpft von einer langen Wanderung durch die Gletschertäler
       schmausend ausruhen.
       
       „Ich hoffe, Sie können vorurteilsfrei an den letzten Gang vor den Desserts
       gehen, an unsere berühmten ‚Žabji kraki‘“, lächelt Frau Kastelic hinterher
       geheimnisvoll. „Das sind Froschschenkel mit Remouladensoße, wie sie in
       Ljubljana verzehrt werden“, gluckst Herr Horvat. „Normalerweise zwar als
       Vorspeise, aber diese Konvention dekonstruieren wir hier mal, als kleine
       Referenz an unseren größten slowenischen Philosophen.“
       
       „Igitt!“, bricht es aus mir heraus, und auch einige der Kolleginnen werden
       ob dieser Überschreitung unserer Ekelgrenzen bleich um die Nase. Ich hasse
       und verabscheue Remouladensoße!
       
       Die gebratenen Froschschenkel dagegen schmecken, wenn man sie von der
       ekligen Soße befreit hat, verblüffend gut, gemahnen an Hühnchenfleisch und
       schubsen uns ins quirlige Großstadtleben Ljubljanas. Die Hauptstadt hat mit
       dem postmodernen Soziologen Slavoj Žižek ja einen richtigen Gelehrten –
       manche sagen auch Quatschkopf – von Weltrang hervorgebracht.
       
       Die leichte Verstörung, die der Verzehr der Amphibien hervorruft, weckt
       darüber hinaus deutliche Assoziationen an die provokanten, subkulturellen
       Praktiken der slowenischen Band Laibach, die sich nach dem alten deutschen
       Namen der Stadt benannte. Ihr kesses Spiel mit totalitärer Symbolik hat sie
       gleichfalls in der ganzen Welt bekannt gemacht.
       
       Entsprechend frivol lauten die mehrdeutigen Trinksprüche vor unserer
       nächsten Runde Sliwo. Wir entnehmen ihren Wortlaut der Geschichte der
       kommunistischen wie nationalistischen Bewegungen der letzten Jahrhunderte
       und können sie hier aus Furcht vor Missverständnissen oder Zensur nicht
       wiederholen.
       
       Wir können uns allerdings im Einzelnen auch nicht mehr an die vielen
       Nachspeisen erinnern, die uns zwischen den Sliwos aufgetischt werden. Eine
       Walnussrolle ist darunter, vielleicht mit Estragon aromatisiert; süße mit
       Quark gefüllte Knödel; ein Schichtkuchen, eine Sahnetorte, ein Omelett? Wie
       genau die Sachen heißen, ist uns anderntags ebenfalls nicht mehr
       erinnerlich, denn wir verstehen immer wieder nur die Worte „Na Zdravje“.
       
       Eines nur ist sicher: Das alles hätte es unter Marschall Tito nicht
       gegeben. Jedenfalls nicht alles auf einmal!
       
       16 Oct 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mark-Stefan Tietze
       
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