# taz.de -- Die Wahrheit: Snack-Marshalls mit Elektroschocker
       
       > Deutsche Bahn will Fremdverzehrverbot einführen. Passagiere verunsichert.
       > Fahrgastverbände laufen Sturm. Bahn verspricht sich Gewinn.
       
 (IMG) Bild: Besser die Fahrgäste im Zug schieben Kohldampf, sonst droht der Einsatz des Elektroschockers
       
       Es ist der totale Bahn-sinn: Die Deutsche Bahn AG plant ein umfassendes
       Verzehrverbot für Mitgebrachtes in ihren Nah- und Fernverkehrszügen!
       Untersagt werden soll internen Dokumenten zufolge ab 1. Juli 2023 der
       Verzehr sämtlicher Speisen oder Snacks, die nicht im Bordbistro, bei
       Zugbegleitern oder mobilen Snackverkäufern erstanden wurden. Das Geraschel
       von Backwarentüten und die Salatessiggerüche unmittelbar nach jeder Abfahrt
       gehören damit wohl der Vergangenheit an.
       
       Zu den künftig angebotenen Gerichten sollen höherpreisige Gerichte wie
       „Makkaroni in Gorgonzolasauce“ oder „Thai-Kuttelsuppe mit Koriander“
       zählen. Der Verkehrskonzern hofft, durch eine Änderung der
       Beförderungsbedingungen den Durchschnittsumsatz in der Bordgastronomie von
       derzeit etwa fünf Euro pro Person zu vervielfachen. Wie ärmere Leute oder
       hungrige Berufspendler damit zurechtkommen, ist der Bahn offenbar egal.
       
       Besonders umstritten könnte freilich die „Rausschmiss-Regel“ werden: Wer
       vom Bahnpersonal beim Fremdverzehr eines Croissants oder eines Kaffees aus
       der Thermoskanne erwischt wird, soll ohne Verwarnung des Zuges verwiesen
       und am nächsten Haltebahnhof an die Luft gesetzt werden. Von dieser
       Regelung werden nur Personen ausgenommen, die sich dazu verpflichten,
       Snacks oder Kaltgetränke im Wert von mindestens sechs Euro 90 zu
       konsumieren. Das entspräche derzeit einem vegetarischen Vollkornbrot mit
       Ziegenkäse und kleiner Kräuterlimonade im Sparangebot.
       
       Die deutschen Fahrgastverbände haben bereits angekündigt, gegen die
       Maßnahmen Sturm zu laufen und gegebenenfalls Verfassungsbeschwerde
       einzulegen. „Im Prinzip ist alles über die Köpfe von uns kleinen Leuten
       hinweg entschieden worden“, ringt Sprecherin Elsa Härmsen (SPD) die kleinen
       Hände und um Fassung. „Wie soll denn nur die Verkehrswende klappen, wenn
       die Menschen nicht zu Beginn der Fahrt ihre stinkenden Stullen auspacken
       dürfen?“
       
       ## Üppiges Menü
       
       Unklar ist gemäß den geleakten Quellen allerdings, was genau als „Speise“
       im Sinne der geplanten Verordnung gelten soll: Erst ein üppiges Menü mit
       Hamburger plus Pommes-Ketchup oder bereits ein Schokoriegel, ein
       Salamibrötchen, ein kleiner Apfel? Dass der halböffentliche Verzehr eines
       kompletten Dönertellers mit Zwiebeln und Knoblauchsauce künftig im ICE wie
       in der Regionalbahn geächtet werden soll, ist verständlich und vernünftig.
       Aber dürfen Väter ihren Kindern noch einen Butterkeks in die Hand drücken,
       Mütter ihre Babys im Abteil noch stillen, oder fällt das etwa auch schon
       unter verbotenen „Fremdverzehr“?
       
       Ebenfalls ungeklärt scheint momentan, wie die umstrittenen Vorschriften
       kontrolliert und durchgesetzt werden sollen. In der Diskussion ist
       offenbar, dass Fahrgäste, die die Zugführung diskret auf illegitimen
       Fremdverzehr hinweisen, im Falle der Dingfestmachung von Übeltätern mit
       DB-Genuss-Gutscheinen belohnt werden sollen. Diese können dann gegen eine
       vegetarische Wrap-Falafel mit Sesamsauce eingetauscht werden. Allerdings
       warnt das Papier davor, die notwendige Mithilfe anderer Passagiere an die
       allzu große Glocke zu hängen, da sie als „Förderung von Denunziation“
       missverstanden werden könnte.
       
       Vorgeschlagen wird statt dessen, sogenannte Snack-Marshals durch die Züge
       patrouillieren zu lassen, die auch Handgepäck kontrollieren dürfen. Mit
       knapper Mehrheit abgeschmettert wurde der Vorschlag, ihnen zur Abwehr von
       Fremdspeisen den Schusswaffengebrauch zu gestatten; Tränengas und
       Elektroschocker sollen aber erlaubt sein – zur Selbstverteidigung und für
       den schnellen Zugriff im Notfall, etwa bei Leberwurstbroten und
       hartgekochten Eiern aus der Tupperdose.
       
       Rätselhaft bleibt weiterhin, wie die Pläne an die Öffentlichkeit geraten
       konnten. Offenbar richtete Bahnchef Richard Lutz im Anschluss an seine
       „Blut, Schweiß und Tränen“-Rede vor mehr als einem halben Jahr einen
       geheimen Stab ein, der die Pläne zum Kaufzwang vorantreiben sollte und nun
       seinen ersten vorläufigen Bericht vorgelegt hat. Dieser fand seinen Weg in
       verschiedene Subreddits im Netz und von dort aus in die Tagespresse, die
       sich nun fragt: „Wer ist der geheimnisvolle Trainwhistleblower?“
       
       ## Übergewichtige Menschen
       
       Unterstützung erhält das Papier aus der Wirtschaft. Pieter Schenk von der
       Beratungsgesellschaft Adventure sagt: „Je übergewichtiger die Menschen
       werden, desto mehr kostet ihr Transport. Es ist nur fair, wenn die Bahn
       selber ein bisschen daran verdient.“
       
       Auch CDU-Verkehrspolitiker Mirko von Falck kann sich für die Ideen des
       Stabspapiers erwärmen: „Früher waren es die Selbstversorger mit Henkelmann
       und Butterbrotdose, die die gastronomischen Verdienstmöglichkeiten des
       Bahnunternehmens beschnitten. Seit einigen Jahren sind es vor allem die
       preisgünstigen Snackmöglichkeiten an den Bahnhöfen, die den reisenden
       Verbrauchern einen ungebührlichen Vorteil verschaffen. Wer ohne
       Asia-Nudelbox in einen Zug einsteigt, muss doch bescheuert sein!
       Leidtragende: die Deutsche Bahn, die immer mehr Angestellte entlassen und
       ihre Infrastruktur vor die Hunde gehen lassen musste.“
       
       Laut dem Papier soll die Bordgastronomie innerhalb weniger Jahre zur
       Haupteinnahmequelle des Konzerns werden. Die hochdotierten Mitglieder der
       Stabsstelle diskutieren im zehnseitigen „Ausblick“ Fragen nach dem
       möglichen Angebot der Bistros und Zugrestaurants sowie den etwaigen
       Höchstpreisen, die damit zu erzielen seien. Als größtes Problem wird
       eingestanden, dass die Bordbistros schon jetzt regelmäßig kaputt sind und
       nichts anzubieten haben.
       
       Als Gegenmaßnahme wird vorgeschlagen, an allen größeren Bahnhöfen mobile
       Pommes-Verkäufer zusteigen zu lassen, an denen das unternehmerische Risiko
       und der Frittierfettgeruch hängenbleiben. Außerdem sollen die Zugbegleiter
       immer ein paar Bifi-Rolls und Carazzas mit sich führen. „Sie können zu
       Preisen ab fünf Euro ersteigert werden, um das Gefühl für
       marktwirtschaftliche Lösungen zu trainieren“, freut sich das Papier. Fazit:
       „Alle Klagen über das unzureichende Angebot erübrigen sich, wenn es keine
       Alternative aus dem Reisegepäck gibt!“
       
       9 Jun 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mark-Stefan Tietze
       
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