# taz.de -- Morde an Umweltschützerïnnen: Tod eines angehenden Wächters
       
       > 177 Umweltaktivistïnnen wurden 2022 getötet. Allein in Kolumbien starben
       > 60 Menschen, darunter der 14-jährige Breiner David Cucuñame.
       
 (IMG) Bild: Landgrabbing, Rodungen, Bergbau: Der Amazonas ist eines der riskantesten Gebiete für Aktivistïnnen
       
       Bogota taz | Auf dem Foto, das die Nationalparkbehörde verbreitet hat,
       steht Breiner David Cucuñame in einem Meer von Schopfrosettenbäumchen im
       Andengebirge. Ein Junge mit dunklen, seitlich rasierten Haaren, in der
       blauen Weste der indigenen Garde, mit starkem Blick. Er wurde 14 Jahre alt.
       
       Breiner war der erste von 60 Umweltschützerïnnen, die 2022 in Kolumbien
       ermordet wurden. Das Land führt damit erneut die Statistik an, die die
       Nichtregierungsorganisation Global Witness regelmäßig veröffentlicht – mit
       Abstand. Dem [1][nun vorgestellten neuen Report] zufolge kamen im
       vergangenen Jahr mindestens 177 Landverteidigerïnnen und
       Umweltschützerïnnen weltweit gewaltsam zu Tode, seit 2012 waren es
       1.910. In Kolumbien hat sich ihre Zahl im Vergleich zum Vorjahr fast
       verdoppelt.
       
       Fast 90 Prozent der Morde werden in Lateinamerika begangen. Die
       gefährlichsten Länder für Umweltschützerïnnen sind demnach Kolumbien,
       Brasilien, Mexiko und Honduras. Die Hauptfaktoren, die das Morden weltweit
       antreiben: Agrobusiness, Bergbau und Holzschlag – wer sich hier in den Weg
       stellt, muss vielerorts um sein Leben fürchten.
       
       Die Dunkelziffer sei hoch – auch weil gerade in Afrika, Asien und dem Nahen
       Osten in vielen Ländern keine Pressefreiheit gegeben ist, um solide Zahlen
       zu sammeln, schreibt die Organisation. Kaum ein Verbrechen werde
       aufgeklärt. Ein weiterer besorgniserregender Trend sei,
       Umweltschützerïnnen per Gesetz zu kriminalisieren.
       
       ## Tatort Amazonasgebiet
       
       20 Prozent der Morde weltweit passierten am Amazonas, der auch einen Teil
       Kolumbiens umfasst. Darunter fallen auch die [2][an dem britischen
       Guardian-Umweltjournalisten Dom Phillips und dem brasilianischen
       Indigenen-Experten und Verteidiger von Rechten der Indigenen Bruno
       Pereira]. Immerhin wurde die Tat aufgeklärt: [3][Auftragskiller töteten sie
       bei einer Recherche]. Ihr Fall ging um die Welt, auch weil Indigene am
       Amazonas nach ihren Freunden suchten.
       
       Doch das Töten sei nur die Spitze des Eisbergs, betont Global Witness.
       Gewalt, Folter, Bedrohung von kritischen Stimmen gehören zum Alltag in der
       Amazonas-Region.
       
       Breiners Tod ist typisch: Er gehörte der indigenen Ethnie der Nasa an. Mehr
       als jedeR dritte der 2022 ermordeten Umweltschützerïnnen war indigen.
       Dabei machen Indigene nur 5 Prozent der Weltbevölkerung aus. Zu ihrem Land
       gehören die artenreichsten Flecken der Erde – ihre Rolle für den
       Klimaschutz kann nicht überschätzt werden.
       
       ## Mord an einem Hoffnungsträger
       
       Der Junge trainierte, um eines Tages der indigenen Garde beizutreten. So
       heißen die Wächterinnen der indigenen Territorien. Sie verteidigen ihr Land
       nur mit einem symbolischen Stab statt mit Waffen und setzen auf friedliche
       Konfliktlösungen. Erschossen hat ihn eine Dissidentengruppe der ehemaligen
       Farc-Guerilla – oder eine andere Verbrecherorganisation, deren
       Drogenkorridor durch das indigene Reservat Las Delicias verläuft. Es gehört
       zur [4][Gemeinde Buenos Aires in der Konfliktregion Cauca].
       
       Breiner galt in seiner Gemeinschaft als Hoffnungsträger. Engagement hat
       Tradition in seiner Familie. Er war in der Garden-Jugend aktiv, wo Kinder
       ab fünf Jahren für den Schutz ihres Landes sensibilisiert werden – und der
       Mutter Erde. Und vor zwei Jahren hatte er seine politische Ausbildung
       begonnen.
       
       An Breiners letztem Tag war die indigene Wache zum Erkundungsgang
       aufgebrochen, weil bewaffnete Männer auf ihrem Territorium unterwegs waren.
       Sie wollten sie vertreiben. Breiner kam mit seinem Vater von einer
       Baustelle. Wie Augenzeugen in der Zeitung El Espectador berichteten,
       [5][erschoss einer der Männer gezielt den Jungen]. Neben Breiner starb
       Guillermo Chicem Ilia, Mitglied der indigenen Garde und Personenschützer
       des Anführers des Reservats. Er taucht ebenfalls in der Jahresstatistik
       auf. Zwei weitere Menschen wurden verletzt.
       
       ## Tödliche Wahljahre
       
       Mehr als 500 Menschen begleiteten Breiners Sarg auf dem letzten Weg. Die
       [6][Indigenen-Organisation CRIC schrieb im Nachruf]: „Ja, diesem Kind haben
       die Bewaffneten die Flügel abgeschnitten in unserer Mutter der Wälder. Ja,
       er ist einer von so vielen, die sie wegen des mafiösen Streits ums Land
       ermorden, der unsere Territorien überzieht. Es schmerzt uns unendlich, wie
       die Mutter der Wälder überall ausblutet, wie Koka und Marihuana in unsere
       Territorien einfallen, wie sie unsere heiligen Pflanzen zur Ware machen,
       wie die Nasa-Jugend zur den bewaffneten Gruppen überläuft und uns tötet,
       wie jeden Tag Dutzende Junge ermordet und wie Müll weggeworfen werden …“
       
       2022 war Wahljahr in Kolumbien. Solche Jahre gelten als besonders tödlich
       für alle, die sich engagieren. Es war zudem das letzte Amtsjahr des rechten
       Präsidenten Iván Duque, unter dem die Morde an Aktivistïnnen angestiegen
       waren. Seit August 2022 hat Kolumbien [7][mit Gustavo Petro erstmals einen
       linken Präsidenten]. Seine Regierung ratifizierte das Umweltabkommen von
       Escazú, was sein Vorgänger verweigert hatte. Es stellt Umweltschützerïnnen
       unter besonderen rechtlichen Schutz – nicht nur in Kolumbien ein Novum. In
       der Praxis hat sich bisher aber wenig geändert – und dieses Jahr sind
       Kommunalwahlen in Kolumbien.
       
       13 Sep 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.globalwitness.org/en/campaigns/environmental-activists/standing-firm/
 (DIR) [2] /Nachdem-sie-zehn-Tagen-vermisst-wurden/!5861622
 (DIR) [3] https://www.theguardian.com/world/2022/jul/22/three-charged-brazil-murder-dom-phillips-bruno-pereira
 (DIR) [4] /Gemeindefuehrer-in-Kolumbien-ueber-Frieden/!5953413
 (DIR) [5] https://www.elespectador.com/colombia-20/conflicto/breiner-david-cucuname-queria-ser-guardia-indigena/
 (DIR) [6] https://www.cric-colombia.org/portal/duele-breiner-david-cucuname-lopez-y-la-guerra-en-el-norte-del-cauca/
 (DIR) [7] /Gustavo-Petro-folgt-auf-Ivan-Duque/!5868273
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katharina Wojczenko
       
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