# taz.de -- Sommerpause Theater und Oper: Pause!
       
       > Die Theater und Opern sollen im Sommer durchspielen? Bloß nicht! Kluge
       > Schauspielerinnen wissen, wie gut wohlgesetzte Pausen wirken.
       
 (IMG) Bild: Potsdamer Schlössernacht: Sommerfestivals für die, die ohne Theater den Sommer nicht überstehen
       
       Im Sommerloch ist in einigen Feuilletons eine kleine Debatte darüber
       ausgebrochen, [1][ob die Spielzeitpause wegrationalisiert werden sollte].
       Sind Theater und Opern in Zukunft auch im Hochsommer für die theatralische
       Grundversorgung zuständig? Nicht nur aus Sympathie für die Kunst des
       gepflegten Nichtstuns ist das eine erschreckende Vorstellung. Nicht erst im
       Sommerloch, sondern in jeder Theatervorstellung, in jedem Konzert gilt:
       Ohne Pausen geht gar nichts.
       
       Ein intensiver Moment in klassischen Konzerten ist oft die Generalpause,
       wenn das ganze Orchester für einige Takte innehält. Im Augenblick der
       Stille klingt das eben Gehörte nach. Und diese Stille vibriert in jeder
       Generalpause anders.
       
       Manfred Eicher, der legendäre Gründer des Jazzlabels ECM, wusste das, als
       er für sein Label das Versprechen formuliert hat, die Musik auf den
       ECM-Alben sei „the most beautiful sound next to silence“ – fast so schön
       wie Stille.
       
       Das gilt natürlich besonders für die wilden Freejazz-Exkursionen vom Art
       Ensemble of Chicago bis zu Evan Parker auf ECM-Aufnahmen: Diese
       Sound-Explosionen brauchen und schaffen um sich herum sehr viel freien
       Raum, um so richtig zu knallen und zu blühen. Danach und davor kann man
       nicht nur nichts anderes, sondern für längere Zeit eigentlich gar nichts
       hören. Kann man über außergewöhnlich tolle Musik etwas Besseres sagen?
       Musik, die keine Unterbrechung braucht, taugt nur als Klangtapete im
       Durchhör- und Weghörradio.
       
       ## Lärmendes Theater
       
       [2][Und das lärmende Theater?] Jede kluge Schauspielerin, jeder
       metiersichere Schauspieler weiß, dass es auf die wohlgesetzten Pausen
       ankommt: Sollen die Sätze wirken, brauchen sie den Raum, die Gelegenheit,
       im Zuhörer nachzuwirken und sich beim Dialogpartner auf der Bühne zu
       verhaken. Ohne Pausen sind Worte nur Geräusche, ohne Leerzeichen ist
       Schrift nur Buchstabensalat.
       
       Für Heiner Müller kam es im Theater sowieso vor allem auf den Schrecken und
       die Schönheit der Stille an: „Wenn die Diskotheken verlassen und die
       Akademien verödet sind, wird das Schweigen des Theaters wieder gehört
       werden, das der Grund seiner Sprache ist“, lautet einer seiner Rätselsätze.
       Ohne Schweigen gibt es für Müller kein Theater, sondern nur die
       Dauerbeschallung der Kulturindustrie. Was für die Bühnenkunst selbst gilt,
       gilt auch bei ihrer Verfügbarkeit für das Publikum: Sie braucht Pausen.
       
       Um wirklich zu wissen, wozu die Menschen das Theater brauchen, müsste man
       alle Theater für genau ein Jahr schließen, hat der alte Apokalyptiker und
       Katastrophenliebhaber Heiner Müller schon vor Jahrzehnten vorgeschlagen.
       Vermisst niemanden etwas, kann man sich die Mühe sparen und aus den
       Theatern Partyzonen der Clubkultur machen. Bespielen muss man die Theater
       erst wieder, wenn sie ihrem alten Publikum so sehr fehlen, dass es nicht
       auf sie verzichten will.
       
       ## Zwangspause in der Pandemie
       
       Wenn die Zwangspause der Pandemie für die Theater irgendetwas Gutes hatte,
       dann genau das: Sie wurden zum Realtest für Müllers Gedankenspiel.
       Spätestens im zweiten Coronajahr merkten viele Menschen, was ihnen mit dem
       Theater fehlt. Ihr Leben war ohne diese seltsame Kunst deutlich ärmer und
       grauer geworden.
       
       Ist das Theater stets verfügbar, entfällt der Sehnsuchtsmoment. Was immer
       verfügbar ist, kann nichts Besonderes sein und verzichtet auf größere
       Wertschätzung. Es wird zur jederzeit abrufbaren Servicedienstleistung. Das
       ist das Gegenteil des kostbaren Geschenks und der Vorstellung, die etwa der
       Regisseur Max Reinhardt vom Theater als „Fest“ hatte: exterritoriales
       Gelände, eine Art gemeinsamer Ausnahmezustand, keine Alltäglichkeit.
       
       Wenn sich das Theater in seiner Überproduktionsbetriebsamkeit noch einen
       Rest von Aura gerettet haben sollte, ist die Idee, [3][ihm nicht mal im
       Sommer eine Pause zu gönnen], der beste Weg, diese Aura auszuradieren. Wie
       bei jeder starken Droge empfiehlt es sich auch beim Theater dringend, die
       Einnahme regelmäßig zu unterbrechen, schon um die Gewöhnungsabstumpfung zu
       vermeiden: Dann wirkt es nach der Theaterentziehungskur nach der
       Sommerabstinenz wieder um so intensiver.
       
       25 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Salzburger-Festspiele/!5954608
 (DIR) [2] /Festival-Tanz-im-August-in-Berlin/!5949774
 (DIR) [3] /Die-Zeit-wo-wenig-passiert/!5943107
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Laudenbach
       
       ## TAGS
       
 (DIR) wochentaz
 (DIR) Theater
 (DIR) Sommerloch
 (DIR) Sommerferien
 (DIR) Oper
 (DIR) Theater
 (DIR) Schwerpunkt Nationalsozialismus
 (DIR) Salzburger Festspiele
 (DIR) Tanz im August
 (DIR) Theater
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Verteidigung der Kunstfreiheit: Haben wir nicht schon alles versucht?
       
       Der Fonds Darstellende Künste geht mit einem Programm aus Kultur, Aktion
       und Debatte auf Tour. In Leipzig übte man sich in der Kunst des Streitens.
       
 (DIR) Briefwechsel im amerikanischen Exil: Vertrieben aus dem Reich der Künste
       
       Die „Briefe im Exil“ zwischen Max Reinhardt und Helene Thimig sind ein
       spannendes Zeitdokument. Sie erzählen vom Überleben in der Emigration.
       
 (DIR) Salzburger Festspiele: In der Familienfalle
       
       Der Roman „Die Wut, die bleibt“ kommt auf die Bühne – mit Reflexionen über
       das Geschlechterverhältnis während der Pandemie und plakativen Botschaften.
       
 (DIR) Festival „Tanz im August“ in Berlin: Der Körper, der lacht
       
       Turbulent und mystisch beginnt das dreiwöchige Festival „Tanz im August“.
       Der künstlerische Leiter Ricardo Carmona zeigt die Vielfalt der
       Tanzsprachen.
       
 (DIR) Eröffnung der Ruhrtriennale: Ernsthaft wie Hamlet
       
       Wollte die Ruhrtriennale nicht weg von traditionellen Theaterformaten? Dies
       Jahr eröffnete das Festival dagegen klassisch mit dem „Sommernachtstraum“.