# taz.de -- Ökonom über Konjunkturprobleme: „Das ist der Weg zur Industrie 4.0“
       
       > Trotz Stagnation sei die Angst vor eine Deindustrialisierung unbegründet,
       > sagt Ökonom Rudolf Hickel. Doch die EZB solle sich fürs Klima engagieren.
       
 (IMG) Bild: Die Inflation wird auch durch die steigenden Lebensmittelpreise angetrieben
       
       taz: Ob Fachkräftemangel, Bürokratie oder hohe Steuern – die Klagen der
       Unternehmen mehren sich wieder. Vor allem die hohen Energiepreise setzen
       ihnen angeblich zu. Droht eine [1][Deindustrialisierung] der deutschen
       Wirtschaft? 
       
       Rudolf Hickel: Der Begriff der Deindustrialisierung ist völlig
       unzutreffend. Diese apokalyptische Beschwörung vom Absturz Deutschlands
       lenkt von den aktuellen Krisenursachen ab. Sicherlich sind die
       Herausforderungen infolge des ökologischen Umbaus gigantisch. Aber der
       derzeitige Prozess hat wenig mit einem Verschwinden der Industrie zu tun.
       
       Welcher Prozess ist das? 
       
       Nicht die Deindustrialisierung treibt die Wirtschaft an. Im Gegenteil, wir
       durchleben den politisch voranzutreibenden Umbau in das Industriezeitalter
       der Klimaneutralität. Ein Beispiel: In der Stahlindustrie werden die alten
       Hochöfen demontiert. Aufgebaut wird dafür die Greensteel-Industrie mit
       CO2-minimalen Mega-Anlagen auf Wasserstoffbasis. Natürlich wird dieser
       Umbau auch zu Übergangsschwierigkeiten führen. Das ist jedoch nicht das
       Ende der Industrie, sondern der Weg zur Industrie 4.0 – ein Beleg für
       Schumpeters „schöpferische Zerstörung“!
       
       Besteht nicht die Gefahr, dass Unternehmen wegen zu hoher Energiepreise
       abwandern? 
       
       Natürlich sind die importieren Energiepreise noch immer sehr hoch und lösen
       Wettbewerbsnachteile für energieintensive Unternehmen aus. Dennoch entpuppt
       sich oftmals die Warnung vor der Abwanderung als reine Drohgebärde.
       
       Nach einer leichten Winterrezession hat die deutsche Wirtschaft zuletzt nur
       noch stagniert. Der Internationale Währungsfonds geht mittlerweile davon
       aus, dass sie dieses Jahr insgesamt um 0,3 Prozent schrumpfen wird. Da
       machen sich doch schon die Transformationsprobleme bemerkbar. 
       
       Die Wirtschaft ist derzeit noch mit ganz anderen Problemen konfrontiert:
       die importierten Energiepreise sind ein treibender Kostenfaktor, die
       Exporte sinken wegen mangelnder Nachfrage aus dem Ausland, vor allem bei
       einkommensschwachen Haushalten [2][drückt die Inflation auf die
       Konsumnachfrage] und durch die reaktivierte Schuldenbremse entstehen
       staatliche Finanzierungsengpässe. Beschleunigt wird die Absturzgefahr der
       Wirtschaft zudem durch die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihrer vor
       einem Jahr gestarteten Zinswende.
       
       Die EZB hat vergangene Woche eine Erhöhung des Leitzinses beschlossen. Er
       liegt nun bei 4,25 Prozent. So hoch war er zuletzt zu Beginn der
       Finanzkrise 2008. Ist das zu viel? 
       
       Die erneute Erhöhung der Leitzinsen ist aus mehreren Gründen falsch. Das
       fängt bereits mit der Diagnose der EZB an: Die hartnäckige Geldentwertung
       ist nicht auf eine hausgemachte Übernachfrage zurückzuführen. Stattdessen
       wird sie immer noch von den hohen Energiepreisen angetrieben. Hinzugekommen
       sind die steigenden Lebensmittelpreise. Wie soeben der Internationale
       Währungsfonds gezeigt hat, treiben im Euroraum auch marktbeherrschende
       Unternehmen die Preise zur Profitsteigerung in die Höhe. Diese
       Preistreiberei kann die EZB mit ihrer Geldpolitik nicht bekämpfen.
       Stattdessen sind die Schäden der Zinswende zum Beispiel in der Bauindustrie
       bereits unübersehbar.
       
       Kritik an der EZB kommt nun auch von ungewöhnlicher Seite. Die
       Umweltorganisation Greenpeace wirft ihr vor, nicht genug für den
       Klimaschutz zu tun. 
       
       Damit hat Greenpeace recht. Die EZB hat im Juni dieses Jahres ihren
       Beschluss vom letzten Oktober, zumindest die Erlöse aus Tilgungen im Rahmen
       des APP-Anleihekaufprogramms wieder anzulegen, zurückgenommen. Damit stehen
       die im Zuge der Tilgung freiwerdenden Mittel nicht mehr zum Aufkauf von
       Anleihen klimafreundlicher Unternehmen zur Verfügung. Mit der Konzentration
       auf eine auch noch erfolglose Antiinflationspolitik hat sich die EZB aus
       dem Greening ihrer Bilanz verabschiedet.
       
       Ist es überhaupt Aufgabe der EZB, Klimapolitik zu betreiben? 
       
       Geldpolitik ohne Verantwortung für den Klimawandel geht heute nicht mehr.
       Die EZB hatte das ja mit ihren vorbildlichen Anforderungen in ihrer
       sogenannten Klimaagenda vom 4. Juli 2022 begriffen. Demnach will die EZB
       eigentlich ihre Geldpolitik mit dem Klimaschutz in Einklang bringen.
       
       Wie nutzt es dem Klima, wenn die EZB Unternehmensanleihen kauft? 
       
       Zunächst muss festgehalten werden, dass die EZB nur auf dem sogenannten
       Sekundärmarkt Anleihen kaufen darf, also nicht direkt von Staaten und
       Unternehmen. Wenn sie aber auf den Wertpapiermärkten zum Beispiel gezielt
       Anleihen eines Windanlagenherstellers kauft, dann verbessert sie dessen
       Finanzierungslage, verschafft ihm also einen Vorteil gegenüber einem
       Erdölkonzern, der mit seinem Geschäftsmodell dem Klima schadet.
       
       Die EZB verstößt gegen ihr Neutralitätsgebot, wenn sie klimafreundliche
       Unternehmen bevorzugt. 
       
       Natürlich ist die Zentralbank nicht mehr nach dem Motto „egal welche
       Unternehmen, Hauptsache die Geldmenge wird bewegt“ neutral. Zumindest bei
       den Anleihen aber sollte die Priorisierung der Geschäfte nach ökologischen
       Mindeststandards erfolgen. Die Klimakrise hat diese Neutralität, die bisher
       auch CO2-ausstoßenden Unternehmen genutzt hat, aufgekündigt.
       
       Und was ist mit dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank von zwei
       Prozent? 
       
       Die EZB steht vor einem viel zu wenig diskutierten Tabubruch. Die
       Zielinflationsrate von zwei Prozent wird trotz massiven Strukturwandels
       seit Jahrzehnten für unantastbar gehalten. Doch wird dies zunehmend in
       Widerspruch mit dem gewollten ökologischen Umbau geraten, der über die
       gesamte Wirtschaft hinweg zu höheren Preisen für [3][CO2-Emissionen] führt.
       Die ökologisch unvermeidbare höhere Inflationsrate in der Umbauphase darf
       aber geldpolitisch nicht mit der klimablinden Zwei-Prozent-Grenze auch noch
       mit der Folge der konjunkturellen Schwächung bekämpft werden. Gegen sozial
       ungerechte Folgen muss dann der Klimabonus eingesetzt werden. Zu diesen
       Herausforderungen schweigt die EZB.
       
       4 Aug 2023
       
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