# taz.de -- Nach dem Femizid in Bosnien-Herzegowina: Zwischen Schock und Reflexion
       
       > Das Filmfestival in Sarajevo wurde unterbrochen. Stattdessen gingen
       > Menschen gegen einen Femizid auf die Straße. Der Täter filmte sich live.
       
 (IMG) Bild: Während der Verfolgung des Täters nach dem Femizid in Gradačac (Bosnien) am 11. August
       
       Sarajevo taz | Alles bewegt sich zwischen Schockstarre und Reflexion in
       Sarajevo. [1][Ein Frauenmord] mit anschließendem Amoklauf erschüttern die
       Menschen. Am Mittwoch wurde ein Staatstrauertag ausgerufen und das
       Filmfestival in der bosnischen Hauptstadt unterbrochen. Zehntausende von
       Besuchern, Filmemacher und Schauspieler hielten wie die Bosnier den Atem
       an.
       
       Als am Freitag vor einer Woche um 10.20 Uhr der Mann den Livestream auf
       seinem Instagram-Profil anschaltete, hatte er sein Hemd ausgezogen. Als
       preisgekrönter Bodybuilder zeigte er sich dem Publikum. Mit nacktem
       Oberkörper blickte der 35-Jährige in die Kamera und erklärte den
       Zuschauern, was sie erwarten würde: „Gleich werdet ihr einen Mord live
       erleben.“ Dann zückte er die Pistole, richtete erst das Handy, dann die
       Waffe auf seine Ex-Frau Nizama H. und drückte ab. Kindergeschrei war zu
       hören.
       
       Locker und leicht wollten die Organisatoren des Filmfestivals „Sarajevo mon
       amour“ den Sommer gestalten. Und so ein bisschen ablenken von den ohnehin
       schwierigen und komplizierten politischen Verhältnissen, die regelmäßig um
       Bosnien und Herzegowina auftauchen, so wie die zahlreichen Sommergewitter
       mit Regen und dem Donner, der von den umliegenden Bergen hallt.
       
       Teile des Stadtzentrums waren für eine große Party abgesperrt. Die Menschen
       pendelten zwischen dem Theater und der Altstadt Bascarsija, füllten die
       Cafés und konkurrierten abends um die Plätze in den Restaurants. Viele
       Filmbegeisterte, Filmemacher und Schauspieler waren angereist, um vom 11.
       bis 18. August das umfangreiche Programm aus Spiel- und Dokumentarfilmen,
       den Kurz- und Studentenfilmen, dem Kinderprogramm, den Filmen „Dealing with
       the Past“ beizuwohnen.
       
       ## Das erste Filmfestival in Sarajevo fand 1994 in Kellern statt
       
       Die Organisatoren hatten sich mit der Digitalisierung große Mühe gegeben.
       Registrieren und Anmelden ging Ruck-Zuck. Karten zu erhalten war leicht,
       der Andrang war groß, fast das gesamte Programm stand aber online zur
       Verfügung. Filme im Café, auf den Bänken der Parks und natürlich im Freien
       anzugucken macht auch vielen Spaß, bis man langsam realisierte, was in
       Gradačac wirklich passiert war.
       
       Das erste Filmfestival in Sarajevo fand 1994 in Kellern statt, während der
       Belagerung, als serbische Militärs Hunderte von Granaten auf die Stadt
       schossen. Manche Filme konnten nur mit Notstromaggregaten gezeigt werden.
       Damals hätte man sich so etwas Sinnloses wie diesen Amoklauf kaum
       vorstellen können.
       
       Die Kultur verteidigte damals die Stadt gegen die Barbaren auf den Bergen
       ringsherum. Die demonstrierenden Frauen und Männer gegen den Femizid am
       letzten Wochenende, tun dies heute.
       
       Denn das war kein Film. Das war die Wirklichkeit. Während die Polizei ihn
       bereits verfolgte, startete der Täter die Live-Übertragung erneut und
       filmte, wie er auf Passanten feuerte und zwei Männer tötete. Einen Vater
       und seinen Sohn. Drei weitere Passanten verletzte er, bevor die Polizei ihn
       einkreiste. Erst dann erschoss er sich selbst. Und das vor großem Publikum.
       
       ## 300 neue Follower in drei Stunden
       
       Die Videos waren anschließend noch knapp drei Stunden auf Instagram
       verfügbar. Das Profil des Täters gewann in dieser Zeit mehr als 300 neue
       Follower. Was sind das für Leute, die Beifall klatschen, wenn eine Frau
       ermordet wird?
       
       Unbeantwortet bleiben die Fragen, weshalb so viele Menschen live zusahen
       und warum die Aufnahmen auch Stunden später noch frei auf Instagram
       verfügbar waren.
       
       Alle diese Fragen werden jetzt diskutiert. Für manche weist diese
       Geschichte auf die Verrohung der Gesellschaften insgesamt, auf den Verfall
       von Werten. [2][Welches Signal senden autokratische politische Führer aus,
       wenn sie lügen, betrügen und ihre Widersacher beseitigen lassen?] Wie krank
       muss eine Gesellschaft sein, wenn Amokläufer und Frauenmörder Beifall
       erhalten und Nachahmer schon bereitstehen?
       
       Warum etwa hatte die Polizei vorab keine Schutzmaßnahmen für Nizama H. –
       das spätere Opfer – ergriffen? Schließlich hatte sie bereits mehrfach
       angegeben, Morddrohungen von ihrem Ex-Mann erhalten zu haben sowie von ihm
       geschlagen worden zu sein. Der war zudem kein unbeschriebenes Blatt: er war
       wegen Drogenhandels und eines Angriffs auf einen Polizisten vorbestraft.
       
       „Es ist nur der letzte in einer Reihe von Femiziden und anderen schweren
       Fällen von Gewalt an Frauen in Bosnien und Herzegowina“, kritisierte Ingrid
       McDonald, UNO-Vertreterin im Land.
       
       18 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) Erich Rathfelder
       
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