# taz.de -- Festival an der Akademie der Künste: Der Natur eine Stimme geben
       
       > Sandstürme rauschen, Regenwälder klingen. Das Festival „time to listen“
       > untersucht die Klimakrise mit Klangkunst und Musik.
       
 (IMG) Bild: Der Klangkünstler Jacob Kirkegaard ist beim Festival vertreten: „Testimonium“ (2017)
       
       In den höchsten Tönen summt, prasselt und singt es. Aus tiefster Tiefe
       brummt, surrt und rauscht es. So vielstimmig klingt einer der ältesten
       Regenwälder der Welt auf der Tropeninsel Borneo im malaiischen Archipel.
       Ein unberührtes Ökosystem mit seinem ganz eigenen Klang – aufgenommen von
       64 Mikrofonen. David Monacchi, Komponist und Klangkünstler aus Italien, hat
       es sich zur Lebensaufgabe gemacht, den Sound dieser gefährdeten
       Biodiversität aufzuzeichnen und für die Nachwelt zu bewahren.
       
       Organisiert wie eine Partitur sei die Natur, sagt er: „Ich höre diesen
       komplexen Naturklangwelten jetzt schon fast 20 Jahre lang zu und der
       Unterschied zu einer mehrstimmigen Motette aus dem 15. Jahrhundert ist für
       mich gar nicht so groß.“ Auf der Website zu seinem interdisziplinären
       Projekt „Fragments of Extinction“ kann man Öko-Sinfonien aus drei
       Kontinenten lauschen. Ausschnitte seiner Arbeit stellt Monacchi kommenden
       Samstag an der Berliner Akademie der Künste vor. Dort versammelt das
       Festival „time to listen – die ökologische Krise in Klang und Musik“ ab dem
       18. August internationale Künstler:innen, die sich auf verschiedenste Weise
       mit der [1][Beziehung zwischen Musik und Klimakrise] beschäftigen.
       
       Die Idee dazu entstand vor zwei Jahren: „Während der Coronazeit haben wir
       in regelmäßigen Onlinetreffen sehr intensiv darüber gesprochen, was unsere
       Mitglieder beschäftigt. Die Besorgnis über die weltweite ökologische Krise
       kam dabei sehr oft auf“, erzählt Festivalleiterin Julia Gerlach. Dazu
       müsste man mal was machen, habe sie gedacht.
       
       Herausgekommen ist eine interdisziplinäre Veranstaltungsreihe an der Grenze
       zwischen Kunst und politischem Aktivismus: So etwa die Komposition „LANDET“
       des dänischen Klangkünstlers Jacob Kierkegaard, welche die
       Tötungsmaschinerie der Lebensmittelindustrie akustisch erlebbar macht,
       indem sie über acht Lautsprecher die technoiden Klänge eines Schlachthofes
       wiedergibt oder der sprechende Klavier-Automat von Peter Ablinger, Winfried
       Ritsch und Thomas Musil, der aus der Forderung des „World Venice Forum“
       nach einem internationalen Gerichtshof für Umweltkriminalität zitiert.
       
       Anreise mit dem Zug 
       
       Wenn die Künste Klimapolitik machen, müssen auch die Produktionsweisen auf
       Nachhaltigkeit überdacht werden. Bis auf wenige Ausnahmen reisen deshalb
       alle teilnehmenden Künstler:innen mit dem Zug an. „Wo das nicht möglich
       war, haben wir darauf geachtet, dass die betreffenden Personen länger
       bleiben und einen größeren künstlerischen Fußabdruck hinterlassen, indem
       sie auch am Symposium teilnehmen und einen Workshop für Jugendliche
       machen“, erklärt Gerlach.
       
       Eine von ihnen ist die philippinisch-amerikanische Komponistin,
       Schlagzeugerin und Klangkünstlerin Susie Ibarra. Während ihres zweiwöchigen
       Aufenthaltes in Berlin wird sie mit den Moabiter Mädchengruppen
       Mädchen-Kultur-Treff Dünja und Beraberce e. V. Moabit die Klänge von
       städtischen Flüssen und Gewässern aufzeichnen und mit ihnen über den der
       Natur innewohnenden Rhythmus sprechen. Insbesondere aber sieht sie es als
       ihre Aufgabe, den Jugendlichen Raum für eigene Narrative zu bieten: „Ich
       will vor allem zuhören und hören, was die Mädchen zu erzählen haben und wie
       sie das Klima, in dem sie zu Hause sind, erleben.“
       
       Auch ihre Komposition „stories of the desert in a changing climate“, ein
       Auftragswerk der Akademie der Künste, kreist um die Perspektive der
       nächsten Generation. Entstanden ist die Klanginstallation in der von
       Desertifikation bedrohten Oase M’Hamid El Ghizlane im Süden Marokkos in
       Zusammenarbeit mit 15 jungen Mädchen zwischen 9 und 15 Jahren. Die
       Erfahrungen der jungen Frauen, die bereits jetzt mit den Folgen der
       Klimakrise leben, waren für die Projektentwicklung richtunggebend:
       Gemeinsam machten sie Audioaufnahmen von ihrer Umgebung, fingen die
       Geräusche der Sandstürme, der wenigen verbliebenen Wasserquellen oder des
       Echos in ausgetrockneten Ziehbrunnen ein.
       
       Kunstprojekte dieser Art nehmen einen politischen Paradigmenwechsel vorweg,
       der vereinzelt schon heute Realität ist: [2][Ecuador nahm 2008 als erster
       Staat weltweit die Grundrechte der Natur mit in seine Verfassung auf], und
       2017 erklärte das neuseeländische Parlament den Whanganui River gar zur
       juristischen Person. Seitdem hat der Fluss über seine Stellvertreter,
       sogenannte Guardians, auch vor Gericht eine Stimme. Er wird vom
       unterworfenen Objekt zum an der Gesellschaft teilnehmenden Subjekt.
       
       David Monacchi, dessen Field Recordings, also Feldaufnahmen, unversehrter
       Regenwälder am 19. August in der Akademie der Künste zu hören sein werden,
       befürwortet solche gesetzlichen Initiativen: „Es ist höchste Zeit, dass wir
       lernen, den Stimmen der Natur wirklich zuzuhören.“ Bei diesem
       Transformationsprozess spielt Kunst seiner Meinung nach eine
       Schlüsselrolle: „Klang ist eine mächtige sinnliche Erfahrung, die uns zu
       einem tieferen Verständnis der Umwelt und einem neuen ökologischen
       Bewusstsein verhelfen kann.“
       
       17 Aug 2023
       
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