# taz.de -- Zerschlagung von Gruner + Jahr: Jeden Tropfen ausgewrungen
       
       > RTL will zahlreiche Magazine von Gruner + Jahr einstellen oder verkaufen.
       > Die Ursachen für den Zustand des Verlagshauses reichen weit zurück.
       
 (IMG) Bild: Bertelsmann feiert Rekordumsätze zur Jahresfeier im Juni 2023
       
       Verena Carls neue Spezialität sind Abschiedsfeiern. Sie war quasi auf
       Partyhopping: von Brigitte über Barbara bis Eltern – sämtliche
       Zeitschriften aus dem Gruner- + Jahr-Verlag, die eingestellt werden,
       versammelten sich ein letztes Mal und stießen auf ihr Ende an. Getränke
       mussten teilweise selbst bezahlt werden. Der Barbara reichte das Budget nur
       für einige Brezeln und eine Runde Sekt.
       
       Seit 2006 schrieb Verena Carl für 7 der 23 nun eingestellten Magazine, die
       beim Verlag Gruner + Jahr (G+J) erschienen. Anfang des Jahres wurde
       bekannt, dass die Sendergruppe RTL, die 2021 G+J übernahm, sich von einem
       großen Teil ihrer Magazine verabschieden will. Beide Unternehmen gehören
       mehrheitlich dem Medienkonzern Bertelsmann.
       
       Freiberufliche Journalist:innen wie Verena Carl [1][traf die
       Zerschlagung von G+J durch RTL hart.] Sie erhalten keine Abfindungen. All
       die Kreativen und Neugierigen, die da bei den Abschiedspartys
       zusammenstehen, lassen Verena Carl ratlos zurück: „Dass man die einfach vor
       den Bus kippt, statt zu schauen, ob man vielleicht anderweitig Verwendung
       für sie hat.“
       
       ## Hunderte Stellen gehen verloren
       
       Um die 700 der 1.900 Stellen will der G+J-Eigentümer RTL abbauen und dafür
       zahlreiche Magazinableger einstellen und andere verkaufen.
       
       Wie kam es zur Zerschlagung des einst führenden Verlages Deutschlands und
       Europas, der bis vor rund zehn Jahren mit Stern, Brigitte, Capital, Geo und
       vielen anderen Magazinen Milliarden umsetzte? War sie wirtschaftlich
       notwendig, um den Rest am Leben zu erhalten – wie es Bertelsmann-Chef
       Thomas Rabe darstellt?
       
       Oder folgte sie einer langfristigen Strategie? Beteiligte sagen, Rabe
       wollte schon lange raus aus dem Zeitschriftengeschäft. Er betrachte es wie
       einst Buchclubs als schwindendes Geschäft mit abnehmenden Erträgen und
       wolle Milliarden lieber in andere Bereiche investieren.
       
       Im März zog Rabe für RTL Bilanz. Auf den Vorwurf, er habe die Zahlen bei
       G+J schlecht gerechnet, um die Zerschlagung zu rechtfertigen, sagte er:
       „Ich wünschte, die Performance von G+J wäre besser.“ Am Tag davor hatte das
       Handelsblatt berichtet, dass er Kosten bei G+J verrechnete, Gewinne jedoch
       Bertelsmann zuschlug. Dazu Rabe: „Die Zahlen sind eindeutig und nicht
       hingerechnet. Ich wüsste nicht, was meine Motivation sein sollte, ein
       Geschäft von G+J schlecht zu reden.“ Ziel der Einsparungen durch
       Magazin-Einstellungen und Verkäufe sei, sichere Arbeitsplätze zu schaffen.
       
       ## Schrumpfende Gewinne in Krisenzeiten
       
       Im Jahr vor der Übernahme durch RTL 2021 habe G+J noch 134 Millionen Euro
       Gewinn abgeworfen. Aber ohne Unternehmensbeteiligungen, die G+J
       beispielsweise an Spiegel hatte, habe G+J mit seinem eigenen Kerngeschäft
       mit seinen Magazinen jedoch nur 40 Millionen erwirtschaftet. Diese 40
       Millionen seien 2022 auf 1 Million geschrumpft; für 2023 erwartet Rabe ein
       Minus von 26 Millionen. Grund für diese Lage seien fehlende Werbeerlöse und
       erhöhte Kosten in Krisenzeiten.
       
       Daher ist der Konzern nun auf Sparkurs und baut Stellen ab. Bis 2025 sollen
       insgesamt 70 Millionen an Kosten eingespart werden. Dementgegen sollen
       etwa 80 Millionen in die Kernmarken von G+J und neue Räumlichkeiten
       investiert werden. Allein an [2][Stern ] sollen davon 30 Millionen gehen.
       
       Zudem soll eine neue Stern-Plus-App noch 2023 lanciert werden, wie ebenso
       eine überarbeitete RTL-plus-App. Mit der Strategie sollen die starken
       Hefte, die das Kerngeschäft getragen haben, erhalten bleiben und somit auch
       70 Prozent des Umsatzes von G+J.
       
       ## Fehlentwicklung reicht weiter zurück
       
       Für viele Beobachter ist die Zerschlagung die Konsequenz einer
       Fehlentwicklung, die 2021 begann, als RTL G+J übernahm. [3][Tatsächlich
       reichen die Ursachen weiter zurück], wie Gespräche mit Mitarbeitenden von
       G+J, RTL und Bertelsmann ergeben.
       
       [4][Bis 2014 war Bertelsmann nur Mehrheitsgesellschafter], der 75 Prozent
       der Anteile hielt, und musste den Minderheitsgesellschafter Jahr, mit 25
       Prozent, zum möglichst günstigen Verkauf seiner Anteile bringen. Später
       verkaufte Bertelsmann weniger lukrative Teile von G+J mit hohen Gewinnen,
       vom Verlagssitz in Hamburg bis zum Auslandsgeschäft, und behielt nur die
       Teile, die mehr Wachstum versprachen.
       
       Die ersten Anzeichen der Strategie, sich G+J möglichst günstig
       einzuverleiben, bekam der ehemalige G+J-Chef Bernd Buchholz vor mehr als
       zehn Jahren zu spüren, berichten Beteiligte. Er wollte damals neben dem
       Zeitschriftengeschäft eine zweite Säule aus digitalen Fachinformationen
       aufbauen und für 100 Millionen Euro das britische Markt- und
       Meinungsforschungsinstitut Yougov kaufen. Bertelsmann sicherte ihm damals
       eine Unterstützung von einer halben Milliarde Euro für solche Investments
       zu.
       
       Doch als Rabe 2011 die Unternehmensführung übernahm, habe er von dieser
       Zusage nichts mehr wissen wollen. Rabe habe Yougov und ähnliche
       strategische Investmentprojekte geblockt, weil er sich solche Investments
       für Bertelsmann vorbehielt. Heute hat Yougov einen Börsenwert von 1
       Milliarde Euro. Bertelsmann will dazu nicht Stellung nehmen.
       
       ## Bertelsmann kauft 2014 G+J
       
       Dieser Kurswechel habe G+J-Chef Buchholz damals verwunderte, heißt es. Er
       ahnte nicht, dass Rabe über Monate geheime Kaufverhandlungen mit Winfried
       Steeger, dem Geschäftsführer der Jahr-Holding, führte.
       
       Steeger und Rabe hätten sich gut verstanden in den Verhandlungen,
       registrierten G+J-Manager. Anwalt Steeger arbeitete davor für die Kanzlei
       Freshfields, die auch für Bertelsmann und RTL tätig war, wie es in einer
       Unternehmensgeschichte der Kanzlei heißt. Als Buchholz aus dem Manager
       Magazin von den geheimen Verhandlungen, versehen mit unangenehmen Interna
       aus Gütersloh über sich, erfuhr, fühlte er sich verraten und ging.
       
       Dieser Umstand erleichterte später den Verkauf. Für 100 Millionen kaufte
       Rabe 2014 für Bertelsmann die Anteile der Familie Jahr. Dazu übernahm der
       Konzern für weitere 100 Millionen die Pensionsverpflichtungen der Jahrs.
       
       Addiert man die Gewinne, die Bertelsmann durch die Verkäufe von
       Unternehmensanteilen seit 2014 erzielte, zeigt sich, dass die Anteile unter
       ihrem Wert verkauft wurden. Ausgehend von ihrem 25-prozentigen Anteil,
       haben sie etwa 100 Millionen zu wenig kassiert. Der Deal hatte zudem einen
       weiteren Vorteil für Rabe: Die 100 Millionen für Pensionsverpflichtungen
       wanderten in den Trust von Bertelsmann, wo das Unternehmen sie für den
       Vermögensaufbau verwenden kann.
       
       ## Verlag bringt lukratives Geschäft
       
       Um mehr Kontrolle ausüben zu können, änderte Rabe die Rechtsform von G+J.
       Nach dem Verkauf entzog er dem Verlag immer wieder Werte.
       
       Bertelsmann äußert sich nicht zu Gewinnen aus Verkäufen. Aber
       Geschäftsberichte, Veröffentlichungen und Insiderkenntnisse ergeben zum
       heutigen Stand folgende Schätzungen: Der Verkauf des denkmalgeschützten
       Verlagssitzes von G+J „Am Baumwall“ in Hamburg hat rund 300 Millionen Euro
       erbracht, das Frankreichgeschäft mehr als 150 Millionen. Mit dem Verkauf
       weiterer Beteiligungen hat Rabe schätzungsweise weit mehr als 600 Millionen
       Euro seit 2014 aus G+J abgezogen.
       
       Lukrative Beteiligungen, wie Spiegel, Applike, Dresdner Verlag, Territory,
       teilweise bei G+J entwickelt, wanderten in den Besitz von Bertelsmann. G+J
       verfügte also über Werte von weit mehr als 1 Milliarde Euro, die der Verlag
       für Investitionen hätte nutzen können.
       
       Warum ist das wichtig? Rabe behauptete im Spiegel-Interview im Februar,
       [5][G+J wäre „in seiner heutigen Aufstellung“ in genau die gleichen
       Probleme der schwindenden Erträge gelaufen] – mit oder ohne die Übernahme
       von RTL. Entscheidend sind die Worte „in seiner heutigen Aufstellung“ – und
       an dieser „Aufstellung“ trägt er die entscheidende Verantwortung.
       
       ## Fusion zum Inhalte-Champion
       
       Den Rest an G+J, der nach all den Verkäufen durch Bertelsmann übrig blieb,
       hat der Medienkonzern [6][im August 2021 für 228 Millionen Euro an RTL
       verkauft]. Mit der Zusammenführung, erzählte Rabe der Öffentlichkeit,
       kreiere man einen Inhalte-Champion.
       
       Aber auch für diesen Verkauf waren vermutlich rein finanzielle Gründe
       ausschlaggebend. Denn Bertelsmann ist nur mit 75 Prozent an RTL beteiligt.
       Das bedeutet, dass Rabe so 25 Prozent der Kosten, die durch
       Umstrukturierung und Abfindungen bei G+J entstehen, an andere
       Gesellschafter weiterreichen kann.
       
       Christoph Mohn, Aufsichtsratschef von Bertelsmann, zeigte sich mit Rabe
       zufrieden, wie er der Financial Times sagte. Bertelsmann „wächst stärker
       und ist digitaler, diverser, weniger anfällig für Wirtschaftskrisen und
       profitabler als vor einigen Jahren“, lobte Mohn.
       
       Trotz der Rückschläge und gescheiterten Fusionen seien die großen
       Investitionen in Rabes Amtszeit erfolgreich. Rabe selbst sagte zum Rückhalt
       der Eigentümer-Familie Mohn: „Ich bin mit mir vollkommen im Reinen. Ich
       spüre umfassende Rückendeckung für alles bei Gruner + Jahr.“ Für RTL und
       Bertelsmann vermeldete er Rekordumsätze.
       
       Und Verena Carl? Bekannte seien aus- oder umgestiegen in PR oder interne
       Kommunikation. Sie bedauert das und möchte gerne weiter im Journalismus
       arbeiten. Im Juni sagte sie [7][in einem Interview mit dem
       Nestbeschmutzer], einer Publikation des Netzwerks Recherche: „Aktuell bin
       ich wieder auf der Suche, woher das Geld kommt.“ Vor wenigen Tagen ist ihr
       Ratgeber-Buch für Eltern von queeren Kindern erschienen. Immerhin.
       
       29 Jul 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Protest-gegen-Ausverkauf-bei-GrunerJahr/!5907880
 (DIR) [2] /Die-gefaelschten-Hitler-Tagebuecher/!5933811
 (DIR) [3] https://www.mediummagazin.de/archiv/2012-2/ausgabe-10112012/das-schachern-am-baumwall/
 (DIR) [4] http://guj-chronik.de/wp-content/uploads/2017/05/161122_Vortrag-Geschichtswerkstatt_B%C3%B6.pdf
 (DIR) [5] https://www.spiegel.de/wirtschaft/thomas-rabe-ueber-die-zerschlagung-von-gruner-jahr-das-geht-mir-unter-die-haut-aber-es-ist-trotzdem-erforderlich-a-fcea2314-0ace-42c8-9d0b-134e057228de
 (DIR) [6] /Fusion-von-Medienhaeusern/!5791980
 (DIR) [7] https://netzwerkrecherche.org/wp-content/uploads/2023/06/Nestbeschmutzer-2023_web.pdf
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Schuler
       
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       die Inhalte egal sind. Nicht, weil es unprofitabler Journalismus wäre.