# taz.de -- Neulich in einer Berliner Buchhandlung: „Es gibt eben keine Zufälle“
       
       > Begegnung der lebensbejahenden Art: Ein älterer Herr gibt Tipps für ein
       > Geburtstagsgeschenk und Lebensweisheiten von sich. Superb!
       
 (IMG) Bild: In Buchhandlungen kommt es mitunter zu flüchtigen, gleichwohl nützlichen Begegnungen
       
       Ich stehe in Schöneberg in einem kleinen Berliner Buchladen und suche ein
       Geschenk. Freunde zu beschenken, ist manchmal gar nicht so leicht.
       [1][Bücher sind da immer noch die beste Wahl]. Allerdings habe ich nur
       männliche Freunde, die entweder kaum lesen, oder sie sind so belesen, dass
       man befürchten muss, dass sie jedes Buch schon kennen, daher freundlich
       lächeln, aber innerlich müde abwinken. Mein Freund gehört zu Letzteren, und
       ich kenne sein Bücherregal kaum.
       
       Ich lese also mal hier und da, und während ich in ein Buch hineinlese,
       kommt mir jemand mit etwas rundem Großen sehr nahe. Ich zucke zusammen. Vor
       mir steht ein alter Herr mit einer Lupe vor einem riesigen Auge. Er sieht
       auf mein Buch. Seine Augenbrauen sind weiß und buschig, und es ist, als
       könnte ich jede Hautschuppe darin erkennen … „Huch“, sage ich. Er guckt
       noch ein bisschen in mein Buch, und dann sagt er: „Ich bin Detektiv.“ Ich
       muss lachen und sage: „Sie meinen, wie ein Kaufhausdetektiv?“
       
       „Mein Fräulein“, sagt er da würdevoll und lässt die Lupe sinken. „Das war
       natürlich ein Scherz. Ich habe meine Lesebrille vergessen und mir nicht
       unweit von hier stattdessen diese gebrauchte Lupe gekauft. Sehen Sie, ich
       wohne im 4. Stock.“ Er zeigt auf seinen Stock. „Da waren die fünf Euro für
       diese Lupe sinnvoll angelegtes Geld.“
       
       „Ich verstehe“, sage ich. Er erwidert: „Nun sah ich Sie dort so angeregt
       lesen und dachte, ach die junge Dame ist vielleicht so alt wie meine
       Enkeltochter.“ Er sieht mich fragend an, und ich sage: „Leider weiß ich
       nicht, wie alt ihre Enkeltochter ist, aber ich vermute, sie ist jünger als
       ich.“
       
       ## „Kaufen Sie etwas mit wilden Abenteuern“
       
       Er nickt bekümmert. „Es ist sehr schwer für so junges Volk von fast 40
       Jahren [2][etwas Passendes zu lesen] zu finden.“ Ich seufze und sage: „Wem
       erzählen Sie das. Mir geht es genauso. Allerdings suche ich ein Buch für
       einen Freund.“ – „Wie alt ist Ihr Freund?“ – „52“, antworte ich. „Aber das
       ist einfach“, sagt der Herr. „Kaufen Sie ihm etwas mit wilden Abenteuern.
       Die werden in dem Alter vermisst.“
       
       „Ach ja?“, erwidere ich, und er nickt. „Mit 52 habe ich mich scheiden
       lassen, mein Auto verkauft, meine Wohnung vermietet, meine Möbel
       eingelagert und mir eine Maschine gekauft, mit der ich durch ganz Europa
       fuhr. In Spanien bin ich einfach geblieben, weil ich eine schöne Frau mit
       einer prächtigen Nase und einem weitreichenden Lachen kennengelernt habe.“
       
       Oh Gott, ist der Typ toll, denke ich und sage: „Vielleicht sollten Sie noch
       schnell ein Buch schreiben, das ich dann am nächsten Freitag verschenken
       kann.“
       
       „Ich bin dabei“, sagt er. „Wenn Sie dann so weit sind, kann ich Ihnen einen
       Lektor empfehlen. Ein Freund von mir“, sage ich und krame in meiner Tasche,
       um ihm meine Karte zu geben. Er nimmt seine Lupe und fragt „Isobel, ist das
       Spanisch?“ – „Schottisch“, sage ich, und er nickt. „In Schottland habe ich
       damals kurz in einer Whiskeydestillerie gearbeitet. Am Ende des Tages waren
       wir immer betrunken“, lacht er. „Meine Güte, waren das schöne Zeiten.“
       
       ## „Es gibt eben keine Zufälle“
       
       „Haben Sie Stift und Papier?“, fragt er sogleich. Ich krame wieder in
       meiner Tasche, und er sagt: „Schreiben Sie auf.“ Er hebt seine Lupe hoch,
       diktiert mir seinen Namen und eine Festnetznummer, dazu seine Adresse und
       sieht mir beim Schreiben zu. „Das ist ja direkt in meiner Nähe“, sage ich.
       „Ich wohne in der 12.“ – „Ach, sehen Sie“, sagt er und lächelt. „Es gibt
       eben keine Zufälle.“
       
       Dann hebt er wieder seine Lupe und fragt: „Trinken Sie Whiskey?“ – „Sehr
       selten“, sage ich. – „Wenn Sie möchten, lässt sich das ändern“, sagt er.
       „Ich lade Sie herzlich zu einer Verköstigung nur der Besten ein. Die schöne
       Spanierin macht hervorragende Tapas.“ – „Ach“, sage ich und muss lächeln.
       „Die schöne Spanierin ist ihre Frau geworden!“ Er zwinkert und sagt: „Das
       war sie schon immer. Es gibt keine Zufälle.“
       
       „Einen schönen Tag“ wünscht er mir dann. „Ich werde jetzt die Buchhändlerin
       konsultieren. Aber Sie kommen zum Whisky. Vergessen Sie das nicht!“
       
       Ich stehe da mit dem Buch und glaube, ich habe vielleicht einen neuen
       Freund kennengelernt. Und überlege, [3][ein Whisky-Buch zu kaufen]. Denn es
       gibt ja keine Zufälle.
       
       31 Jul 2023
       
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