# taz.de -- Russische Exilanten in Armenien: „Jedem Anfang wohnt Zauber inne“
> Unserem russischen Autor wurde die Einreise nach Georgien verweigert, wo
> er im Exil lebt. Jetzt muss er wieder neu beginnen: in Armenien.
(IMG) Bild: Jerewan, Armenien, aus der Vogelperspektive
Am Flughafen von Jerewan sehe ich junge russische Männer mit Blumen. Fast
sicher sind das die, die gleich nach Kriegsausbruch oder Beginn der
Teilmobilisierung das Land verlasen haben. Sie treffen sich hier mit ihren
Frauen und Müttern. Jerewan ist heute ein Ort, an dem man sich trifft.
Hierher kommen diejenigen, die in Russland geblieben sind, um diejenigen
wiederzusehen, die das Land verlassen mussten und für die eine Rückkehr
nach Russland gefährlich wäre.
„Warst Du schon im Matenadaran? Das fragt einen hier wirklich jeder. Es ist
ein Aufbewahrungsort für alte Schriften, das wichtigste Museum des Landes.
Hier kann man tausende von Dokumenten, Büchern und Miniaturen betrachten,
von mittelalterlichen Schlachten, Szenen aus dem Evangelium und blühenden
Gärten.
Das Land, das im Verlauf seiner Geschichte Kriege und Katastrophen erlebt
hat, ist seit Generationen darauf bedacht, seine Bücher, d. h. seine
Geschichte und sein Gedächtnis zu bewahren. Um etwas zu haben, auf das es
sich stützen kann.
Mein Großvater pflegte zu sagen: „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“. Ich
wiederhole diesen Satz die ganze Zeit, während ich in Jerewan lebe. Es ist,
als würde hier gerade eine Zukunft entstehen: die Hoffnungen Tausender
Ankömmlinge, neue Baustellen, neues Geld, jeden Tag neue Entdeckungen, von
Cafés bis zu Schulen. Das ganze Land versucht, sich neu zu erfinden.
Hier habe ich auch zum ersten Mal den Ausdruck „russisch-ukrainischer
Krieg“ gehört. In Russland und Georgien sagt man einfach „Krieg“. Das
erfordert keine Ergänzung. Aber hier haben sie [1][ihren eigenen Krieg, den
sie den „unbemerkten“ nennen]. Hier kann man Plakate mit der Aufschrift „We
stand with Arzach“ (Bergkarabach) sehen. Seit einigen Monaten wird der
Zugang zu dem Gebiet, auf dem Zehntausende Armenier leben, vom benachbarten
Aserbaidschan blockiert. Und die Nähe des Krieges fühlt man hier. Hier
blicken Soldaten auf den Ararat, dort kommen schwarz gekleidete alte Frauen
zu eleganten Cafébesuchern, um sie um Geld für eine Beerdigung zu bitten.
Die anstehenden Entscheidungen diesen Krieg und zu Arzach betreffend. Die
Gespräche darüber, dass das Land auf der Schwelle eines revolutionären
Bündnisses mit der Türkei stehe, die seit Jahrzehnten der Feind war.
Zehntausende vor Putin aus Russland geflohene Menschen. Tektonische
Verschiebungen und Möglichkeiten. Man wünscht sich sehr, dass Armenien es
schaffen werde.
„Uns gibt es nicht auf der Weltkarte, wir sind nur uns selber wichtig. Aber
darin liegt auch Hoffnung. Denn wir sind ein märchenhaftes Land im Wandel“,
sagte mir einer meiner armenischen Freunde. Der, von dem ich mich ins
Museum fahren ließ, um mir dort die alten Miniaturen anzuschauen.
Wenn man drei Stunden zwischen alten Handschriften verbracht hat und dann
auf die Straße kommt, die in den verschiedensten rosafarbenen
Schattierungen leuchtet – dann sind das blühende Aprikosen-, Apfel- und
Pflaumenbäume. Und man fühlt sich, als sei man selbst Teil einer Miniatur
in einem alten Buch. Und auf den nächsten Seiten sind [2][Kinder, die vor
der Diktatur geflohen sind,] Feste in den Höfen und ein Gefühl von Liebe,
das in der Luft liegt.
Wovon handelt denn dieses Buch? Davon, dass man im Leben immer wieder von
vorne beginnen kann? Davon, dass jedem Anfang ein Zauber innewohnt.
Aus dem Russischen [3][Gaby Coldewey]
Finanziert wird das Projekt von der [4][taz Panter Stiftun]g.
Der Sammelband „Krieg und Frieden. Ein Tagebuch“ ist im Verlag [5][Edition
fotoTAPETA] erschienen und kostet 10 Euro.
22 Jun 2023
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(DIR) [4] /Panter-Stiftung/Projekte/Internationale-Projekte/Osteuropa/!p5113/
(DIR) [5] https://www.edition-fototapeta.eu/
## AUTOREN
(DIR) Filipp Dzyadko
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