# taz.de -- 30 Jahre Mordanschlag in Solingen: Der lange Schatten von Solingen
       
       > Bei einer Gedenkfeier hat Bundespräsident Steinmeier der Opfer der fünf
       > rassistischen Morde von Solingen gedacht – und vor einem Rückfall
       > gewarnt.
       
 (IMG) Bild: In der Nacht zum 29. 5. 1993 brannte das Haus der Familie Genç nieder, fünf Menschen starben
       
       Berlin taz | Beim 30. Jahrestag des [1][rechtsextremen Brand- und
       Mordanschlags von Solingen] war ein Name allgegenwärtig: Mevlüde Genç.
       Keiner der Redner*innen kam aus, ohne die im vergangenen Herbst
       verstorbene Großmutter, Mutter und Tante der Opfer zu erwähnen. Mehrfach
       zitierten sie Genç mit ihren Worten: „Der Tod meiner Kinder soll uns dafür
       öffnen, Freunde zu sein.“
       
       Im Beisein ihres Ehemanns Durmuş Genç und der weiteren Opfer des
       Neonazi-Anschlags hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zusammen mit
       Regierungsmitgliedern, dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen,
       Hendrik Wüst (CDU), und dem stellvertretenden Außenminister der Türkei,
       Yasin Ekrem Serim, der Mordopfer gedacht.
       
       In der Nacht zum 29. Mai 1993 sind bei dem rassistischen Brandanschlag in
       Solingen fünf Frauen und Mädchen von Neonazis ermordet worden: Saime Genç,
       4 Jahre alt, Hülya Genç, 9 Jahre, Gülüstan Oztürk, 12 Jahre, Hatice Genç,
       18 Jahre und Gürsün Ince, 27 Jahre. Viele weitere Familienmitglieder wurden
       verletzt. Die Bilder vom verbrannten Haus der Familie gingen um die Welt
       und waren ein Schock – vor allem für viele Menschen hierzulande mit
       Migrationsgeschichte.
       
       Mevlüde und Durmuş Genç, die Anfang der siebziger Jahre nach Deutschland
       eingewandert waren, verloren zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte.
       Mevlüde Genç, die sich bis zu ihrem Tod im vergangenen Oktober für
       Aussöhnung eingesetzt hatte, sagte über die Jahre danach: „In der Nacht
       habe ich geweint. Aber am Tag habe ich meinen überlebenden Kindern ins
       Gesicht lächeln müssen, um dafür zu sorgen, dass der Hass nicht Eingang
       findet in ihre Herzen.“
       
       ## „Worte werden zu Taten“
       
       Es sind Sätze wie dieser, die dafür sorgen, dass Steinmeier und die anderen
       Redner im Theater und Konzerthaus Solingen immer wieder auf Begegnungen mit
       ihr zurückkommen. Steinmeier dankte dafür, dass er bei früheren Treffen mit
       ihr gemeinsam trauern durfte, und bedankte sich dafür, dass sie Deutschland
       nach dem Anschlag nicht den Rücken kehrten.
       
       Er mahnte aber auch an, die größeren Zusammenhänge in den Blick zu nehmen:
       „Es geht mir auch um Hoyerswerda, Saarlouis, Lichtenhagen und Mölln.“ Um im
       kollektiven Gedächtnis eingebrannte Taten wie das Oktoberfestattentat,
       Halle, Hanau und den NSU – und auch solche, über die nicht mehr gesprochen
       werde. Viel zu lange sei die Rede von Einzeltätern gewesen und nicht vom
       braunen Nährboden und dem Klima, in welchem die Anschläge gediehen, so
       Steinmeier.
       
       Der Staat müsse besonders diejenigen schützen, die ein höheres Risiko
       haben, Opfer zu werden: „Ich bin fassungslos, dass einzelne Angehörige von
       Sicherheitsbehörden sich in rechten Chatgruppen organisieren. Wehrhafte
       Demokratie heißt: Stark sein gegen die, die Hetze verbreiten.“ Worte würden
       zu Taten, so Steinmeier: „Wenn Politiker die Grenzen des Sagbaren und
       Unsagbaren verschieben, befeuern sie damit Gewalt.“
       
       Verantwortlich für die damaligen Morde waren vier Jugendliche und Männer
       zwischen 16 und 23 Jahren aus Solingen, teils aus direkter Nachbarschaft.
       Sie wurden 1995 wegen fünffachen Mordes zu Jugend- und Haftstrafen zwischen
       zehn und 15 Jahren verurteilt. Mittlerweile sind die Täter aus der Haft
       entlassen. Solingen war der traurige Höhepunkt einer Welle rechter Gewalt
       im Zuge einer auch medial rassistisch aufgeladenen Debatte ums Asylrecht,
       die eine Aushöhlung des Asylrechts nach sich zog.
       
       ## Kohl verweigerte Teilnahme an Trauerfeier
       
       Solingen geschah drei Tage nach dem sogenannten Asylkompromiss, der
       gewaltsamen Neonazis letztlich auch als Reaktion auf die Pogrome von
       Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen die Botschaft vermittelte,
       Vollstrecker eines vermeintlich gerechten Volkszorns zu sein. Der damalige
       Kanzler Helmut Kohl (CDU) kam weder zu der Trauerfeier nach dem
       rassistischen Mordanschlag von Mölln 1992 noch nach Solingen 1993 – er
       wolle nicht in „Beileidstourismus“ verfallen.
       
       Auch Bundeskanzler Scholz erinnerte am Montag an Solingen: „Ein dunkler Tag
       war das in Solingen vor 30 Jahren. Der rechtsextreme Mord an fünf Menschen
       mit türkischen Wurzeln mahnt uns, alle zu schützen, die hier leben, die
       Verbrechen zu ahnden und Opfern zu helfen.“ Kritiker:innen der
       Bundesregierung halten das für eine wenig glaubwürdige Inszenierung. Sie
       verweisen darauf, wie die Ampelregierung von Scholz erneut an den
       [2][Grundfesten des Asylrechts sägt].
       
       29 May 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /30-Jahre-Brandanschlag-Solingen/!5933624
 (DIR) [2] https://www.proasyl.de/news/erst-stirbt-das-recht-dann-der-mensch-30-jahre-nach-grundgesetzaenderung-solingen/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gareth Joswig
       
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