# taz.de -- US-Songwriterin Rickie Lee Jones: Manierismen und all that Jazz
       
       > Die Frau mit dem Barett: US-Singer-Songwriterin Rickie Lee Jones
       > veröffentlicht das Album „Pieces of Treasure“. Würdigung einer großen
       > Künstlerin.
       
 (IMG) Bild: Nur mit Barett: Rickie Lee Jones
       
       Denkt man heute an die Musik des Jahres 1979 zurück, so fallen einem
       entweder Disco-Hits ein oder Songs der beginnenden New-Wave-Ära, also etwas
       von Donna Summer oder Blondie; XTC machen Pläne für Nigel und Video killt
       den Radio Star. Und, ja, mit „Rapper’s Delight“ beginnt die Ära von Rap und
       HipHop. Gleißende Zukunftsmusik. So viel Optimismus. Man konnte die
       Achtziger kaum erwarten. Pop Muzik.
       
       Dabei war es unmöglich, sich eine Jeans kaufen, ohne dass einem Dire
       Straits die Hose zuknopflerten. Das nannte man Mainstream und gegen solche
       Eagles schien kein Rattengift gewachsen. Auftritt einer Mittzwanzigerin,
       irgendwo zwischen Absteige und Obdachlosenasyl beheimatet, jedenfalls mit
       einem Barett auf dem Kopf, einer Frau, die sich zu alt findet für Punk, wie
       sie sich später erinnern wird, jedenfalls nicht zugehörig, wenn Henry
       Rollins mit seiner schwarzen Anarchoflagge wedelt.
       
       Obwohl bald US-Punkpioniere wie [1][DJ Bonebrake] und Mike Watt im
       Kleingedruckten ihrer Alben auftauchen würden; neben Jazz-Größen wie Joe
       Henderson und Tom Scott, Gitarrengottheiten wie Bill Frisell und Leo
       Kottke, Popstars wie Donald Fagen und [2][Walter Becker]. Und wenn hier die
       Namen so weitertröpfeln, ist die taz voll und ich habe noch nicht einmal
       erwähnt, von wem die Rede ist: von Rickie Lee Jones nämlich, und ihrem
       neuen Album „Pieces of Treasure“, das jetzt nicht ganz so toll geraten
       ist, aber dann doch.
       
       ## Chuck E.'s in Love
       
       Rickie Lee Jones debütierte 1979 mit einem selbst betitelten Album beim
       Major Label Warner Bros., verkaufte mehr als eine Million Einheiten und
       errang so Platin-Status, als das noch etwas zu bedeuten hatte, landete mit
       „Chuck E.’s in Love“ einen ersten Welthit, der sie auf das Cover des
       Rolling Stone hievte, und keiner kann sagen, warum dieser Fake-Jazz von
       Rickie Lee Jones mitsamt Beatnik-Texten und einer Prise Selbstzerstörung
       irgendjemandes Nerv getroffen hat.
       
       Joni Mitchell war radikaler, Tom Waits ebenfalls, aber Jones’ Barett war
       vermutlich gar keine Kopfbedeckung, sondern nur eine platt gequetschte
       Gauß’sche Glockenkurve. Und das Zipfelchen, das oben herausragt, bezeichnet
       einfach den kleinsten gemeinsamen Nenner von Pop in jenen Tagen. So wie
       ihre Biografie kaum typischer sein konnte, wenn sich einer einen Popstar
       malen sollte: Elternhaus zerrüttet, aber musikalisch vorbelastet.
       
       Viele Geschwister, wo es nicht auffällt, wenn man schließlich mit 15
       Reißaus nimmt. Auftritte in Spelunken für ein warmes Bier und einen kalten
       Burger. Und schließlich wird die Zeit in der harten Schule des Lebens damit
       belohnt, dass zwei hippe Musikmanager wie Lenny Waronker und Russ Titelman
       die Künstlerin in ihrer ganzen Genialität erkennen, die halbe
       Westcoast-Studio-Elite und einen [3][Dr. John] zusammentrommeln: Auf dass
       Coolsville einen neuen Superstar bekommt, ein bisschen ramponiert an den
       Ecken, etwas arg in Alkohol eingelegt, aber dadurch auch furchtbar
       authentisch.
       
       ## Hochnasige Jazzwelt
       
       Nicht nur Chuck E. hat sich verliebt, die ganze Welt scheint Rickie Lee
       Jones fortan huldigen zu wollen. Nun, nicht die ganze Welt. Die Jazzwelt
       schien der immer noch jungen, immer noch weißen, immer noch mit dem
       falschen Stallgeruch behafteten Frau Gram zu sein ob der Anmaßung, ein
       Vermögen zu verdienen, ständig im Radio gespielt zu werden, bejubelt,
       obwohl oder eben weil sie nicht jeden Ton traf.
       
       Ach, der Jazz. Jones’ zweites Album „Pirates“ war überproduzierter
       Weltraumschlock und trotzdem sagenhaft erfolgreich, also nahm sich Rickie
       Lee Jones pflichtgemäß eine Krise und mit der wirren 10-Inch „Girl at her
       Volcano“ legte sie ein erkennbar aus Studioresten und disparaten
       Live-Aufnahmen zusammengespleißtes Werk vor.
       
       Dessen Musik sollte wohl beweisen, dass die herben Kritiken aus dem
       Jazz-Lager unrecht hatten; dass sie sehr wohl zerbrechlich, sensibel und
       menschlich, ach so menschlich sein konnte, also bereit, jedes
       Drecksklischee dieses langsam vor sich hinrottenden Genres zu erfüllen, das
       seit Jahrzehnten so tat, als kehrte der Musiker Abend für Abend erneut sein
       Innerstes nach außen, immer auf der Suche nach Untiefen seiner genialischen
       Seele, in die noch keiner vor ihm oder ihr getappt ist.
       
       ## Late Night Rootsy Muzac
       
       Und obwohl Rickie Lee Jones gerade durch die sich ihrer Kommerzialität voll
       bewussten Studiomusiker-Clique aus Los Angeles gewappnet hätte sein können
       oder müssen gegen diese Authentizitätsattacken, hat sie in späteren
       Interviews offengelegt, wie sehr sie die Missachtung durch Kritikergrößen
       und Jazz-Kollegen getroffen, sie schließlich außer Landes und noch tiefer
       hinein in die Flasche getrieben hat. Dabei ist ein Anwurf wie „late night
       rootsy muzac for a middle-aged crowd“ eigentlich das höchstmögliche Lob.
       
       Und dass dieses Trauma bis heute nicht überwunden zu sein scheint, bringt
       mich zu „Pieces of Treasure“, zu alten Schlachtrössern der Emotionalität
       wie „All the Way“ und „September Song“, die hier eben wieder die völlig
       überflüssige Beweisführung befördern sollen, Rickie Lee Jones könne „Jazz“.
       Dabei singt sie selbst an einer Stelle, es wäre vielleicht klüger, die
       abgestanden Phrasen zu lassen und …
       
       Was zeichnet die großen Jones-Momente quer durch all die Alben und Bootlegs
       und Stilrichtungen aus? Vielleicht: Sich kieksend und tastend, immer ein
       gutes Stück hinter dem Beat in ein fremdes Leben hineinzufühlen, an manchen
       Stellen mit der Glaubwürdigkeit einer Folksängerin aus den Appalachen über
       Nachtclubmelodien zu gurren, dass Weltenende und Liebesverlust ein und
       dasselbe seien.
       
       ## Die Nacktheit vieler Arrangements
       
       Dazu die Nacktheit vieler Arrangements, zum Extrem, ja, [4][zur
       Selbstparodie getrieben von Ben Harper auf dem Album „The Devil You Know“]?
       Sie scheinen ihr auf vielen Alben ein probates Mittel, sich auszudrücken,
       können aber, wenn die ausgewählten Songs zu testosterongesteuert sind, wie
       „Sympathy for the Devil“ oder das Teufelszeug von Blind Willie Johnson,
       auch komplett in die Sackgasse eines schwer erträglichen Manierismus
       führen.
       
       Also dann doch die großflächig hinbetonierten Musikparkplätze eines
       Klang-Suburbia à la „Pirates“? Oder eben die Songs aus fremder Feder? Von
       der großen, nicht einmal von Bryan Ferry oder Bob Dylan erreichten Anzahl
       von Coverversionen, die sie uns in Albumform hat zukommen lassen, erreichen
       nur wenige das Format eines von Rickie Lee Jones selbst komponierten Songs.
       
       Einzig das Album „Pop Pop“, eingespielt mit [5][Charlie Haden], produziert
       von David Was, löst alles ein, was die diamantene Klarheit der ausgewählten
       Coverversionen verspricht: höchste Dichte, größte Konzentriertheit. Als das
       Album mehr oder weniger floppte, flüchtete die ewig Scheiternde zurück in
       die für das Geffen-Label so typische Allerweltsmusik, um sich schließlich
       erneut zu häuten und zu wandeln in eine Musik hinein, die man damals, also
       um die Jahrtausendwende, TripHop nannte. Eine Zuschreibung, ebenso falsch
       wie jene, Rickie Lee Jones würde Jazz spielen.
       
       ## Zeitlose vier Minuten
       
       Rickie Lee Jones kann am besten Rickie Lee Jones: schwierig sein,
       unentschlossen sein, kreuzunglücklich mit dem Ergebnis einer Studiosession.
       Um dann wieder und unverdrossen zeitlose vier Minuten Irgendwas
       hinzutupfen. Ach so, ja, der so genannte TripHop und [6][der verflixte
       Jazz]: Ihr Album „The Evening of my Best Day“, heuer 20 Jahre alt, ist von
       all den schwer zu zählenden Alben dieser Rickie Lee Jones das für mich
       beste. Das muss, denke ich, der Zugang sein: für mich. Manche Menschen
       entwickeln multiple Persönlichkeiten.
       
       Rickie Lee Jones entwickelt multiple Zuhörer. „The Evening of my Best Day“
       und, etwas schwächer, der Vorgänger „Ghostyhead“ legen Klangflächen an, die
       es Jones ermöglichen, ihre verzögerte Art der Intonation mit derselben
       Effektivität anzuwenden wie bei Jazz-Standards, weswegen reine Popsongs
       immer ihre größte Schwäche waren. Ihre Texte auf „The Evening …“ sind –
       wieder: für mich – die besten, intimsten und doch allgemeingültigsten ihrer
       Karriere. Ihre Manierismen sind zurückgenommen, aber als Möglichkeit
       ständig präsent.
       
       Vertrauen Sie sich dieser Frau an. Sie hat etwas für Sie parat, es muss
       nicht immer das neueste Modell sein.
       
       27 Apr 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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