# taz.de -- Eis-Universität in Italien: Dolce Vita an der Uni
       
       > Die Carpigiani Gelato University bei Bologna bildet seit 20 Jahren
       > angehende Eismacher:innen aus. Ein Besuch auf dem süßesten Campus
       > Italiens.
       
 (IMG) Bild: Dingelingeling – da kommt der Eis-wa-gen! Und zwar mit Softeis-Maschine an Bord in Bologna 1958
       
       Tal Krause kommt aus dem Hörsaal der [1][Carpigiani Gelato University]
       (CGU), die im Industriegebiet von Anzola dell'Emilia liegt, einem Städtchen
       unweit von Bologna. Auf dem Whiteboard steht noch das Thema der soeben
       beendeten Stunde: „Hazelnut gelato“. Eine Theoriestunde, darüber, wie die
       Haselnuss sein muss, damit sie im Eis ihren Geschmack und Geruch am besten
       entfaltet.
       
       Direkt vor dem Hörsaal liegt die Lehrküche, wo die Umsetzung in die Praxis
       geprobt wird, in der es gerade nach Mango und Maracuja duftet und noch
       etwas selbstgemachtes Eis aus der letzten Praxisstunde in der Tiefkühle
       ist.
       
       Natürlich ist jetzt Zeit für ein Pauseneis – Ehrensache. Krause löffelt ein
       Mascarponeeis; es ist seine Lieblingssorte. Nach der Ausbildung möchte der
       gebürtige Heidelberger eine eigene Eisdiele in New York eröffnen, wo er
       eigentlich als Unternehmensberater arbeitet, und dort neue Sorten mit
       Gewürzen aus aller Welt kreieren. Aber auch Wassermeloneneis möchte er
       machen, das so gut schmeckt wie in dieser einen Eisdiele in Rom, an die er
       immer noch zurückdenkt.
       
       Er und seine Mitschüler:innen aus aller Welt sind nach Anzola
       dell’Emilia gekommen, um an der privaten Uni das Eismachen zu erlernen. Der
       Ort liegt in der fruchtbaren Poebene, in der neben Reis, Getreide und
       Gemüse auch die Vorzeigemarken des „Made in Italy“ heimisch sind:
       Parmigiano Reggiano, Lamborghini, Ferrari. Aber auch kleinere
       Nischenunternehmen wie – zukünftige Gelatieri aufgepasst – etwa Carpigiani,
       das 1946 in Bologna gegründete Unternehmen von Speiseeismaschinen.
       
       Heute verkauft Carpigiani in 110 Ländern weltweit; die Maschinen stehen in
       mehr als 200.000 Eisdielen, Bars und Restaurants auf der ganzen Welt.
       
       ## Eis machen lernen in vier Sprachen
       
       Zwanzig Jahre ist es her, als bei Carpigiani die Idee entstand, hier auch
       eine Eis-Universität zu eröffnen. „Wir wollten der Wissenschaft des
       Eismachens eine gewisse Struktur geben“, erklärt Kaori Ito, Direktorin der
       Carpigiani Gelato University, die argentinisch-japanischer Herkunft ist.
       „Beim Eismachen handelt es sich um eine handwerkliche Tätigkeit, die in
       Familien und von Kleinunternehmern ausgeführt wird. Das Wissen wird von
       Vater zu Sohn, von Generation zu Generation weitergegeben.“
       
       Also versammelte Carpigiani einige der Maestri des Speiseeises in Anzola
       dell’Emilia und begann, in Kursen die Kunst des Eismachens zu vermitteln.
       Vor 20 Jahren war dies eine Neuheit, heute bieten verschiedene Strukturen
       eine Ausbildung zum Gelatiere an. Aber Carpigiani ist eine der wenigen, die
       nicht nur auf Italienisch, sondern auch auf Englisch, Französisch und
       Spanisch unterrichten.
       
       Zu den Kursen an der CGU kommen Menschen aus der ganzen Welt. Zu
       beschreiben, wer sie sind, was sie alle gemeinsam haben, fällt Ito und
       ihrem Kollegen Edoardo Zucchini deshalb schwer. Sie erklärt: „Manche von
       ihnen arbeiten bereits in der Gastronomie, haben vielleicht schon ein
       Familienrestaurant. Andere haben einen komplett anderen beruflichen
       Hintergrund und möchten ihr Leben verändern. Was sie alle eint, ist die
       Leidenschaft für gutes Eis.“
       
       Das gilt auch für Krause und seine Mitschüler:innen. Sie sind im
       Fortgeschrittenenkurs, dem letzten des dreistufigen Modells nach Grund- und
       Aufbaukurs. Bei der Zutatenkunde fängt alles an, dann geht es über
       Zubereitungsmethoden und Hygieneregeln weiter zu Eisvarianten wie Sorbet
       und Frozen Yoghurt bis hin zu laktose- und zuckerfreiem Eis.
       
       Die morgendlichen Theorielektionen werden am Nachmittag in der Lehrküche
       praktisch umgesetzt. So kann man in nur drei Wochen die Grundlagen der
       Eismacherzunft lernen. 4.000 Euro kostet es, sich das Handwerk anzueignen.
       „Der Anfang ist schnell gemacht, und danach vertieft man die Kenntnisse ein
       Leben lang“, sagt Ito.
       
       Pro Jahr bilden sich hier 6.000 Menschen weiter. Deutschland ist ein
       wichtiges Land für die Gelato University, denn es ist der zweitgrößte Markt
       für Eismanufakturen. „Weltweit gibt es etwa 100.000 solcher Eisdielen.
       Davon sind 30.000 in Italien, etwa 30 Prozent des Weltmarktes! Der
       zweitgrößte Markt ist Deutschland mit etwa 9.000 Eisdielen“, sagt Kaori
       Ito, die Direktorin.
       
       Ein Grund dafür ist sicherlich die enge Verbindung zwischen Deutschland und
       Italien. Mit den Gastarbeiter:innen, die nach dem Zweiten Weltkrieg nach
       Deutschland kamen, hielt auch die italienische Lebensart hierzulande
       Einzug. Besonders viele Eismacher:innen kommen aus dem Zoldo-Tal in den
       Dolomiten, in dem schon im 19. Jahrhundert Speiseeis hergestellt wurde. Mit
       ihren Eiskarren gingen die gelatieri zoldani auf Wanderschaft, eröffneten
       auch in Deutschland erste Eiscafés. Viele tragen den klingenden Namen
       „Eiscafé Venezia“ – eine Hommage nicht etwa an Venedig, sondern an das
       Veneto, die Heimatregion der Eismacher:innen aus dem Zoldo-Tal.
       
       ## Der neueste alte Schrei: Softeis
       
       Während manche dieser Eisdielen noch den Charme vergangener Jahrzehnte
       versprühen, folgen andere stets den aktuellen Ernährungstrends. Ito nennt
       sie die „ohne“-Trends. Also ohne Kuhmilch, ohne Zuckerzusatz, ohne
       tierische Produkte. Außerdem entdecken immer mehr Restaurants Speiseeis
       wieder. Natürlich in einer neuen Form, beispielsweise in elegante Türmchen
       gespritzt oder in Geschmacksrichtungen, die Süßes, Fruchtiges und
       Herzhaftes miteinander verbinden.
       
       Ein besonderer Trend, so Ito, ist hochwertiges Softeis – „Premium Soft“
       nennt sie es. „Wir assoziieren Softeis oft mit Fast-Food-Ketten, mit Eis
       für 85 Cent pro Portion. Jetzt erleben wir ein Comeback von Gourmet-Softeis
       in hoher Qualität und mit sorgfältig kurierter Ästhetik.“ Denn das
       Besondere an Softeis: Wegen seiner weicheren Konsistenz kann es in viele
       verschiedene Formen gebracht werden – die unterschiedlichen Ausgabetüllen
       an der Softeismaschine erlauben künstlerische Dekorationen und hochelegante
       Eistüten.
       
       Ist dieses Übermaß an Ästhetik, die perfekt gezwirbelte und makellose Creme
       nicht genau das Problem an Softeis? Und dann noch diese Erinnerung, die
       jedes Softeis essende Kind machte und nicht vergessen hat, dass es nämlich
       süß und künstlich schmeckt?
       
       Die elegante, zweifarbige Eistüte, die CGU-Dozent Andrea De Bellis in einer
       der Lehrküchen der Gelato University reicht, soll vom Gegenteil überzeugen
       und tut es auch. Auf der schlanken Waffel sitzt eine Rose aus
       himbeerfarbenem Softeis, gekrönt von einem elegant aufsteigenden
       cremefarbenen Eiswirbel aus der typisch italienischen Vanillecreme mit Ei
       und Zitronenschale. Und wirklich, das Crema-Eis schmeckt milchig und
       zitronig und nicht künstlich, die Himbeere ist leicht säuerlich und frisch.
       
       Beim Öffnen der Softeismaschine, in der die flüssige Himbeermasse
       verarbeitet wird, steigt der Geruch von Himbeeren auf – echten Himbeeren.
       Sie sind die Hauptzutat.
       
       Dank der internationalen Studierenden an der CGU fällt der Blick auch auf
       die Eis-Vorlieben in aller Welt. „In Japan gibt es gerade den Trend, erst
       mit Freunden etwas trinken zu gehen und zum Abschluss des Abends ein Eis zu
       essen. Es gibt Eisdielen-Cocktailbars, die sich darauf spezialisiert
       haben“, sagt Ito. Manchmal erlaube die Zusammensetzung der Gelato-Klassen
       sogar vorherzusagen, in welchen Ländern Eis als nächstes boomen wird.
       „Bevor die Märkte in Australien und Polen gewachsen sind, haben wir
       gemerkt, dass sich besonders viele Personen aus diesen Ländern bei uns
       eingeschrieben haben“, sagt Ito, „und jetzt gerade kommen immer mehr
       Schüler aus südostasiatischen Ländern.“
       
       Eigentlich ist Anzola dell'Emilia ein ruhiges Städtchen mit 12.000
       Einwohner:innen. Der Bus aus Bologna kommt zwei Mal in der Stunde vorbei.
       Dank der Studierenden jedoch geht es im beschaulichen Ort international zu.
       In der Gelato University begegnet man angehenden Eismacher:innen aus
       Thailand und der Schweiz, einer Schulklasse aus einer belgischen
       Konditoreischule auf Klassenfahrt, und der Direktorin, die Argentinien und
       Japan mit Europa verbindet.
       
       Sie erzählt von einem neuen Kurs, „Gelato and Tea“, den die CGU gemeinsam
       mit der UK Tea Academy ins Leben gerufen hat. „Mit Kursen wie diesem
       versuchen wir, die Branche ein wenig zu inspirieren und über die bekannten
       Pfade hinauszugehen. Wir möchten Innovation in unserer Branche
       vorantreiben“, sagt Ito.
       
       Die Studierenden aus dem Fortgeschrittenenkurs, deren Unterrichtspause
       gleich zu Ende ist, haben jedenfalls schon recht klare Ideen, welche Art
       Gelato sie in Zukunft herstellen möchten. „Ich möchte Eis mit den
       besonderen Zutaten aus meiner Region machen“, sagt die Schweizerin Sandra
       Anliker, die gemeinsam mit ihrem Bekannten Peter Limacher aus Luzern
       gekommen ist, um die Kunst des Eismachens zu lernen.
       
       ## Eis im Sommer, Käse im Winter
       
       Er ist eigentlich Käser, sie wiederum stellt handgemachte Seifen her. Aber
       in der Sommerhitze auf den Märkten läuft der Käse nicht besonders. Deshalb
       wollen die beiden nun Eis aus der eigenen Milch herstellen, und zwar ganz
       besondere Sorten. „Rahmtäfeli glacé“ möchte Anliker verkaufen, also Eis mit
       dem Geschmack von Schweizer Rahmkaramellbonbons. Oder mit Apfelmus, „einer
       Schweizer Spezialität!“, sagt sie mit Begeisterung.
       
       „Wenn wir Eis essen, suchen wir letztlich eine schöne Erinnerung aus
       unserer Kindheit“, sagt Ito. Ihre Lieblingssorten sind Grüner Tee und Dulce
       de Leche – eine Hommage an die beiden Länder, die sie kulturell prägten.
       Ihr Kollege Zucchini hingegen liebt Zabaione-Eis: „Hier in der Region
       verwenden wir viel Ei. Deshalb mag ich so gern Zabaione, schon als Kind
       durfte ich es ab und zu essen, trotz des Alkoholgehalts.“
       
       Was Ito hingegen niemals essen würde? „Ein Eis, das so hoch gestapelt ist“,
       sagt sie und misst mit den Händen einen imaginären Haufen mit dutzenden
       Eiskugeln ab. „Bei solchen Eisdielen sieht man schon von weitem, dass es
       sich nicht um gute Qualität handelt.“ Zucchini fügt hinzu: „Oder auch Eis
       in zu grellen Farben. Da sind Farb- und Zusatzstoffe drin. Wenn es nicht
       nach Qualität aussieht, möchte ich es nicht probieren.“
       
       Er empfiehlt, bei der Eisdielenwahl auf saisonal wechselnde Eissorten zu
       achten. „Wenn eine Gelateria rund ums Jahr Erdbeereis anbietet, weiß man,
       dass sie nicht immer frische Zutaten benutzen.“ Wenn Eissorten hingegen
       immer wieder wechseln und auch mal ausgehen, sieht er das als gutes
       Zeichen. Das bedeutet nämlich, dass das Eis vor Ort in kleinen Mengen von
       professionellen Eismacher:innen frisch zubereitet wird – vielleicht
       sogar von Alumni der Gelato University.
       
       7 May 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.gelatouniversity.com/it/home
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Judith Eisinger
       
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