# taz.de -- Mafia-Serie bei Disney +: Flucht ohne Happy End
       
       > Die Serie „The Good Mothers“ revolutioniert die Darstellung der Mafia in
       > Italien mit brutalem Realismus und fantastischen Schauspielerinnen.
       
 (IMG) Bild: Die Protagonistinnen der sechsteiligen Mafia-Serie
       
       Wenn von drei Menschen, die in für sie aussichtsloser Lage den Staat um
       Schutz ersuchen, eine ermordet wird, die zweite Suizid begeht und die
       dritte später sagt, so schlimm sei das alles ja gar nicht gewesen: Was sagt
       das dann aus über diese Personen, über den Staat, über die Lage?
       
       Die gar nicht genug zu preisende Mafia-Serie „The Good Mothers“ (bei
       Disney+) gibt Antworten auf all diese Fragen: Die Frauen, die sich und ihre
       Kinder aus dem faschistoiden Clansystem der kalabrischen Organisierten
       Kriminalität mit Namen ’Ndrangheta zu retten versuchen, sind Individuen –
       mal bewundernswert stark und lebensklug, mal so schwach, wankelmütig und
       dumm, dass in den Bildschirm zu greifen und sie fest zu rütteln eine große
       Versuchung wäre, wenn die Verkörperung einen nicht so bannen würde, dass
       schon weiter hinzuschauen, welches Drama sich hier abspielt, in vielen
       Szenen zu einer echten Herausforderung wird.
       
       Noch nie sind meiner Kenntnis nach die Tristesse eines [1][zentralen Ortes
       der ’Ndrangheta] wie dem in der Ebene von Gioia Tauro gelegenen Rosarno,
       die Geducktheit der Menschen und die Brutalität, der Hass auf die Frauen
       und der Rassismus des mafiösen Milieus so eindrücklich und realistisch
       dargestellt worden.
       
       Dass der italienische Staat mit seiner Justiz und Polizei diesem System
       immer nur Nadelstiche versetzt, weil er nicht nachhaltig und auf Augenhöhe
       das gesellschaftliche Problem „Mafia“ bekämpft, sondern einer Notfalllogik
       folgend von oben, als bürokratische, von Karriere- und Hierarchielogik
       bestimmte Organisation agiert – das führt mit zu dem anfangs angeführten
       Ergebnis: Der Mut der drei Frauen schafft in den Annalen des Apparates zu
       verzeichnende Erfolge, aber zwei von ihnen er- und überleben diese Erfolge
       nicht.
       
       ## Großes Kunstwek
       
       Die dritte, Giuseppina Pesce, ließ gerade anlässlich des
       Ausstrahlungsstarts der Serie über ihre Anwältin erklären, ihr Vater, der
       ’Ndrangehta-Boss Salvatore Pesce, sei mitnichten der dargestellte Unhold,
       sondern ganz im Gegenteil „immer liebevoll zu seiner Tochter“ gewesen. Wie
       groß muss der Druck auf Giuseppina Pesce sein, obwohl sie vom Staat als
       Zeugin geschützt wird, und wie zerreißend die Widersprüche ihrer Existenz,
       dass sie einen 2021 in letzter Instanz zu 20 Jahren Haft verurteilten
       Kriminellen immer noch verteidigen zu müssen glaubt?
       
       „The Good Mothers“ ist ein großes Kunstwerk. Was die Schauspielerinnen
       Valentina Bellè als Giuseppina Pesce, Micaela Ramazzotti [2][als Lea
       Garofalo], Gaia Girace als ihre Tochter Denise und Simona Distefano als
       Concetta Cacciola leisten, ist ein Geschenk, das mit dem sonst im – nicht
       nur – Streaming-Business Abgelieferten überhaupt nicht zu vergleichen ist,
       die drei spielen in einer anderen Liga der Intensität, der soziologischen
       Recherche der Körpersprache.
       
       Sie alle sind gute Mütter, was sie aber eben auch genau zerreißt. Sie sind
       sich nicht immer sicher, was für ihre Kinder das Beste ist – das aber
       wollen sie unbedingt. Lea Garofalo wurde 2009 von ihrem Ex-Mann, einem
       Mafioso, ermordet. Sie traf sich mit ihm, weil sie der Tochter den Vater
       nicht vorenthalten wollte.
       
       ## Kämpfe und Widersprüche
       
       Auch bei den authentischen Fällen von Giuseppina Pesce und Concetta
       Cacciola üben die kriminellen Familien – und weiß Gott nicht nur die Männer
       – jeden erdenklichen Druck auf die Mütter und die Kinder aus, unter
       Beschwörung heiliger Werte, mit dem einzigen Ziel, die Zusammenarbeit der
       Frauen mit den Justizbehörden zu unterbinden.
       
       Für Barbara Chichiarelli in ihrer Rolle als toughe Staatsanwältin Anna
       Colace ist es unmöglich, die gleiche emotionale Bandbreite zu entwickeln
       wie ihre Kolleginnen mit ihren zwischen Liebe, Terror und Loyalitätswahn
       zerrissenen Biografien. Wenn sie sich zum dritten Mal die müden Augen
       reibt, ist klar, dass sie viel, oft zu viel auf sich geladen hat. Und doch
       zeigt die Serie zumindest ansatzweise die internen Kämpfe und Widersprüche
       eines Justizapparats, der sich mitten in Europa mit einer
       schwerbewaffneten, skrupellosen und über unbegrenzte Finanzmittel
       verfügenden Bande von Soziopathen auseinandersetzen muss.
       
       Sich diesem in Teilen durchaus abstoßenden Apparat in einer Serie zu widmen
       wäre ebenso verdienstvoll, wie der Geschichte des
       [3][zivilgesellschaftlichen Anti-Mafia-Widerstands] nachzugehen; aber
       natürlich nur dann, wenn es in der gleichen grandiosen Weise gelänge, wie
       das bei „The Good Mothers“ der Fall ist.
       
       17 Apr 2023
       
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