# taz.de -- NS-Vergangenheit des Baukonzerns Matthäi: Werder-Sponsor ließ zwangsarbeiten
       
       > Ein Historiker weist dem Baukonzern Matthäi nach, stärker vom NS-Staat
       > profitiert zu haben als zugegeben. Das Unternehmen zeigt sich „sehr
       > dankbar“.
       
 (IMG) Bild: Pseudogermanische Kultstätte, von der Firma Matthäi errichtet: Der Sachsenhain in Verden
       
       Bremen taz | Werder Bremens neuer Hauptsponsor Matthäi war doch tiefer in
       das NS-Regime verstrickt als bisher bekannt. Das ist das Ergebnis
       intensiver Forschungen des Verdener Regionalhistorikers Joachim Woock.
       
       Das 1933 gegründete [1][Verdener Bauunternehmen], das heute rund 3.000
       Mitarbeiter:innen beschäftigt und im vergangenen Jahr 815 Millionen
       Euro umsetzte, geht mittlerweile offen mit diesen Erkenntnissen um. Auch
       für die Firma seien sie neu, man sei aber „sehr dankbar“ darüber und wolle
       die eigene Geschichte nun „weiter aufarbeiten“, heißt es auf Nachfrage der
       taz aus der Firmenzentrale.
       
       Das war nicht immer so. Zwar bekennt sich der Konzern zu der Verantwortung
       dafür, „[2][das nationalsozialistische Regime unterstützt und davon
       wirtschaftlich profitiert zu haben]“. Diese Verantwortung werde man „nicht
       vergessen“, heißt es in einer Erklärung: „Totalitarismus, Rassismus, Hass
       und Ausgrenzung treten wir offen entgegen.“ [3][Woocks Forschungen] indes
       hat Matthäi sehr lange nicht unterstützt. Sondern ignoriert.
       
       Über drei Jahre hinweg wandte sich Woock immer wieder an die Firma, sechs
       Schreiben aus den Jahren 2018 bis 2021 sind dokumentiert. Immer geht es
       darin um Zwangsarbeiter, um französische und später auch sowjetische
       Kriegsgefangene, die für Matthäi arbeiten mussten, um einen Zugang zum
       Firmenarchiv. Nie in all den Jahren bekam Woock darauf eine Antwort.
       
       ## 40 sowjetische Kriegsgefangene starben
       
       Er beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit Zwangsarbeit während des
       Zweiten Weltkriegs in der Region Verden, [4][2004 wurde er an der Uni
       Hannover mit einer einschlägigen Arbeit promoviert]. Er hat zwei
       Fachaufsätze im [5][Jahrbuch für den Landkreis Verden] veröffentlicht, die
       Matthäis NS-Vergangenheit näher beleuchten.
       
       Im ersten geht es um die Dörverdener Baustelle der Schießpulverfabrik
       Eibia, eine Tochtergesellschaft der Firma Wolff aus Walsrode, deren
       Großaktionär wiederum die I.G. Farben AG war. Bis zu 300 sowjetische
       Kriegsgefangene mussten für Eibia schuften, mindestens 40 Männer
       verstarben. Etwa 30 Leichen wurden vor dem Lagergebäude des
       Arbeitskommandos auf einem neu angelegten „Russenfriedhof“ anonym
       verscharrt. Nach dem Krieg wurden die Opfer von einer britischen
       Spezialeinheit exhumiert und umgebettet.
       
       Die Kriegsgefangenen arbeiteten Woock zufolge aber nicht nur für die
       Rüstungsfabrik – sondern auch für Subunternehmer. Ein Stunden-/Wochenzettel
       von 1943 belegt, dass das Straßen- und Tiefbauunternehmen Hermann Matthäi,
       wie es damals noch hieß, 20 sowjetische Kriegsgefangene beschäftigte. Pro
       Wochentag mussten sie neun, am Samstag viereinhalb Stunden arbeiten. 16
       Männer konnte Woock namentlich ermitteln, zwei von ihnen überlebten den
       Krieg nicht.
       
       Zeitzeug:innen berichteten, dass die Kriegsgefangenen „Blätter, Blüten
       und Rinde von Bäumen und Sträuchern aßen, um ihren Hunger zu stillen“. Das
       Mittagessen bestand nur aus einer dünnen Kohlsuppe. Woock zitiert aber auch
       einen Zeitzeugen, der wiederum von einem Bauern erzählt, seinem
       Schwiegervater: Dessen Pferdegespann mit frisch geernteten Kartoffeln wurde
       1942 von „abgerissenen Gestalten aus dem Wald“ überfallen, „die sich die
       Taschen mit Kartoffeln vollstopften“. Der Bauer „ließ sie gewähren“, als er
       erkannte, dass es sowjetische Zwangsarbeiter waren, die große Not litten.
       
       Auch in den Bau der Weser-Staustufe in Cluvenhagen war die Firma Matthäi
       involviert, und zwar im Lager des Neubauamtes für die Weserkorrektur. Für
       die Baustelle gab es eine Schlafbaracke für 75 und eine Wirtschaftsbaracke
       für 150 Mann – der Auftrag, das Gelände nahe des Etelser Bahnhofs für das
       Lager herzurichten, ging 1937 an Matthäi. 1940 hatte das Neubauamt der
       Firma dann im Zuge der Baumaßnahmen an der Weser 110 französische
       Kriegsgefangene aus einem Lager in Nienburg zugeteilt.
       
       Matthäi war vor 90 Jahren von den Brüdern Hermann und Rudolf Matthäi
       gegründet worden. Ersterer fiel 1945, sein Bruder Rudolf, der wohl Mitglied
       in der NSDAP war, führte die Firma alleine weiter. Hermann Matthäi
       wiederum, so berichteten die Verdener Neuesten Nachrichten 1933,
       kandidierte bei der Bürgervorsteher-Wahl in jenem Jahr auf der „Nationalen
       Bürgerliste“ und schloss sich dann der NSDAP-Fraktion an.
       
       Schon im selben Jahr – das war schon bisher bekannt gewesen – gab es für
       Matthäi einen Bauauftrag von der NS-Führung, und zwar vom „Reichsführer SS“
       Heinrich Himmler. Es ging dabei um den sogenannten „[6][Sachsenhain]“,
       einer von der faschistischen Ideologie geprägten Gedenkstätte für die
       angeblich beim „Blutgericht von Verden“ von Karl dem Großen hingerichteten
       Sachsen. Dafür wurden 4.500 Findlinge ausgegraben und für den Bau dieser
       Stätte verwendet.
       
       ## Persönliche Entschuldigung
       
       Nachdem Woock von Matthäi nie Antworten auf all seine Anfragen bekommen
       hatte, wandte er sich an Karin Matthäi, Namensgeberin der „[7][Gerhard und
       Karin Matthäi Stiftung]“, die sich für die Bildung von Jugendlichen
       engagiert. Gerhard Matthäi war der Sohn des Firmengründers Rudolf, unter
       seiner Führung wuchs das Unternehmen zu seiner heutigen Größe. Karin
       Matthäi „fühlte sich von der Angelegenheit überfordert“, berichtet Woock.
       
       Mittlerweile hat sich ein Sprecher der Firma aber bei Woock persönlich
       entschuldigt – und ihm sogleich angeboten, die Firmenchronik zu schreiben.
       Er habe „unter Vorbehalt zugesagt“, sagt Woock – ihm sei versprochen
       worden, dass seine Arbeit unzensiert bleiben werde. „Wir haben ein
       Interesse, Klarheit zu bekommen“, heißt es bei Matthäi.
       
       ## Das Firmenarchiv ging weitgehend verloren
       
       Bei der weiteren Aufarbeitung der NS-Vergangenheit der Firma müsse man sich
       aber „stark auf externe Archive konzentrieren“, da die eigenen zu großen
       Teilen beim Abriss eines Lagers verloren gegangen seien. Woock hat das
       Firmenarchiv mittlerweile gesichtet – viel mehr als ein Karteikasten aus
       der Nachkriegszeit sei da nicht mehr übrig. „Da steht viel Archivarbeit
       an“, sagt Woock.
       
       Auch eine „angemessene Reaktion“ auf die Frage der Entschädigung der
       Zwangsarbeiter versprach Matthäi auf Nachfrage der taz. In den Fonds der
       [8][Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“] zur Entschädigung der
       ehemaligen Zwangsarbeiter und anderer NS-Opfer hat Matthäi offenbar nicht
       eingezahlt.
       
       Die NS-Vergangenheit ist für den Bremer Herrenfußball-Bundesligisten kein
       Grund, nicht mit Matthäi [9][zusammenzuarbeiten]. „Das ist nicht
       unproblematisch“, sagt ein Werder-Sprecher, „aber viel wichtiger ist, wie
       sie jetzt damit umgehen.“ Und Matthäi zeige einen „reflektierten,
       selbstkritischen Umgang“.
       
       22 Apr 2023
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [2] https://www.matthaei.de/Verantwortung.html
 (DIR) [3] http://www.regionalgeschichte-verden.de/
 (DIR) [4] http://www.regionalgeschichte-verden.de/Dateien/Zwangsarbeit/Dissertation_Woock.pdf
 (DIR) [5] https://www.landkreis-verden.de/portal/seiten/jahrbuch-fuer-den-landkreis-verden-901000103-20600.html
 (DIR) [6] /!386188/
 (DIR) [7] https://www.matthaei-stiftung.de/
 (DIR) [8] https://www.bpb.de/themen/nationalsozialismus-zweiter-weltkrieg/ns-zwangsarbeit/227273/der-lange-weg-zur-entschaedigung/
 (DIR) [9] /Sponsoren-Rochade-bei-Werder-Bremen/!5913902
       
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