# taz.de -- „Polizeiruf 110“ in der ARD: Ermitteln zwischen Halbwahrheiten
       
       > Das Heimkind Ronny verschwindet mitten in der Nacht. Der
       > ARD-Sonntagabend-Krimi lässt einen schön lange im Nebel aus Wahrheit und
       > Lüge tappen.
       
 (IMG) Bild: Màrquez (Pablo Grant), Brasch (Claudia Michelsen) und Lemp (Felix Vörtler) ermitteln am Fundort des Fahrrades
       
       Neues Fahrrad, Angel, Taschenmesser, dazu Kuchen, Kerzen und Konfetti von
       allen im Heim. Nachmittags dann noch eine Drohne und Geld fürs Sparschwein
       von seiner Mutter, dazu Brüllerei und Handgreiflichkeiten von ihrem Freund.
       Ronny hat Geburtstag. Und rennt vor dem Typen seiner Mutter (Ceci Chuh)
       weg, schnappt sich sein Rad und haut ab, es schifft den ganzen Abend. Seine
       Jacke, sein halb-kaputtes Telefon tauchen später dort im Haus auf.
       
       Aber keiner hat ihn mehr gesehen. Oder will ihn gesehen haben. Oder doch.
       
       Die Wahrheit und die Halbwahrheiten und die Lügen schieben sich in dem
       MDR-[1][Polizeiruf] „Ronny“ ineinander. Ein zehnjähriges Heimkind, einfach
       weg, in der Kälte, nachts, die Gründe reichen, damit sich die Magdeburger
       Kriminalpolizei einschaltet. Als Kommissarin Brasch (Claudia Michelsen) bei
       der Mutter auftaucht, fängt die erste von vielen Runden im Wahrheitsnebel
       an. Hat sie ihn zum Bus gebracht oder doch nicht, Ronny wollte doch mit dem
       neuen Rad los, hat ihr Typ ihn geschlagen, sie weiß es nicht, und sowieso,
       der war nach dem Krawall so lange unterwegs, wo auch immer.
       
       Auch Matthias (Thomas Schubert), der eine Heimerzieher, der die kleinen
       Jungs immer auf sein Boot zum Angeln mitnimmt, hat ihn nicht gesehen, und
       dass Ronny allen erzählt hat, sie würden abends noch zusammen die neue
       Angel ausprobieren, sei nur Schmarrn.
       
       ## Alles oder nichts oder irgendwas dazwischen
       
       Dem Teenager-Sohn der Heimleiterin (großartige Altersstudie von Valentin
       Oppermann) fällt später ein, er sei ihm abends noch über den Weg gelaufen,
       da sei Blut auf dem Pulli gewesen, ja, der wollte noch zum Bootsanleger,
       und dieser Matthias habe ihn früher immer angegrabscht und anderes.
       
       Zwei Tage gehen ins Land, die Kamera ist nicht bei allem dabei, es kann
       alles sein und nichts oder irgendwas dazwischen. Wie Barbara Ott die Story
       von Jan Braren umsetzt, unterstützt von Falko Lachmunds Bildern, die meist
       auch irgendwo im Ungefähren hängen, zieht die ganze Atmosphäre in
       drängendste Beklemmung. Mit Blick auf die vergangenen Sonntagabendkrimis
       scheint es verdammt lange her, dass das Publikum derart im Dunkeln tappte,
       mit lauter glaubhaften schlechten Szenarien zur Auswahl. Und zwar ohne dass
       die Stränge zerfasern, ohne dass die Figuren blass bleiben.
       
       Brasch geht es kaum anders, so beherrscht und ruhig sie auch ist. So viele
       Verdachtsmomente, so viele Zweifel, und dann taucht auch noch das Fahrrad
       wieder auf. Sie steht an der Elbe rum, tags, nachts, im Dämmer, im Regen,
       knallt Schranktüren. Aber da wir es hier mit Claudia Michelsen zu tun
       haben, rutscht sie nie in nerviges Over-Acting. Ihr Chef Lemp steht meist
       nur irgendwie daneben, das Drehbuch gibt ihm leider nicht viel zu tun.
       
       Und das grenzt bei einem Darsteller wie Felix Vörtler schon wirklich an
       Großverschwendung. Gerade auch wegen seiner Chemie mit Michelsen. Sein Lemp
       ist immer noch da, lange nachdem Braschs Ermittlungspartner einer nach dem
       anderen verschwunden sind. In dieser Folge zeigt sich, dass diese
       Konstellation Brasch als Figur guttut: Sie ist nun einmal ein Solitär.
       
       19 Mar 2023
       
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