# taz.de -- Prozess gegen Juventus Turin: Zeitspiel vor Gericht
       
       > Nach der Sportjustiz kümmern sich staatliche Gerichte um Juventus Turin
       > wegen Betrugsdelikten. Deren Anwälte starten mit taktischen Manövern.
       
 (IMG) Bild: Die ehemaligen Juve-Funktionäre Pavel Nedved und Andrea Agnelli (v.l.) meiden Gerichtssäle
       
       Andrea Agnelli, dem früheren Präsidenten von Juventus Turin, drohen wegen
       Bilanzfälschung und anderen Delikten bis zu zwölf Jahre Haft. Im Turiner
       Gerichtssaal war er am Montag ebenso wenig zu sehen wie der Ex-Vize Pavel
       Nedved und die anderen zehn Angeklagten. Im Stadion suchten sie stets die
       Öffentlichkeit, hier aber überließen sie lieber den Advokaten das Terrain.
       
       Es geht vor Gericht um Beachtliches. Die vier Hauptanklagepunkte lauten:
       falsche Angaben eines börsennotierten Unternehmens, Behinderung von
       Aufsichtsorganen, falsche Rechnungslegung und Manipulation des Marktes.
       Deshalb ließ sich auch die Börsenaufsicht Consob als Nebenkläger eintragen.
       [1][Die hatte schon früher geschönte Bilanzen von Juventus moniert.] Letzte
       Motivation, in den Ring zu steigen, gaben abgehörte Telefongespräche der
       Juventus-Manager. Die hatten untereinander geprahlt, wie sie mit
       Spielertransfers zu Fantasiewerten die Börsenaufsicht in die Irre führen
       würden.
       
       Das Geschäft läuft gewöhnlich so ab: Klub A verkauft einen Spieler an Klub
       B und Klub B zeitgleich einen anderen an Klub A. „Ob du da die Zahl 4 oder
       10 reinschreibst, ist egal“, äußerte sich laut Telefonabhörungen ein
       Juve-Manager. Den Buchwert für den abgegebenen Spieler konnte man sofort
       den Bilanzen gutschreiben, den für den erworbenen Spieler über die Jahre
       der Vertragslaufzeit verteilen. Mit solchen Methoden konnte sowohl die
       Lizenz für den Spielbetrieb in Italien jedes Jahr gesichert als auch die
       etwas ermittlungsfreudiger werdenden Kontrolleure [2][des Financial
       Fairplay der Uefa] auf Abstand gehalten werden.
       
       Dieser Aspekt führte bereits zur Verurteilung durch die italienische
       Sportjustiz – und die Aberkennung von 15 Punkten in der Meisterschaft.
       Juventus, ohne die Sanktion Tabellenzweiter, dümpelt seither im Mittelfeld
       der Tabelle. Eine Hoffnung hegen die Juventus-Anwälte noch: Auf den 19.
       April ist der Termin vor dem Berufungsgericht festgelegt. Juventus,
       vertreten durch neue Anwälte, die vom neuen Management ausgewählt wurden,
       hält den Punktabzug für unbegründet.
       
       ## Haft- oder Geldstrafe?
       
       Im Gerichtssaal in Turin ging es nun um die strafrechtliche Seite. Dafür
       lief am Montag eine andere Advokatenauswahl auf: die Anwälte der alten
       Juventus-Führung. Für ihre Mandanten geht es um mehrere Jahre Haft.
       Bilanzfälschung wird mit drei bis acht Jahren bestraft, falsche
       Rechnungslegung mit vier bis acht Jahren, Manipulation des Marktes mit
       einem bis sechs Jahren, Behinderung von Aufsichtsorganen mit einem bis vier
       Jahren. Realistisch sind erstinstanzliche Strafen von zwölf Jahren Haft
       [3][für Agnelli & Co]. Die dürften im Instanzenweg weiter reduziert werden.
       Am Ende läuft es vielleicht doch nur auf eine – wenngleich dicke –
       Geldstrafe hinaus.
       
       Angesagt ist deshalb, auf Zeit zu spielen. Dieses Jura-Catenaccio
       beherrschen die Verteidiger der alten Managergarde perfekt. Sie zweifelten
       erst einmal die Zuständigkeit des Gerichts in Turin an. Sitz der Börse sei
       Mailand, deshalb müsse dort verhandelt werden, machten sie am Montag
       geltend. Alternativ auch Rom, weil dort die PR-Agentur angesiedelt ist, die
       die beanstandeten Mitteilungen veröffentlicht hat. Die Ankläger von der
       Wirtschaftsstaatsanwalt Turin halten weiter Turin für den rechten
       Verhandlungsort; schließlich ist dort auch ein gewisser Juventus FC
       beheimatet.
       
       Die Verzögerungstaktik zumindest macht sich bezahlt. Nächster Prozesstag
       ist der 10. Mai. Da ist die Saison der Serie A schon fast zu Ende.
       
       Bemerkenswert am Prozessauftakt war noch, dass sich Minderheitsaktionäre
       von Juventus um die Anerkennung als Nebenkläger bemühen. Vermisst wurden
       hingegen die Anwälte von Cristiano Ronaldo und Paulo Dybala. Die Entourage
       der beiden Ex-Juve-Spieler hatte Neigung erkennen lassen,
       Gehaltsnachzahlungen zu fordern, die auf Nebenabsprachen beruhen.
       
       Die Schummelei mit den Gehältern könnte zu einem weiteren Prozess der
       Sportjustiz – und damit weiterem Punktabzug – führen. Allerdings sind die
       Ermittler dabei auf Kooperation einzelner Spieler angewiesen. Weil anderen
       Spielern, die irreguläre Verträge unterschrieben haben, dann aber auch
       Sanktionen drohen, ist hier kollektives Schweigen wahrscheinlich. Darauf
       deutet das Fernbleiben von Ronaldos und Dybalas Anwälten am Montag hin.
       
       28 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Ermittlungen-gegen-Juventus-Turin/!5815694
 (DIR) [2] /Financial-Fairplay-im-Fussball/!5468148
 (DIR) [3] /Juventus-Turin-in-der-Krise/!5885304
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tom Mustroph
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Juventus Turin
 (DIR) Prozess
 (DIR) Betrug
 (DIR) Juventus Turin
 (DIR) Juventus Turin
 (DIR) Juventus Turin
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Juventus Turin in der Krise: Strafcamp und pure Verzweiflung
       
       Vor dem Stadtderby gegen den FC Turin befindet sich Juventus in prekärer
       Lage. Den Verein plagen Schulden und wenig Punkte.
       
 (DIR) Juventus Turin scheitert erneut: Italien auf Identitätssuche
       
       Juventus Turin scheidet wieder frühzeitig in der Champions League aus. Im
       Land des Europameisters löst das eine Untergangsstimmung aus.
       
 (DIR) Ermittlungen gegen Juventus Turin: Aufgeblähte Geschäfte
       
       Italiens Rekordmeister Juventus Turin muss neben einer sportlichen Krise
       gleich drei Ermittlungsverfahren überstehen. Es geht um Bilanztricks.