# taz.de -- Nordirlandprotokoll im Brexitvertrag: Einigung in greifbarer Nähe
       
       > London und Brüssel stehen offenbar kurz vor einem Kompromiss. Dabei geht
       > es um über die Anwendung des strittigen Nordirlandprotokolls.
       
 (IMG) Bild: Kommt die Lösung? Als Grenzposten verkleideter Demonstrant bei Protesten 2021 gegen eine harte Grenze auf der irischen Insel
       
       Dublin taz | Es tut sich was im Streit zwischen London und Brüssel über
       [1][das Nordirlandprotokoll des Brexits]. Irlands Premierminister Leo
       Varadkar ist optimistisch, dass Bewegung in die Sache kommt. Er, als
       Vertreter eines EU-Staates, sei bereit, „flexibel und vernünftig“ zu
       handeln, um das Nordirlandprotokoll zu modifizieren, damit es breitere
       Zustimmung in Nordirland finde, [2][sagte er der Irish Times]. Dann bestehe
       die „sehr reale Aussicht“, dass ein Deal zwischen der EU und dem
       Vereinigten Königreich zustande komme. Mehrere britische Zeitungen
       berichteten am Dienstag, eine Einigung sei innerhalb der nächsten zwei
       Wochen zu erwarten.
       
       Dabei spielt, wie so oft in Nordirland, die Semantik eine entscheidende
       Rolle. Die Unterhändler müssen Jeffrey Donaldson, dem Chef der größten
       porotestantisch-unionistischen Partei DUP (Democratic Unionist Party), so
       weit entgegenkommen, dass er das Ergebnis als Sieg verkaufen kann. Er hat
       sich unter dem Druck der Hardliner im unionistischen Lager durch seine
       s[3][trikte Ablehnung des Nordirlandprotokolls] in eine Ecke manövriert,
       aus der er ohne Hilfe der EU nicht herauskommt.
       
       Das Protokoll regelt, dass Nordirland faktisch Teil des EU-Binnenmarkts
       bleibt und sich den EU-Zollregeln unterwerfen muss. Das vermeidet eine
       harte Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland, doch stattdessen
       entsteht eine EU-Zollgrenze zwischen Nordirland und Großbritannien – also
       innerhalb des Vereinigten Königreiches.
       
       Donaldson moniert, dass das gegen das Karfreitagsabkommen und die
       Unionsakte aus dem Jahr 1800 verstoße. Der juristische Weg ist jedoch
       ausgeschöpft, vorigen Mittwoch bestätigte der oberste Gerichtshof in
       London, dass das Protokoll rechtmäßig sei. Solange das Protokoll gilt,
       boykottiert aber die DUP Nordirlands Regionalparlament und die
       Regionalregierung. Diese muss aufgrund des Karfreitagsabkommens von 1998
       von den zwei stärksten Parteien auf katholisch-nationalistischer und
       protestantisch-unionistischer Seite gemeinsam gebildet werden, auf
       gleichberechtigter Basis. Eigentlich hätte es längst Neuwahlen geben
       müssen, aber der britische Nordirland-Minister Chris Heaton-Harris hat die
       Frist immer wieder verlängert, vor zwei Wochen sogar bis zum 18. Januar
       2024, um den Parteien „Zeit und Raum für Verhandlungen“ zu geben.
       
       ## Neue Rolle des Europäischen Gerichtshofs
       
       Donaldson hat sieben Bedingungen gestellt, um in die Regierung
       zurückzukehren. Drei davon sind relativ leicht zu erfüllen. So hat London
       eine rote und eine grüne Spur für Waren aus Großbritannien nach Nordirland
       vorgeschlagen: grün für Waren, die ausschließlich für Nordirland bestimmt
       sind, etwa für dortige Filialen britischer Supermarktketten, und daher
       nicht durch den Zoll müssen; rot für Waren, die in die Republik Irland,
       also in die EU, exportiert werden sollen und deshalb den Zollbestimmungen
       unterliegen. Zwar bliebe die Zollgrenze dann, aber man könnte
       argumentieren, dass sie faktisch nur Waren für die EU betreffe.
       
       Schwieriger ist Donaldsons Forderung nach mehr Mitspracherecht für die
       Menschen in Nordirland bei Gesetzen, die sie betreffen – also ständig
       aktualisierte EU-Binnenmarktrichtlinien, die wegen des Nordirlandprotokolls
       automatisch für Nordirland gelten, nicht aber für Großbritannien.
       
       Die Hoffnung auf eine Einigung ruht nun auf der Modifizierung der Rolle des
       Europäischen Gerichtshofs. Zwar ist der für EU-Gesetze zuständig, aber die
       irische Regierung hat einen Vermittlungsausschuss vorgeschlagen, wie er
       bereits beim Brexit-Handelsabkommen existiert. Im Gespräch ist auch, dass
       der EU-Gerichtshof nur auf Initiative der nordirischen Gerichte tätig
       werden kann. Sollte die EU dem zustimmen, könnte Donaldson seine Leute
       davon überzeugen, dass Nordirland EU-Gesetzen nicht mehr wehrlos
       ausgeliefert ist.
       
       Der britische Premierminister Rishi Sunak will die Sache vom Tisch haben.
       Sollte die EU jedoch querschießen, wäre Donaldsons Spielraum erschöpft.
       Dann bestünde auf absehbare Zeit keine Aussicht auf die Wiedereinsetzung
       der Institutionen in Belfast. In diesem Fall müsste London wieder die
       Direktherrschaft übernehmen. [4][Aber das will die DUP auch nicht].
       
       14 Feb 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /London-zum-Nordirland-Protokoll/!5858101
 (DIR) [2] https://www.irishtimes.com/opinion/2023/02/13/una-mullally-leo-varadkar-revisits-the-past-in-the-comfort-of-the-fianna-fail-time-machine/
 (DIR) [3] /Neuwahlen-in-Nordirland/!5887359
 (DIR) [4] /Regierungsbildung-in-Nordirland/!5850292
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Sotscheck
       
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